Die Gegend um die Florastraße im Bezirk Pankow ist bei weitem nicht so angesagt wie der Kollwitzplatz oder der Boxhagener Platz. Noch nicht, muss man wohl sagen – denn immer mehr Berliner mit und ohne Kinder entdecken dieses angenehme Wohngebiet.
Daniel Prusseit steht in der Alten Mälzerei, und seine Augen leuchten vor Begeisterung. Noch braucht es zwar viel Phantasie, um sich angesichts nackten Betons und großer Löcher im Fußboden die Wohnung vorzustellen, die der 30-jährige Software-Entwickler im Herbst dieses Jahres beziehen wird. Vor dem geistigen Auge Prusseits aber hat sein künftiges Zuhause längst Gestalt angenommen: hier die offene Küche und das Wohnzimmer, da das Gäste-WC; die Wendeltreppe, die zur Galerie der Maisonette-Wohnung führen wird; auf der oberen Ebene Arbeits- und Schlafzimmer – und das alles in einem beeindruckenden Industriedenkmal.
Die Alte Mälzerei, gelegen zwischen Mühlenstraße und Neuer Schönholzer Straße, steht beispielhaft für die Entwicklung, welche die Gegend um die Pankower Florastraße derzeit durchmacht. Seit der Wende stand der Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Komplex leer, in dem jahrzehntelang Malz hergestellt worden war. In den neunziger Jahren gab es Pläne, im Industriedenkmal ein Multiplexkino sowie Läden und Restaurants unterzubringen. Daraus wurde nichts – zum Glück, möchte man heute sagen. Denn 2007 erwarb das Nürnberger Unternehmen Terraplan die Immobilie und wandelte sie in Wohnraum um. Mit durchschlagendem Erfolg: Obwohl sich die Preise mit bis zu 3.500 Euro pro Quadratmeter auf einem für Berliner Verhältnisse hohen Niveau bewegen, waren die rund 140 Wohnungen binnen kurzer Zeit verkauft. Im Mai dieses Jahres sind die ersten Mieter und Eigentümer eingezogen; den zweiten Bauabschnitt will die Terraplan ebenfalls noch 2010 fertigstellen.
Für Prusseit ist der Standort ideal. „Man ist hier nah an der Innenstadt, aber gleichzeitig ist es grün, und die Panke ist ganz in der Nähe. Außerdem gefällt mir, dass alles ein bisschen ruhiger und familiärer ist als in Prenzlauer Berg.“ Tatsächlich ist man mit U- und S-Bahn schnell in der Innenstadt. Zugute kommt dem Kiez zudem, dass er um das Jahr 1900 als Wohnort für das gutsituierte Bürgertum konzipiert wurde. Repräsentative Fassaden und kleine Vorgärten vermitteln deshalb ein Gefühl der Gediegenheit. Besonders eindrucksvoll zu erleben ist dieses Ambiente in dem 1895 errichteten und heute zum Kommunalen Museumsverbund Pankow gehörenden Haus in der Heynstraße 8, wo die ehemalige Wohnung des Stuhlrohrfabrikanten Fritz Heyn im Originalzustand zu besichtigen ist (geöffnet dienstags, donnerstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr).
Nach der Wende war vom einstigen Glanz allerdings wenig geblieben. Angesichts einer vernachlässigten Bausubstanz und eines hohen Ladenleerstands erklärte der Senat die Gegend zwischen Wollankstraße, Florastraße und Berliner Straße 1995 zum Sanierungsgebiet. Der Erfolg ist nicht zu übersehen: Die meisten Häuser sind mittlerweile saniert, und in viele Geschäfte ist wieder Leben eingekehrt. Vor allem Familien scheinen sich hier wohlzufühlen – jedenfalls begegnet man auf der Straße auf Schritt und Tritt kleinen Kindern.
Links: Das Geschäft Cathé fleur bietet ein ausgesuchtes Sortiment an Tee, Kaffee, Schokolade, Likören und Senf (Florastraße) Rechts: Hofgebäude in der Florastraße
Kein Wunder, dass die Florastraße mittlerweile über eine kindgerechte Infrastruktur verfügt. Das Café Schönhausen (Florastraße 27) ist ebenso auf Kinder eingestellt wie die Buchhandlung Buchsegler (Florastraße 88/89) oder die zahlreichen Klamottenläden, die auf Namen wie Wunschkind oder Über Stock & Stein getauft wurden. Während sie alle erst in den letzten Jahren aufgemacht haben, gibt es einige wenige Institutionen, die schon frühzeitig das Potential des Kiezes erkannten: das Kleintheater Zimmer 16 (Florastraße 16) etwa oder das Cathé fleur (Florastraße 64), in dem Katharina Wahren seit elf Jahren ein liebevoll ausgesuchtes Sortiment an Tee und Kaffee, aber auch an Schokolade, Likören, Senf und anderen Köstlichkeiten anbietet.
„Viele interessante Leute wohnen in der Nähe – Politiker, Literaten, Künstler“, berichtet Katharina Wahren. Wie Daniel Prusseit schätzt auch sie es, dass es im Kiez entspannter zugeht als in Prenzlauer Berg. In Zukunft, da ist sich die Geschäftsinhaberin sicher, wird der Wohnort noch gefragter sein – dann nämlich, wenn nach der absehbaren Schließung des Flughafens Tegel keine Flugzeuge mehr über die Häuser donnern werden.
Schon jetzt haben sich Investoren attraktive Grundstücke gesichert. Darunter sind Baugruppen, die sich ihren Traum vom selbstbestimmten Wohnen erfüllen wollen, aber auch große Projektentwickler. So soll auf der Brachfläche an der Flora-/Ecke Gaillardstraße, wo bis in die neunziger Jahre ein Elektrokeramikwerk stand, unter dem Namen Floragärten eine Wohnanlage mit Townhouses und Etagenwohnungen entstehen. Bereits begonnen haben die Bauarbeiten in der ehemaligen Garbáty-Zigarettenfabrik zwischen Hadlich- und Berliner Straße, ganz in der Nähe des S- und U-Bahnhofs Pankow. Die Würzburger Hilpert-Gruppe will hier 160 Eigentumswohnungen schaffen und damit der 1906 vom jüdischen Unternehmer Josef Garbáty-Rosenthal errichteten Fabrik neues Leben einhauchen.
Garbáty war eine bedeutende Persönlichkeit; unter anderem unterstützte er das benachbarte Jüdische Waisenhaus finanziell. Dieses gehört mittlerweile einer Stiftung, die es saniert und darin die Stadtbibliothek Pankow untergebracht hat. Geschichtsinteressierte sollten außerdem in der Görschstraße einen Blick auf den imposanten Komplex des Ossietzky-Gymnasiums werfen, der – 1910 im Stil der Spätrenaissance errichtet – vom Gestaltungsanspruch des späten Kaiserreiches zeugt. Bescheidener ist die ganz in der Nähe gelegene Alte Bäckerei (Wollankstraße 130; geöffnet nur dienstags von 11 bis 17 Uhr), die dank der Initiative der Eigentümerin Ruthild Deus zu einem kleinen, hoch interessanten Museum geworden ist. Sogar der Holzofen wird wieder angefeuert: Dienstags und freitags von 15 bis 18 Uhr wird an Ort und Stelle gebackenes Holzofenbrot in Demeter-Qualität verkauft. Ein echtes, natürliches Produkt – eben wie der ganze Kiez um die Florastraße.
Text: Emil Schweizer
Fotos: Michael Haddenhorst