Trotz des Senatsbeschlusses von 2008, das ICC zu erhalten und 2010 mit der Sanierung des Gebäudekomplexes zu beginnen, gibt es politische Widerstände. Nun gerät der jahrelang währende Streit um das markante Berliner Bauwerk zum bizarren Vexierspiel.
Wenn unterschiedlich motivierte Interessengruppen an ein und derselben Sache beteiligt sind, steht am Ende meist und allenfalls ein Kompromiss. In aller Regel ein solcher, der die Kosten in die Höhe treibt, denn er soll ja alle Seiten zufrieden stellen. So im Falle der bevorstehenden Sanierung des ICC, ein West-Berliner Wahrzeichen, besonderes Bauwerk und eines der weltweit größten und erfolgreichsten Kongresszentren. Nach einem Beschluss des Berliner Senats aus dem Jahr 2008 sollte die Sanierung ursprünglich 182 Millionen Euro kosten, nach neuesten Planungen, die eher als Schätzungen zu bezeichnen sind, nun rund 260 Millionen Euro. Ob neue Asbestfunde im Gebäude oder neu veranschlagte Umbauten für die höheren Kosten verantwortlich sind, vermag niemand eindeutig zu sagen. Doch damit nicht genug. Weil eine Sanierung bei laufendem Betrieb technisch nicht möglich sei und auf die Einnahmen aus dem Kongressgeschäft nicht verzichtet werden könne, müsse ein Ersatzbau her, der mit etwa 100 Millionen Euro veranschlagt wird. Das Land Berlin müsste demnach rund 360 Millionen Euro aufbringen, um das ICC „absolut modern und zeitgemäß“, wie es 2008 hieß, zu sanieren.
Doch um die Sanierungskosten allein geht und ging es bei der Zukunftsplanung für das ICC nicht. Denn 2008 wurde mit dem Senatsbeschluss nicht etwa ein Schlusspunkt unter die Debatte um Abriss oder Sanierung gesetzt, sondern der Streit offenbar unterschiedlicher Interessengruppen erhitzt nach wie vor die Gemüter. Während die Architektin Ursulina Schüler-Witte, die gemeinsam mit ihrem Mann Ralf Schüler das ICC entworfen hat, eine „Rache für den Abriss des Palastes der Republik“ sieht und der Berliner Architekten- und Ingenieur-Verein (AIV) der Messegesellschaft unterstellt, die Instandhaltung des Gebäudes über Jahre vernachlässigt zu haben und den Beginn der ICC-Sanierung zu blockieren, schloss Finanzsenator Ulrich Nußbaum noch zu Beginn des Jahres plötzlich einen Abriss nicht mehr aus. Eine neue Senatsvorlage für den Ersatzbau bestätigte wiederum erst im Mai die Version der Sanierung, die ab 2013 innerhalb von drei Jahren abgeschlossen sein soll.
Warum das ICC zum Streitobjekt wurde, hat sicherlich nicht ausschließlich politische und auch nicht ausschließlich wirtschaftliche Gründe. Entscheidungen über wichtige und die Stadt prägende Bauwerke haben in Berlin stets hitzige Debatten heraufbeschworen. Erinnert sei an den Palast der Republik, dessen Abriss nicht allein seiner Asbestbelastung geschuldet war.
Vergleichbar sind beide Gebäude dennoch nicht. Während der Palast der Republik hauptsächlich staatspolitische Bedeutung hatte, war das ICC vorwiegend der Funktion verpflichtet. 1979 fertiggestellt, ist die Betonung der technischen Elemente und die eigentümliche plastische Gestaltung dafür charakteristisch. Insofern sind Bezüge zum zwei Jahre zuvor eröffneten Centre Pompidou in Paris augenscheinlich, das immerhin als ein architektonischer Meilenstein in Richtung Postmoderne gilt. Insofern müsste auch dem in dieser Tradition stehenden ICC eine ganz besondere Bedeutung zukommen. Außerdem steht weder seine Funktion noch sein wirtschaftlicher Erfolg – auch in Verbindung mit der Messe Berlin – in Frage. Dass dennoch die Kontroverse um seine Zukunft nicht abreißt, ist nicht wirklich nachzuvollziehen, zumal ein Neubau nach Ansicht der Architekten mindestens das Dreifache einer Sanierung kosten würde.
Allenfalls wären da noch die Einnahmen aus dem Kongressgeschäft, auf die Berlin während einer Sanierung verzichten müsste, woraus sich die Forderung nach einem Ersatzbau für hundert Millionen Euro speist: ein nahezu sarkastisch anmutendes Verlangen angesichts klammer Haushaltskassen. Als hätte Berlin nicht andere attraktive Veranstaltungsorte, die für Kongresse und Tagungen zeitweilig genutzt werden könnten.
Reinhard Wahren