Mit dem 100 Jahre alten Segelschoner „Weiße Düne“ unterwegs im Windschatten von Usedom
„Würden Sie das noch einmal erklären. Ich habe mich verheddert.“ Der ältere Herr mit der eleganten weißen Sportmütze übt mit Inbrunst den einfachen Palstek. Ruhig steht Jane Bothe in der Sonne, entwirrt ihr Seilstück und führt, umringt von Mitreisenden, den leichten Seemannsknoten zum wiederholten Male vor. „Solche Übungen gehören für mich auf jeder Fahrt dazu. Es ist meine Philosophie, die Gäste einzubinden. Man muss die Leute unterhalten. Nicht permanent, aber so, dass es unaufdringlich und entspannend wirkt“, erklärt Jane Bothe nach der Tour. Immerhin dauert so ein Bootstrip über vier Stunden. Ständig nur die Landschaft an sich vorbeiziehen zu lassen und an Bord dösend das schöne Wetter zu genießen, reicht nicht. Gerade auf längeren Fahrten wollen die Gäste mit aktiv sein. Jane Bothe hat ihr Fach gelernt. Die 42-jährige gebürtige Berlinerin ist eine der wenigen Frauen, die in Deutschland ein großes Schiff führen dürfen. „Als Frau Kapitän, so steht es im neuen Duden, nicht mehr Kapitänin“, erklärt sie ihren Rang. Auch auf der „Weißen Düne“, dem 100 Jahre alten Top-Segelschoner, hat sie das Kommando. Als Decksmann – so hieß sie auch als Frau – und Matrose ist sie zwei Jahre auf Schiffen unterwegs gewesen. Dann fand die Berlinerin Aufnahme an der berühmten Enkhuizener Zeevaartschool in den Niederlanden, der Seefahrer-Nation schlechthin. Schule im Winter, Fahrten im Sommer, so hieß das berufsbegleitend. Der Unterricht wurde auf Holländisch abgehalten, weswegen die Deutsche jene Sprache heute fließend beherrscht. „Die Schule hat mir großen Spaß gemacht. Die Lehrer waren alle Fachleute aus der Praxis“.
Jane Bothe alle Fächer wie Dieselmotorenkunde, Meteorologie, Seerecht und all die praktischen Sachen nicht nur aus Einsicht in die Notwendigkeit, sondern auch mit viel Spaß abgeschlossen. „Ich wollte ja auch fertig werden, hatte schließlich Familie“, erklärt die Mutter von drei Kindern, die zunächst eine Lehrerlaufbahn in Berlin anstrebte, nebenbei aber nie das Segeln aus den Augen verloren hat. Auch ihr Mann, ebenfalls Berliner, als Florist und später Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft und jetzt tätig im pädagogischen Bereich, ist nicht auf dem Wasser groß geworden. Und teilt doch heute die Leidenschaft seiner Frau.
„Wir träumen davon, uns irgendwann einmal selbstständig zu machen. Mit einem eigenen Schiff Touren zu fahren und daneben Management-Training zu veranstalten“, sagt Jane Bothe. Der älteste Sohn könnte dann gleich mit einsteigen ins Familienunternehmen. Der 20 Jahre alte Merlin, der auch schon auf der „Weißen Düne“ ausgeholfen hat, lernt Schiffbauer.
Das Praktische liegt Frau Kapitän mehr als das Repräsentieren ihres Amtes. Dennoch bietet sie Kapitänsdinner an, „weil die Leute es mögen und zusätzlich buchen“. Jane Bothe würde aber ebenso gern die Rolle des Bootsmannes übernehmen: „Lieber mache ich eine Sache gleich selbst, bevor ich sie erklären und kontrollieren muss. Ich sehe zwar zart aus, aber Kraft habe ich genug“, zeigt sie Muskeln. „Letztlich ist auch alles eine Sache der Technik. Ich habe so viel Übung, dass ich das Schiff mit einem Matrosen allein steuern könnte“, erklärt sie den interessierten Passagieren, die sich an Bord überall tummeln dürfen, wo sie nicht im Weg stehen, sitzen oder liegen. „Dann sagen wir das schon. Ich bin bisher mit allen gut ausgekommen“, versichert Jane Bothe.
Besonderen Wert gelegt wird auf penible Ordnung und Sauberkeit an Bord, was die Optik angeht. „Das habe ich in Holland so gelernt. Das ist für Seeleute auch eine Frage der Ehre“, verweist Frau Kapitän auf ein blitzblankes Schiff. Manchmal ist das eine Sache von mehreren Stunden, denn Neppermin als einer der sommerlichen Heimathäfen ist ein Paradies für Vögel. Und die hinterlassen Spuren. Dennoch, Etikette muss sein.
Aber nicht wegen eines vielleicht übersehenen Möwen-Kleckses wird man nie einen Angestellten ohne Schuhe über die „Weiße Düne“ huschen sehen. „Das gehört sich einfach nicht, den Gästen gegenüber.“ Es ist nämlich kein Kinderspiel, den 46 Meter langen Schoner mit einem Tiefgang von nur 1,60 Metern durch das Achterwasser von Usedom zu steuern. An manchen Passagen kann Jane Bothe die Bojen gar nicht außer acht lassen. „Hier haben wir meistens wirklich nur die Handbreit Wasser unterm Kiel“, erklärt sie. Doch für die Mitreisenden ist es immer wieder ein grandioses Erlebnis, wenn der vollkommen neu aufgebaute historische Schoner seine 440 Quadratmeter Segelfläche an den bis zu 28 Meter hohen Masten ausbreitet und lautlos durch die Fluten gleitet. Meistens fährt das Plattbodenschiff auf dem Achterwasser Usedoms, doch auch Touren zur Insel Ruden, nach Stralsund oder um Rügen sind möglich. Wer auf das Schiff geht mit dem Vorurteil, an der Ostsee sollte man nicht durch das Hinterland-Gewässer schippern, der verlässt es mit der umgekehrten Meinung. Das Erlebnis auf der „Weißen Düne“ ist grandios. Kapitän Jane Bothe trägt einen großen Teil dazu bei.
Hans-Christian Moritz