Hermann Parzinger ist Historiker und Archäologe und seit Februar 2008 neuer Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Nachfolger von Klaus-Dieter Lehmann. Berlin vis-à-vis sprach mit ihm über seine vergangenen und neuen Aufgaben. Herr Parzinger, was hat Sie zur Archäologie bewogen? Ich wollte immer Geschichte studieren. Aber in der Archäologie sah ich den Vorteil, dass man mit einem besonderen Fund das Bild einer Epoche ganz und gar verändern kann. Mich hat auch das Interdisziplinäre der Arbeit fasziniert. Archäologie ist heute nicht denkbar ohne die Zusammenarbeit mit Biologen und Zoologen beispielsweise, welche die Wirtschaftsweise und Umwelt rekonstruieren und so dazu beitragen, ein umfassenderes Gesamtbild zu erstellen. Archäologie ist die Geisteswissenschaft, die am stärksten mit Naturwissenschaften kooperiert. Wenn Besucher durch die großen Museumsausstellungen gehen, verharren sie vor den Artefakten, um diese zu bestaunen. Genügt das dem Archäologen? Die Menschen zum Staunen zu bringen, ist ganz entscheidend. Staunen und Nachdenken begleitet jeden innovativen Prozess, ganz im Humboldtschen Sinne: erfreuen und belehren. Sie haben in Spanien, im Orient und Sibirien ausgegraben, wo war es am spannendsten? Schwer zu sagen, aber Sibirien war etwas Besonderes, eine wunderbare Zusammenarbeit, und dann beeindruckte mich die Endlosigkeit der Landschaft. Hier konnten Sie einen Ihrer berühmtesten Funde ausgraben, den Goldschatz der Skythen. Ja, es ist ja ein ganz anderes emotionales Erlebnis, wenn man die unversehrte Balkenabdeckung eines Grabes nach 2500 Jahren entfernt und dann auf einen Blick alle Beigaben sieht. Das kann man nicht mit tagelangem Freipinseln von Fundstücken in der Erde vergleichen. Zum Abenteuer gehört auch das Wohnen in Zelten? So ist es, aber kein Archäologe hätte etwas gegen ein gemütliches Grabungshaus mit Rotwein und guter Pasta statt Wodka und Buchweizengrütze. Sie haben das Graben nun endgültig gegen den Schreibtisch getauscht? Ich verbrachte ja schon seit 1995 geraume Zeit am Schreibtisch, als ich zunächst zum Direktor und 2003 dann zum Präsidenten des Deutschen Archäologischen Instituts berufen wurde. Doch eine gewisse Zeit im Sommer wird auch weiterhin dem Ausgraben gehören. Seit einem guten Jahr sind Sie im Amt als Präsident der Stiftung. Das schönste Ereignis war sicher die Schlüsselübergabe für das Neue Museum, aber was hat Ihnen Bauchschmerzen bereitet? Die einzelnen Events und Ausstellungen haben mir keine Sorgen bereitet, Aber langfristige Prozesse, die man nur schwer selbst beeinflussen kann, wie die Finanzentwicklung, wiegen da schwerer. Seit 1996 erhielt der Stiftungshaushalt keinen Zuwachs mehr, während Personal- und Bewirtschaftungskosten enorm gewachsen sind. Diese Steigerungen müssen wir mit Programmmitteln ausgleichen. 2009 ist in dieser Hinsicht ein sehr schwieriges Jahr, das wir überstehen müssen. Für 2010 gibt es positive Anzeichen, dass wir dann endlich aus dem Gröbsten herauskommen. Das Humboldt-Forum zur Ergänzung der Museumsinsel schafft eine enorme Konzentration der Kultur. Es entsteht der Eindruck einer etwas bombastischen Mitte-Zentralisation? Wir wollen keine Zentralisierung, es gibt ja auch noch andere wichtige Museumsquartiere in Berlin. Doch Museumsinsel und Humboldt-Forum werden eine einmalige Präsentation der Weltkulturen schaffen und sie gleichberechtigt nebeneinander treten lassen. Dieses Vorhaben wird zeigen, wie sich das Deutschland von heute als moderne Kulturnation sieht. Sind Sie zufrieden mit dem Entwurf des Architekten Franco Stella, oder ist da nicht eine Chance vergeben worden? Ich akzeptiere die Entscheidung des Bundestages und finde es selbst wichtig, dass man zurückgreift auf die Historizität des Ortes und dabei aber das Gesamte weiterentwickelt, insbesondere in Bezug auf die Ostfassade und die innere Ausgestaltung. Die inhaltliche Idee des Humboldt-Forums mit einem gänzlich neuen Kunst- und Kulturerfahrungszentrum ist zukunftsweisend. Museum, Bibliothek und Universität haben ihre Keimzelle im Schloss. Nun kehren sie an ihren Ursprungsort zurück. Diese Ideen sind bereits seit Jahren vorgedacht. Hätten Sie sich mehr Spielraum für eigene Aufbrüche gewünscht? Die aktuelle Arbeit daran bereitet genügend Gestaltungsspielraum. Ich entwickle die Ideen Klaus-Dieter Lehmanns weiter, wie er an die Leistungen seines Vorgängers anschloss. Mit der deutschen Vereinigung begann ein Prozess der Zusammenführung von Sammlungen, Bibliotheken und Archiven, der über Jahrzehnte geht, dabei aber unglaubliche Chancen bietet. Es ist eine große Umsortierung der Kunstschätze geplant. Muss man die ganze Kunst- und Kulturgeschichte derart perfekt aufräumen? Hier geht es nicht um übertriebenen Perfektionismus, aber notwendige Veränderungen müssen kommen: Dazu gehört der Weg der außereuropäischen Sammlungen in die Mitte Berlins. Gegenüber der Museumsinsel wird bis 2012 ein Kompetenzzentrum entstehen, das wichtige Funktionen der Häuser auf der Insel aufnimmt und zusammenfasst. Ferner muss die Neue Nationalgalerie dringend saniert werden. Und der Gedanke, die Skulpturen des Bode-Museums in einen Dialog mit Gemälden zu bringen, ist ebenfalls faszinierend. Aber wann und wie dieses Vorhaben realisiert werden kann, ist offen. Wir halten es ferner für überlegenswert, das Kulturforum zu einem Gemäldestandort auszubauen. Die Debatte um den Gemäldestandort ist noch nicht abgeschlossen? Erstens ist klar, dass das Kulturforum weiterentwickelt werden muss. Zweitens steht fest, dass wir dringend eine Galerie für die Kunst des 20. Jahrhunderts brauchen. Der Mies-van-der-Rohe-Bau ist inzwischen zu klein, bei größeren Sonderausstellungen müssen meist die Bestände der Neuen Nationalgalerie weichen. Doch die Besucher aus aller Welt kommen auch nach Berlin, um hier die Kunst der Klassischen Moderne zu sehen, Expressionismus und Surrealismus. Berlin steht auch für diese Zeit. Was sind die wichtigsten Ereignisse in nächster Zeit? Am 16. Oktober wird das Neue Museum eröffnet, das ist das große Ereignis in diesem Jahr. 2010 beginnt der Bau des Eingangsgebäudes, ferner weihen wir den Lesesaal der Staatsbibliothek Unter den Linden ein. Wir danken für das Gespräch. Anita Wünschmann
Wir wollen keine Zentralisierung
39 - Sommer 2009