Zwischen Ditzingen und Seoul

Mit einer Kantine in Süddeutschland haben sie den wichtigsten deutschen Architekturpreis errungen. International Furore gemacht haben sie mit einem Hochhaus in Seoul. Ihr Büro aber ist in Berlin – und auch hier entwerfen Regine Leibinger und Frank Barkow prominente Gebäude.

Dass die Gegend um den Berliner Hauptbahnhof bald keine Einöde mehr sein wird, ist nicht zuletzt auf das Wirken von Regine Leibinger und Frank Barkow zurückzuführen. Sie haben den Büroturm entworfen, den der Projektentwickler Vivico für das Mineralölunternehmen Total bauen lässt – gleichsam als Auftakt zum neuen Stadtquartier nördlich des Hauptbahnhofs. Spätestens Mitte 2012, wenn das prominente Gebäude fertiggestellt sein wird, dürfte der Büroname Barkow Leibinger somit auch dem Laien ein Begriff sein.
Der Fachwelt ist er es schon längst. 2009 erhielt das Paar den vom Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main ausgelobten DAM-Preis für die Kantine des Maschinenbau-unternehmens Trumpf im süddeutschen Ditzingen. Ein preisgekröntes Betriebsrestaurant – das hat es in der Architekturgeschichte noch nicht allzu oft gegeben. Doch die Jury war hingerissen von der Qualität des Gebäudes und insbesondere vom innovativen Dachtragwerk, das sich an die Zellstruktur von Blättern anlehnt. Bereits zuvor hatten Barkow und Leibinger eine andere begehrte Auszeichnung erhalten: Für das Trutec Building, ein Bürohochhaus in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, gab es den Marcus Prize.
Zwischen Ditzingen und Seoul – Regine Leibinger und Frank Barkow haben fürwahr einen globalen Horizont. Das unterstreicht auch ihre Biografie: Regine Leibinger wurde 1963 in Stuttgart geboren, studierte an der TU Berlin und machte ihren Master of Architecture an der Harvard University in den USA. Dort lernte sie ihren Arbeits- und Lebenspartner, den sechs Jahre älteren Amerikaner Frank Barkow, kennen. Zusammen gründeten sie 1993 ihr Architekturbüro – in Berlin. Warum gerade hier? „So kurz nach dem Mauerfall war Berlin mit Abstand die interessanteste Stadt in Europa“, antwortet Regine Leibinger. „Hier fanden ja die großen Wettbewerbe statt.“ Für Frank Barkow ist Berlin sogar „die einzige Stadt in Europa, die für mich in Frage kommt“. Die Kunst-, Design- und Modeszene erwähnt er in diesem Zusammenhang und den Umstand, „wie vielfältig und gemischt die Stadt in jeder Beziehung ist“.
In der deutschen Hauptstadt haben Regine Leibinger und Frank Barkow mittlerweile auch ihre architektonischen Spuren hinterlassen. Am Anfang ihrer Bürotätigkeit stand die Sanierung von Plattenbauten; doch schon bald gewannen sie den ersten Preis beim Wettbewerb für sechs Kindertagesstätten in Berlin-Buchholz. 2001 folgte die Biosphäre in Potsdam, ein als Blumenhalle für die
Bundesgartenschau entworfenes Gebäude, das jetzt eine tropische Erlebniswelt beherbergt. Hinzu kamen Einfamilienhäuser, beispielsweise am Obersee und in Karlshorst. „Die Bauherren des Einfamilienhauses in Karlshorst hatten uns gegoogelt und kamen zu uns, ohne zu wissen, wer wir sind“, erzählt Regine Leibinger.
In der Oranienburger Straße 18 in Berlin-Mitte sanierten sie ein aus dem Jahr 1842 stammendes Gebäude, in dem jetzt die Galerie Sprüth Magers residiert. „Dieser Aufgabe haben wir uns sehr zurückhaltend und mit großem Respekt genähert“, berichtet Frank Barkow. Mit gutem Grund, hat doch das Gebäude mit seinem von der Straße aus nicht sichtbaren, sieben Meter hohen Saal eine spannende Vergangenheit: Es diente ursprünglich als gehobener Herrenclub (Ressource hießen diese Etablissements im 19. Jahrhundert), ehe es ab 1931 vom Studentenwerk und nach dem Zweiten Weltkrieg von der Humboldt-Universität genutzt wurde. Eine weitere Herausforderung stellt der Masterplan für die Umgestaltung des Firmengeländes von Bayer Schering Pharma in Berlin-Wedding dar, den Barkow und Leibinger derzeit erarbeiten. Dabei planen sie eine offene Campus-Struktur, die in kleinen Schritten wachsen kann.
Bei der Vielfalt der Entwurfs- und Bauaufgaben verfolgt das Architektenpaar stets den Ansatz, „auf den spezifischen Ort einzugehen“, wie Regine Leibinger sagt. Das bedeutet, dass es keinen einheitlichen Stil gibt, der jedes von ihnen entworfene Gebäude auf den ersten Blick als Barkow-Leibinger-Werk erkennbar machen würde. „Wir möchten“, betont Leibinger, „unsere Bauaufgaben nicht mit einer vorgefertigten Idee im Kopf übernehmen.“
Immer achten sie auf den städtebau-lichen Kontext – was bei manchen Projekten gar nicht so einfach ist. So existierte in der Planungsphase des später preisgekrönten Trutec Building in Seoul noch kein einziges Nachbargebäude, auf das sie sich hätten beziehen können. „Wir mussten gewissermaßen ortlos bauen“, sagt Barkow. Die Aufgabe lösten sie, indem sie eine plastische, aus kristallinen Glaselementen bestehende Fassade schufen. Dabei gibt es eine Parallele zum Total-Hochhaus neben dem Berliner Hauptbahnhof, das mit seiner plastischen Rasterfassade ebenfalls erst einmal ohne Nachbarbebauung da- stehen wird. „Da sich viele an ihm orientieren werden, setzt es ein starkes Zeichen“, sagt Leibinger.
Der Schwerpunkt der Tätigkeit der beiden Architekten liegt allerdings im Industrie- und Verwaltungsbau. Dass sie vor allem für den Maschinenbauer Trumpf zahlreiche Gebäude errichtet haben, ist kein Zufall: Regine Leibinger ist die Tochter des Firmengründers und sitzt selbst im Aufsichtsrat des Unternehmens. Wie die Mitarbeiter ihr mit dem DAM-Preis ausgezeichnetes Restaurant annehmen, kann sie deshalb regelmäßig überprüfen. Das Ergebnis: „Die Menschen, die dort täglich essen, fühlen sich in der Kantine unwahrscheinlich wohl. Sie ist ein schöner Ort der Gemeinschaft, der gut funktioniert.“ Insofern steht sie beispielhaft für den Ansatz, den Frank Barkow so formuliert: „Für uns ist wichtig, dass die architektonische Konzeption überzeugend ist. Ebenso wichtig ist aber auch, dass sich die Nutzer in unseren Gebäuden wohl fühlen.“
Paul Munzinger
 

42 - Frühjahr 2010