Die DDR-Alltagskultur zeichnete sich in bestimmten Bereichen durch erstaunlichen Einfallsreichtum aus. „Ein Auto und ein Fahrrad in ein Flugzeug umbauen während der Fahrt, das ist ungefähr unsere Aufgabe." Dieser visionäre Satz aus „Der Bau" des Dramatikers Heiner Müller aus dem Jahr 1964 sollte die unglaubliche Herausforderung beim Aufbau des Kommunismus in der DDR charakterisieren. Dass es dabei ohne innere Systemfreiheit nicht gehe, davon ist in dem Stück natürlich nicht die Rede. Als würden indoktrinäre Parteiprogramme genügen, die dazu nötige Kreativität und Motivation zu befördern. Durchaus kreativ und mit viel Einfallsreichtum ging es dagegen zu, wenn es die ganz persönlichen Interessen und Bedürfnisse betraf, abseits der staatlichen Kontrolle und ohne den großen Gesellschaftsentwurf vor Augen. Denn der DDR-Alltag war geprägt durch Produkt- und Materialbeschaffung, Wiederverwertung und Tauschgeschäfte: Indizien ihrer chronischen Mangelwirtschaft. Nicht wenige Bastler, Tüftler und Heimwerker besaßen eine respektable Werkstatt, mindestens aber ein kleines privates Materiallager im Keller oder Schrebergarten. Autofriedhöfe existierten nicht, denn Autos hatten eine sehr hohe Lebenserwartung. Schrottplätze und Mülldeponien waren begehrte Anlaufstellen, und mitunter boten sie die letzte Möglichkeit, doch noch ein dringend benötigtes Teil zu finden. Den Begriff „Wegwerfgesellschaft" kannte man nur vom Hörensagen oder aus dem Westfernsehen. Statt etwas wegzuwerfen, hob man wirklich alles auf, was noch irgendwie zu gebrauchen war. Gegebenenfalls konnte ein Teil ja auch als Tauschobjekt dienen - oder es bekam eine andere Funktion. Denn bestimmte, aber begehrte Produkte waren knapp, oder es gab für sie überhaupt keinen Markt. Kein Wunder also, wenn versucht wurde, vieles selbst herzustellen: beispielsweise eine elektrische Töpferscheibe aus dem Motor einer ausgedienten Waschmaschine zusammen mit diversen Fahrradteilen. Solcherart Produktkuriositäten sind kaum mehr existent. Umso löblicher ist die Sonderausstellung aus Anlass des Mauerfalls vor zwanzig Jahren im Deutschen Technikmuseum Berlin. Sie zeigt Aufnahmen kurioser Landmaschinen Marke Eigenbau. Zwischen 1992 und 1994 sind die Fotografen Bernd Hiepe und Erasmus Schröter in Thüringen auf einfallsreiche Tüftler gestoßen, die ihre „Prototypen" noch nicht verschrottet hatten. Die Fotos machen deutlich, wie weit ihr Erfinder- und Improvisationstalent ging. Auf dem Lande war es durchaus lukrativ, neben der Arbeit in der LPG noch das eigene Stück Land zu bestellen oder Tiere zu halten. Das diente nicht nur der Selbstversorgung, sondern der Verkauf landwirtschaftlicher Produkte an die staatlichen Handelsorganisationen brachte mitunter enormen Zusatzverdienst. Ohne entsprechende Gerätschaften und landwirtschaftliche Kleingeräte für diesen Zweck war eine Teilhabe allerdings nicht möglich. Und da in der DDR derartige Nischenmärkte nicht zur offiziellen Planwirtschaft gehörten, gingen die Bauern daran, sich die Fahrzeuge und Maschinen selbst zu bauen: Mini-Traktoren zum Anbau von Getreide, Rüben und Kartoffeln, Transporter für den Materialtransport aller Art, Mistlader, Mäheinrichtungen und Pflüge. Die Rahmen der Fahrzeuge entstanden oft im Eigenbau. Das setzte Schweißkenntnisse, Umgang mit der Blechschere und Maschinenbaukenntnisse voraus. Wichtige funktionelle Teile und Baugruppen wie Achsen, Lenkung, Getriebe und Motor entstammten meist alten Land- und Baumaschinen, Militärfahrzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg, Gabelstaplern und Personenkraftwagen, beispielsweise der Marken Trabant, BMW, Fiat, Opel P4, Skoda, Moskwitsch oder EMW, einem Nachbau des BMW aus Eisenach. Sogar Teile aus Fahrzeugen der Vorkriegsproduktion wurden noch verbaut, so dass Landmaschinen daraus entstanden, denen auch der heutige Betrachter noch mit großem Erstaunen und einer gewissen Bewunderung gegenübersteht. Die beiden Fotografen gaben sich alle Mühe, die gefundenen Exemplare in den thüringischen Dörfern würdevoll in Szene zu setzen. Genauso beeindruckend für sie waren allerdings auch die einzelnen Entstehungsgeschichten der Technik-Unikate, in denen sie sogar „einen Hauch von Anarchie" erkennen wollen, „den Sieg der Einfallskraft über die Pedanterie und eine Art von Widerspruchsgeist, wie er sich im öffentlichen Leben dieser anderen deutschen Republik gefahrlos nie zu artikulieren vermochte."
Reinhard Wahren
Ausstellung
Eigensinn mit Luntenzündung -
Landmaschinen Marke Eigenbau aus der DDR
Bis 28. Juni 2009
Deutsches Technikmuseum Berlin
Trebbiner Straße 9, 10963 Berlin