Glamour, Frost und Frust

Da half auch das herzerwärmendste Lächeln des Berlinale-Chefs Dieter Kosslick nicht mehr: Die 60. Berlinale war ein Frost- und Frust-Festival. Reden wir nicht davon, dass sich hier das deutsche Filmschaffen der Gegenwart nicht von seiner besten Seite zeigte. Der mit Spannung erwartete Oskar-Roehler-Film „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ wurde sogar mit Buh-Rufen bedacht. Auch das beachtliche Star-Aufgebot mit Tobias Moretti, Martina Gedeck, Gudrun Landgrebe, Armin Rohde, Justus von Dohnányi und vielen anderen konnte diesen unsicher zwischen Dokumentation und Fiktion schwankenden Zwitterfilm nicht retten, zumal Moritz Bleibtreu als Propagandaminister Goebbels eine peinliche Karikatur ablieferte.
Welche großartigen Kunstwerke dem deutschen Film hingegen schon 1927 zur zeitweisen Weltgeltung verhalfen, zeigte die rekonstruierte Fassung des Fritz-Lang-Films „Metropolis“, die im Rahmen der Berlinale im Friedrichstadtpalast uraufgeführt wurde. Um dieses Ereignis mitzuerleben, mischte sich sogar – vermummt und unerkannt – Hollywood-Star Leonardo diCaprio unters begeisterte Publikum. Aber die Fallhöhe zwischen dem EINST und dem JETZT in der deutschen Kinoproduktion machte dieser schwarz-weiße Stummfilm schmerzlich bewusst.
Doch der wahre Frust wurde keineswegs durch das Festival selbst, sondern durch das katastrophale Drumherum aus Schnee und Eis erzeugt. Senat, Stadtreinigung und sogar die Geschäftswelt versagten gleichermaßen vor den Anforderungen des ungewohnt harten Winters. Wer nicht zu den Prominenten zählte, die per Shuttle am roten Teppich ausgeladen wurden, stapfte auf dem Weg in den Berlinale-Palast über Schneehaufen, schlitterte über Eisplatten und konnte sich glücklich preisen, wenn er dabei nur seine Abendgarderobe ruinierte und sich nicht die Knochen brach.
Zu den Helden der diesjährigen Berlinale zählten eindeutig die weiblichen Stars, die sich den Fotografen zuliebe in tief dekolletierten bis rückenfreien Abendkleidern auf dem roten Teppich der Kälte aussetzten. Besonders ausdauernd tat das die schöne Martina Gedeck, zu der dann auch ein kecker Fotograf mit typisch Berliner Schnauze bewundernd sagte: „Sie müssen ja beheizte Strapse tragen!“ 
Vielleicht ist es – abgesehen vom Charme Dieter Kosslicks – diese Mischung aus Volksnähe (Besucherrekord mit 300 000 verkauften Eintrittskarten dieses Jahr!), Glamour und dem allen Widrigkeiten trotzenden Humor, die die Berlinale so anziehend macht, dass Stars wie Tilda Swinton immer wieder gerne an die Spree kommen.
Gudrun Gloth



 

42 - Frühjahr 2010