Inderwahnsinn

Das Pflegen und Überwinden ihrer Gegensätzlichkeiten ist das Erfolgsgeheimnis des indisch-deutschen Komikerpaares Sanjay und Svenja Shihora. In Berlin betreiben sie einen der erfolgreichsten Comedy Clubs der Stadt.

Ein Mann steht auf der Bühne und drückt sich ein Ei gegen die Stirn, bis es zerplatzt. Teile davon bleiben oberhalb der Nase hängen, andere rutschen nach unten über das Gesicht. „Is this comeeedy?“, fragt er mit schwerem indischem Akzent. Wenn man nach dem anschwellenden Gelächter des Publikums urteilt: definitiv ja.
Der Künstler heißt Sanjay Shihora, „San-Schee“ ausgesprochen. Ihm gehört nicht nur die Sympathie des Publikums im „Kookaburra“, sondern der ganze Comedy Club. Shihora wurde 1967 in Indien geboren. Den schweren Bühnenakzent tauscht er im normalen Leben gegen eine leichte exotische Färbung im sonst sehr guten Deutsch. In Indien hat er Mathematik studiert und daneben erste Erfahrungen in Film, Theater und Fernsehen gesammelt. Sein Talent fiel dem weltberühmten Pantomimen Marcel Marceau auf, und dieser lud ihn 1989 ein, an seiner „École Mimodrame“ in Paris das Handwerk des Pantomimen zu studieren.
Mittlerweile ist eine Frau mit langem blonden Haar zu Sanjay auf die Bühne gestiegen. Seine Frau. Sie heißt Svenja und stammt aus Berlin. Auch sie ist ausgebildete Bühnenkünstlerin. In Paris lernten sich die beiden kennen. Sie verliebten sich nicht nur ineinander, sondern fanden im anderen jeweils auch einen perfekten Bühnenpartner. Seit Anfang der neunziger Jahre traten sie gemeinsam im In- und Ausland auf. Als kurz darauf in Deutschland die Begeisterung für die farbenfrohe Bollywood-Kultur aufkam, hatten die Shihoras – inzwischen verheiratet – ihre künstlerische Nische gefunden: die Gegensätzlichkeiten ihrer Kulturen. Eine der charmantesten Nummern des Paares erzählt, wie sie sich kennengelernt haben: Zuerst tänzelt Svenja in europäisch-romantischer Art entrückt durch die Stadt der Liebe und zeigt pantomimisch ihre Gefühle. Dann übernimmt Sanjay und macht aus der Szene eine grelle Tanzszene, wie man sie aus den Bollywood-Liebesfilmen kennt.
2002 eröffneten die beiden in einer ehemaligen Bankfiliale in Berlin-Mitte ihren eigenen Club. Direkt darüber liegt die Privatwohnung des Paares, das inzwischen einen kleinen Sohn hat. So können sie nicht nur Leben und Arbeit, sondern auch ihre Unterschiedlichkeiten ideal verbinden. „Ich bin Langschläfer und komme vor zehn Uhr nicht aus dem Bett“, sagt er. Sie dagegen ist ausgiebige Frühstückerin. Auch als Beifahrer ist Sanjay gewöhnungsbedürftig. „Er veralbert gern die anderen Autofahrer, indem er wie verrückt herumgestikuliert“, sagt Svenja. „Dann denken alle, dass er sich wahnsinnig aufregt.“
Gibt es Unterschiede zwischen indischem und deutschem Humor? „Humor beinhaltet immer Schadenfreude“, erklärt Sanjay. „Aber die ist in Indien schon sehr ausgeprägt“, präzisiert Svenja. „Wenn dort ein Kind umfällt, lachen sich alle schlapp. Das ist bei uns anders.“ In Indien sei das Lachen mehr in den Alltag integriert, sagt Sanjay. „Eigentlich lacht man den ganzen Tag.“
So handelte auch das jüngste gemeinsame Programm „Bollywood in Berlin“ vor allem von den Gegensätzen. Dabei schreckten die beiden auch vor Kalauern wie „Inderwahnsinn“ oder „Ein Herz für Inder“ nicht zurück.
Das Kookaburra – benannt nach dem australischen Lachvogel, den Sanjay perfekt imitieren kann – ist rasch zu einem der erfolgreichsten Comedy Clubs der Stadt geworden. Noch immer ist es ein Familienbetrieb, allerdings mit vielen Helfern. Die sind auch nötig. Denn die Bühne hat einen Zuschauerschnitt, von dem andere Clubs nur träumen können. Immer mehr Publikumsmagneten wie Fil, Rene Malik oder die schwäbischen Krawallkomödianten von „Eure Mütter“ gastieren hier regelmäßig und vor ausverkauften Reihen. Nach wie vor organisieren, booken, barkeepen und bedienen die Shihoras aber höchstpersönlich. Wenn sie nicht gerade selbst irgendwo auftreten. Denn Sanjay hat auch schon im britischen BBC-Fernsehen Eier an seiner Stirn zerschlagen und dann gefragt: „Is this comeeedy?“ Svenja zeigt ihre Paraderolle – ein Cancan in einer Abfalltonne – ebenfalls gelegentlich auf fremden Bühnen. Seit 2007 gibt es auf dem Kabelsender Sat1.comedy eine wöchentliche Serie namens „Kookaburra – der Comedy Club“. Der chaotische, deutsch-indische Alltag der Shihoras dient dort als Rahmenhandlung für eine Mischung aus Talkshow und Sitcom. Zusätzliche – fiktive – Familienmitglieder wie der indische Vater und die rührige Tante Bhandura werden von Schauspielern dargestellt.
Obwohl es so gut läuft, die Shihoras ruhen sich nicht auf ihren Erfolgen aus. Stattdessen bauen sie englischsprachige Comedy zum zweiten Standbein ihres Clubs aus. Wenn es einen Kritikpunkt an der Arbeit des Paares gibt, dann den, dass sie ihre alten Nummern ein bisschen arg oft und arg lang zeigen. Warum das so ist? Auch darauf weiß Sanjay Shihora eine bestechende Antwort: „In Deutschland sagt man: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. In Indien sagt man: Dinge, die mir widerstreben, verschiebe ich aufs nächste Leben.“

Inge Hummel

 

Informationen
www.comedyclub.de

41 - Winter 2009/10
Kultur