Wahre Schönheit kommt von ihnen

Malweiber - ein Buch über Künstlerinnen um 1900

Wer mit der Fähre von Stralsund kommend auf Hiddensee zuhält, sieht die weißen Häuser des Doppelortes Neuendorf-Ploogshagen schnurgerade aufgereiht, als würden sie schweben über dem Eiland. Elisabeth Büchsel hat das so gemalt, vor langer Zeit. Im Hafen sitzen die alten Seeleute wortkarg in ihren neuen Manchesterhosen an der warmen Hauswand und nehmen die Eintagsfliegen ins Visier, die mal wieder in Hiddensee einfallen. Tagesgäste heißen dort so. Morgens hin, abends zurück.

Elisabeth Büchsel eine Eintagsfliege zu nennen, wäre Unsinn, aber eine echte Hiddenseerin war sie auch nicht, obwohl die 1867 in Stralsund geborene Malerin bis zu ihrem Tode 1957 dort immer wieder die Sommermonate verbrachte. Fast alle Insulaner ihrer Zeit porträtierte sie: die Fischerfrauen, Kinder mit roten Backen und weizenblonden Zöpfen. Sommerfrischler natürlich. Wunderschön, ihre stimmungsvollen Landschaftsbilder, die Schilfufer, die windgebürsteten Bäume und wilden Wolkenhimmel. „Unsere Tante Büchsel", sagen die Hiddenseer noch heute, wenn sie von ihr sprechen.


Das zu Ende gehende 19. Jahrhundert ließ überall Maler und Malerinnen in die Natur streben. Frauen insbesondere erfahren noch bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts kaum Anerkennung für ihre Kunst. Es bildeten sich Kolonien, wo ihr Können blühen konnte. Gern fuhr man an die Ostseestrände, um das naive Strandleben einzufangen. Worpswede wurde erobert, und auch Hiddensee hatte seine Malweiber. Henni Lehmann gründete dort 1922 einen Künstlerinnenbund. Elisabeth Büchsel, die erst Privatstunden in Malen nimmt und dann in Berlin studiert, hat eine Studienkollegin, die heute jeder kennt: Paula Becker, die spätere Paula Modersohn-Becker. Später studieren die beiden Frauen noch einmal am selben Ort: in Paris.

Paula Modersohn-Becker kennt heute alle Welt. Elisabeth Büchsel, die gleichfalls begabte, gilt hauptsächlich auf Hiddensee als Attraktion. Im Elisabeth-Sandmann-Verlag ist jetzt ein Porträt-Buch all derjenigen Künstlerinnen erschienen, die - bis auf wenige - nur Liebhabern bekannt sind. Es ist nach Malkolonien strukturiert und erzählt den Auftritt der Malweiber ihrer Zeit, wo sie studierten und welche Orte in Deutschland schließlich ihre Schaffensorte waren. Womit wir wieder bei Paula Modersohn-Becker wären, der wohl bekanntesten unter den Malweibern ihrer Zeit.

Elisabeth Büchsel finden wir im Kapitel Hiddensee wieder. Ihr Foto zeigt eine listige, frech lachende alte Dame, die all ihr Können mit Herz und Liebe in ihre wundervollen Bilder fließen ließ. Eine Generation vor Büchsel lebte schon Antonie Biel auf Hiddensee. In ihren stimmungsvollen Bildern erkennt man die Tochter eines Landschaftsmalers. Oder Clara Arnheim, die besonders schön das strahlende Licht Hiddensees einfing, das auf den Hauben der Dorfmädchen gleißte.

Ahrenshoop, Nidden, aber auch Anita Rée in Hamburg und Julie Wolfthorn in Berlin - die malte hinreißende moderne Frauenporträts im Flair des Jugendstils. Julie Wolfthorn gehörte neben Käthe Kollwitz und Dora Hitz zu den bekanntesten Künstlerinnen Deutschlands. Auch sie reiste gern nach Hiddensee. Ein wundervolles Foto zeigt sie (voran) mit unterm Arm geklemmtem Malzeug samt ihren Helferinnen im Gänsemarsch in die Natur ziehen.

„Ich will alles malen, was ich will und wie ich es will", hat Charlotte Berend-Corinth gesagt. Charlotte war nicht nur Ehefrau des längst berühmten Lovis Corinth. Sie war als Malerin eine echte Tabubrecherin. Eines ihrer Bilder im Buch zeigt eine nackte Gebärende in dramatischen Farben mit leuchtend roten Brustwarzen. Nicht zu vergessen Sophie Taeuber-Arp, eine Vorreiterin der abstrakten Kunst. Sie lebte in Zürich, Straßburg und Paris und hatte schon zu Lebzeiten großen Erfolg.

Katja Behling und Anke Manigold haben 42 Künstlerinnen ausgewählt und ihre Geschichte erzählt. Else Lasker-Schüler ist genauso dabei wie Gabriele Münter. Man lernt ihre Kunstwerke kennen und die Künstlerinnen jung oder im Alter auf anrührenden Schwarz-Weiß-Fotos. Die Frauen kamen nicht selten aus dem gehobenen Bürgertum oder aus adligem Hause, wo die Beschäftigung mit Kunst ihnen eigentlich nur als Zerstreuung dienen sollte. Einige setzten ihr Können in Ehrgeiz um. Unerschrocken gingen sie ihren Weg.

Elisabeth Büchsel war die Tochter eines Tuchhändlers. Die Eltern förderten die Begabung ihrer Tochter. In ihrer Heimatstadt Stralsund war sie Porträtmalerin der besseren Gesellschaft. Auf Hiddensee porträtierte sie Fischer beim Netzeflicken, Kinder auf dem Schulweg, den Bauern mit der Sense zwischen Heuhaufen und Haus, Kornhocken und Frauen mit den weißen Hiddenseer Tüppelhauben.

Erst Mitte der neunziger Jahre besannen sich die Hiddenseer ihrer Berühmtheit, als eine Berliner Galerie einige ihrer Bilder zum Verkauf ausstellte. Siebzig bis achtzig echte Büchsel sind noch auf der Insel. Privat, in den Wohnstuben der Hiddenseer. „Finden Sie nicht dass der Stralsunder Hafen aussieht wie von Turner gemalt?", sagt einer stolz. Das Büchsel-Grab auf dem Ende der 60er Jahre stillgelegten Stralsunder St. Jürgen-Friedhof am Alten Knieper, der als historischer Ort der Stadt obliegt, kann man besuchen, vor oder nach der Reise gen Hiddensee.

Inge Ahrens

 

 

Buchtipp:
Katja Behling/Anke Manigold: Die Malweiber.
Unerschrockene Künstlerinnen um 1900, 160 S.,
Elisabeth Sandmann, München 2009, 24,80 Euro

39 - Sommer 2009