Sex, WAGs und eine Haushaltshilfe in der „Perspektive Deutsches Kino“
Zugegeben, es hatte was, Pierce Brosnan oder Renée Zellweger über den roten Teppich schreiten zu sehen. Aber sie sind doch verschwindend gering, die Roten-Teppich-Geher. Crews von 20 Filmen, nämlich denen, die im Wettbewerb liefen, war es vergönnt. Die Teams der restlichen 380 Berlinale-Filme latschten einfach so ins Kino. Vielleicht sind die nächsten Roten-Teppich-Geher unter ihnen. Also mal ein Blick zurück auf die Berlinale in die Perspektive Deutsches Kino, einer Reihe, die es seit 2001 gibt und der immerhin Robert Thalheim („Am Ende kommen Touristen“) und Benjamin Heisenberg („Schläfer“) gewissermaßen entsprungen sind. Im Jahrgang 2010 waren einige Frauenschicksale zu erleben, die in Berlin spielten. Da gab es die erstaunliche Entdeckung der „Frauenzimmer“ von Saara Aila Waaser. Sie hat drei Prostituierte in Berlin gefunden, die sich erst im reiferen Alter entschlossen haben, in dieses Gewerbe zu wechseln. Sie erzählen in dem Dokumentarfilm ihre Lebensgeschichten, vom Spaß am Sex und führen doch ein normales bürgerliches Leben. Selten hat man selbstbewusstere Frauen vor der Kamera gesehen. Und es ging ein Raunen durchs Kino, als die Domina unter ihnen ihr Alter verriet: 64.
Aber sie hat den Job inzwischen aufgegeben, er bietet nichts Neues mehr, jetzt macht sie in Tattoos. Das genaue Gegenteil ist Anna, der man immer sagen möchte: Trenn Dich doch von dem Kerl! Anna ist 23, lebt – wie so oft in Spielfilmen, die trauriges soziales Milieu zeigen – in Berlin-Marzahn und ist mit ihren drei Kindern völlig überfordert, dann ist sie wieder schwanger und will es nicht wahrhaben. Von der Geburt ist sie dann völlig überrascht. Zum Glück dauert dieses Filmelend nur 30 Minuten. Etwas länger – auch dieser ging nur gut eine halbe Stunde – hätte man gern den „Wives And Girlfriends“ kurz WAGs (so auch der Filmtitel) von Hertha BSC zugesehen. WAGs nennen die Engländer die Spielerfrauen, und in diesem Spielfilm treffen sich sozusagen zwei Neuzugänge auf der VIP-Tribüne. Die eine von einem Star-Neueinkauf, die andere von einem Jung-Spieler. Und es entspinnt sich eine interessante und witzige Geschichte, die beschreibt, wie sehr die WAGs glauben, im Rampenlicht zu stehen, aber eigentlich schon lange im Abseits sind. Zu den liebevollsten, feinsinnigsten Dokumentationen gehört „Die Haushaltshilfe“. Eine junge Slowakin geht bei einem deutschen Ehepaar (er ist ein Pflegefall, sie sitzt im Rollstuhl) in Stellung. Das Mädchen bemüht sich, doch die strenge Lore erweist sich als wahrer Hausdrachen. Allerdings ist sie dabei unfreiwillig komisch für den Zuschauer, doch für die Haushaltshilfe ist es die Hölle, unter der Knute von Lore zu dienen. Sie lässt sich aber nicht länger ärgern und geht vorzeitig mit dem Fazit nach Hause: Nie wieder im Ausland arbeiten. In einer heruntergekommenen Wohnung in Berlin-Mitte ist „Bedways“ angesiedelt. Eine Regisseurin versucht einen Film zu machen, zu dem sie eigentlich kein Konzept hat. Ein Mann und eine Frau sollen Sex miteinander haben, keinen gespielten, sondern echten, das möchte sie filmen und sehen, was sich daraus entwickelt. Es entwickelt sich nichts – außer Langeweile für den Zuschauer, manchen reichte es auch, und sie gingen, der pornographischen Szenen überdrüssig, einfach raus. Am Ende sieht man der Regisseurin minutenlang bei ihrer Selbstbefriedigung zu. Auch das ist Perspektive Deutsches Kino.
Martina Krüger