Der Martin-Gropius-Bau zeigt die größte Frida-Kahlo-Ausstellung, die es in Deutschland jemals gab.
Sie ist vor unser aller Augen. Nicht zuletzt, weil sie sich obsessiv immer wieder selbst gemalt hat. Mit ihren schwarzen hoch gesteckten Haaren, den sinnlichen Lippen, dem leichten Damenbart und dem stolzen, fast maskenhaften Blick. Von den insgesamt 145 bislang bekannten farbenfrohen Ölbildern sind immerhin 55 Selbstbildnisse. Es sind ihre bekanntesten Werke. „Ich male mich, weil ich so oft allein bin und weil ich mich auch am besten kenne“, schrieb Frida Kahlo lakonisch zur Begründung. Das trifft es aber nur bedingt. Die mexikanische Künstlerin malte zeitlebens am eigenen Mythos und machte sich so selbst zur Ikone. Nichts überließ sie dem Zufall. Auch auf den von ihr erhaltenen Fotografien ist sie von erstaunlich konzentrierter Präsenz. Selten gingen Leben und Kunst, Leidensgeschichte und Malerei eine solch enge Verbindung ein. Ihr Leben scheint wie geschaffen für dramatische abendfüllende Spielfilme. Verschiedene ihrer Gemälde zeigen Frida Kahlo gemartert, von Nägeln durchbohrt, mit einem Dornenhalsband, mit Stützkorsett um den Körper. „So subjektiv und vielfältig ihre Motivwelt ist, bietet sie doch der Betrachterin eine allgemeingültige Projektionsfläche“, erklärt die Kuratorin Helga Prignitz-Poda, „mit ihrem Leben, auch ihrem Leid kann man sich identifizieren“. Die Frida-Kahlo-Kennerin betont jedoch, dass sich das Werk keinesfalls in der Darstellung des Leides erschöpfe, sondern vielmehr andere Facetten wie etwa ihr erstaunlicher Humor wichtig seien.
1907 in Mexiko-Stadt geboren, spielte ihre Herkunft für die Malerin eine überaus wichtige Rolle. Das betrifft die frühe Kunst Mexikos, die der Azteken und Maya, genauso wie die stark farbige Volkskunst der indigenen Bevölkerung. Sie selbst malte sich gern in mexikanischer Tracht. Die exotische Pflanzen- und Tierwelt, die Blüten und Früchte, die Vögel und Affen geben ihren Bildern Lokalkolorit und eine kraftvolle Sinnlichkeit. Sie stehen für Fruchtbarkeit und binden ihre Selbstbildnisse in einen universalen Naturzusammenhang ein.
Dabei war Frida Kahlos Leben eine einzige Krankengeschichte.
Das begann im Alter von sechs Jahren, als sie an Kinderlähmung erkrankte. Seit dieser Zeit hatte sie Probleme mit dem Laufen. Als sie 18 Jahre alt war, passierte dann der schwere Unfall, der ihrem Leben eine neue Richtung geben und das Trauma ihres Lebens werden sollte. Bei einem Zusammenstoß zwischen einem Bus und einer Straßenbahn bohrte sich eine Eisenstange durch den Unterleib der jungen Frau. Es glich einem Wunder, dass sie überhaupt überlebte. Mit zahlreichen Knochenbrüchen, Verletzungen an der Wirbelsäule und einem zertrümmerten Fuß war sie für Monate ans Bett gefesselt, immer wieder gefangen in einem Ganzkörpergips. Zeitlebens wurde sie über 30 Mal operiert. Sie blieb behindert und konnte keine Kinder zur Welt bringen.
Der Unfall aber machte Frida Kahlo zur Künstlerin. Gegen die Schmerzen im Krankenhaus half ihr die Malerei. Ihre Mutter hatte ihr eine spezielle Staffelei anfertigen lassen, und ein Spiegel an der Decke ermöglichte ihr das Verfertigen von Selbstporträts. „Die gebrochene Säule“, eines ihrer bekanntesten Gemälde, ist so entstanden. Hier malt sie sich mit geöffnetem Brustkorb. An Stelle eines Rückgrats wird der Rumpf von einer bröckelnden Säule gehalten. Das Fragile ihres Lebens bekommt Gestalt.
Doch all ihre körperlichen Leiden halten die schöne junge Frau nicht davon ab, ein erfülltes Liebesleben zu haben. Die leidenschaftlichste und intensivste Beziehung unterhielt sie zweifelsohne zu dem wesentlich älteren Maler Diego Rivera, Frauenschwarm und zur damaligen Zeit eine Instanz in der Kunstszene. Frida Kahlo gehörte zu seinen großen Verehrerinnen. Eine komplizierte Künstler-Beziehung verband das äußerlich so ungleiche Paar. Dieser schwergewichtige Mann war einer der wenigen, die Kahlo porträtierte. Künstlerisch verpflanzte sie sein Bildnis mehrfach in ihren Kopf. Mit Rivera verbrachte sie drei für sie prägende Jahre in den USA. Sie konnte von ihm auch dann nicht lassen, als er sie immer wieder betrog. Erst als er ein Verhältnis mit ihrer Schwester Cristina anfing, war für Frida Kahlo die Grenze überschritten. Die Malerin hatte nun ihrerseits zahlreiche Affären, unter anderem zu dem russischen Revolutionsführer Leo Trotzki. Doch Diego Rivera blieb der wichtigste Mann in ihrem Leben. Nach der Scheidung Ende 1939 heiratete sie ihn ein Jahr später erneut.
Frida Kahlo wollte eine politische Künstlerin sein, auch wenn sie es im engeren Sinne nicht war. Ungeachtet der Tatsache, dass eines ihrer letzten Bilder den Titel „Stalin und ich“ trug. Ihrer politischen Überzeugung wegen verlegte sie ihr Geburtsjahr in das Jahr 1910, das Jahr der mexikanischen Revolution. Es ist also ganz in Frida Kahlos Sinne, wenn an ihrem selbst gewählten 100. Geburtstag
die große Retrospektive im Berliner Martin-Gropius-Bau veranstaltet wird.
Die Ausstellung „Frida Kahlo – Retrospektive“ ist mit 60 Ölbildern und 90 Zeichnungen die umfassendste Werkschau, die jemals in Deutschland und Europa gezeigt wurde. Darunter werden Arbeiten aus Privatsammlungen präsentiert, die bislang noch nicht in der Öffentlichkeit zu sehen waren, auch das letzte von ihr gemalte Ölbild.
Karen Schröder
Ausstellung
Frida Kahlo – Retrospektive
30. April bis 9. August 2010
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Öffnungszeiten:
Täglich von 10 bis 20 Uhr