„Memoria Norway“ ist ein audiovisuelles Kunstprojekt des in Berlin lebenden Künstlerduos SpringerParker. Mit subtilen Bilderfindungen, Fotografien und Performances spüren sie der Klimaveränderung im hohen Norden Norwegens nach.
„Unsere Kinder können im Sommer nackt im Garten spielen. Keine Generation zuvor konnte das.“ So eines der mitgebrachten Zitate zum Thema Erderwärmung, die das Künstlerduo SpringerParker während seiner Kunstforschungsreise in den Stabbursdalen National Park in der Finnmark und auf die Landzunge Knivskjellodden, dem nördlichsten Punkt Europas, gesammelt hat. Eine Erfahrung, die als vergleichsweise fröhliche Botschaft über den Klimawandel weitergereicht wird und die nichts ahnen lässt von der geopolitischen Brisanz der Region. Es gibt also auch etwas zum Freuen an der allgemein als Bedrohung signalisierten Erwärmung der Erde, die – so jüngste Forschungen – das Eis schneller zum Schmelzen bringen wird als bislang gedacht. Statt der gerade noch prognostizierten vierzig, dreißig, zwanzig Jahre vermutet man eine weitere Beschleunigung, da die ständige Zunahme an Wasseroberfläche wiederum mehr Wärmespeicherung bedeutet und der CO2-induzierte, beunruhigende Kreislauf an Fahrt gewinnt.
Die beiden Künstler SpringerParker, die ihre bürgerlichen Namen nicht öffentlich machen wollen, sind bereits drei Mal im Sommer und im Winter von Berlin aufgebrochen, um Spuren dieses Prozesses in Norwegen zu suchen. Für 2010 ist eine weitere Reise geplant. Sommerreisen und Winterreise, vom Goethe-Institut in Norwegen unterstützt und vom Charakter auch ein bisschen an Goethes Reisen erinnernd. Da wird gesammelt und gezeichnet. Kunst und Naturwissenschaft als Formen der Weltbetrachtung und Ergründung gehen ineinander über. Die von SpringerParker mitgebrachten Bilder spielen mit romantischer Natursehnsucht und sind Teil ihrer komplexen Untersuchungen. Die Fotografien offenbaren tiefe Schönheit. Sie ziehen den Betrachter hinein in die Eisesstille und Metropolenferne. Den Anstoß für die Reise gab eine Mitteilung in der New York Times, dass bestimmte Pflanzen aufgrund der Erwärmung anfangen Blüten zu bilden und sich über Samen statt über ober- oder unterirdische Ausläufer zu verbreiten.
„Als wir hier oben ankamen und uns die Leute ihre Beobachtungen mitteilten, wussten wir, dass wir hier richtig sind. Hier ist die Klimaveränderung bereits Lebenswirklichkeit.“
Goethe, Humboldt, Chamisso. Es gibt viele Vorbilder für die beiden End-dreißiger mit Ausbildung in visueller Kommunikation an der Kunsthochschule in Kassel. Sie machten sich auf den Weg, um Pflanzen zu sammeln, Schmelzwasserproben zu entnehmen, Gesteinsformationen hinsichtlich ihrer Oberflächenstruktur zu untersuchen, Geräusche zu konservieren, Interviews zu führen und um zu fotografieren. Alles Beobachtete, Gefundene wird bewahrt und gespeichert, neu geordnet. Bilder werden entwickelt im ganz ursprünglichen und im übertragenen Wortsinn.
„Wir waren nördlich des Nordkaps, in der nördlichsten Region, in die man auf dem Festlandweg gelangen kann. Im Winter herrschten im Wohnmobil 15 Grad minus für gut zwei Stunden der letzten Kilometer bis zu unseren ausgewählten Punkten, außen hatten wir 30 Grad minus.“ Die Winterfotografien muten seltsam klassisch an, so als hätte jemand alte Leica-Abzüge hervorgeholt, Motive mit blauweißen Bergen, ein irritierend perfektes Déjà-vu mit einer scheinbar erinnerbaren Landschaft.
Wurden in den vergangenen Jahrhunderten stapelweise Kisten mit dem Informationsgut verschifft und auf abenteuerliche Reise geschickt, werden heute per Handy und Internet in Echtzeit die Erfahrungen und Bilder der Reiseabschnitte um die Welt gesendet. Die Materialausbeute darüber hinaus ist vielgestaltig. Dazu gehören auch die Pflanzenserie „Florae“ oder die Eisbilder „Permafrost“. Für die erstere wurden 50 bis 70 Pflanzen gesammelt, vor einem weißen Hintergrund fotografiert und auf transparentes Papier gedruckt. Mit einer eigens entwickelten Software wurden aus den Einzelbildern Collagen entwickelt. Für „Permafrost“ wurden Wasserproben mit nach Hause genommen und zu Platten vereist. Erstaunliche Strukturen, die ob ihrer abstrakten Landschaftlichkeit beeindrucken, vermögen Aufschluss über die Wasserbeschaffenheit der Fundorte zu geben. Memoria Norway ist ein fotografisches und multimediales Projekt, das Erinnerung an eine in ständiger Veränderung befindlichen Landschaft erzeugen soll. Mit den Ausdrucksmitteln Foto, Video- und Soundcollagen werden diese künstlerisch zur Diskussion gestellt. „Wir suchen nach einer Bildsprache, um jenen Prozess beschreiben zu können, der sich vehement und neu in unser aller Bewusstsein schiebt.“
Anita Wünschmann
Informationen
>> www.memoria-norway.com
>> Am 10.1.2010 wird im MARTa Museum in Herford die
Performance „Memoria Norway“ live gezeigt.
>> Im Petra Rietz Salon in Berlin-Mitte sind die Arbeiten von SpringerParker
ab dem 10.2.2010 zu sehen.
www.petrarietz.com