Seit Mai dieses Jahres ist der „me Collectors Room Berlin“ eröffnet und gibt mit Wechselausstellungen und einer ständigen Wunderkammer Einblicke in die private Kunstsammlung von Thomas Olbricht. Der promovierte Chemiker und Endokrinologe aus Essen war als Familienangehöriger zuletzt als Aufsichtsratsvorsitzender der Wella-AG tätig. Seine in fünfundzwanzig Jahren zusammengetragene Kunstsammlung umfasst 2500 Werke aus der Renaissance bis zur Gegenwartskunst. Ein Gespräch mit dem Sammler Thomas Olbricht.
Seit einem Vierteljahr gibt es jetzt den Kunstraum in der Auguststraße. Wie wurde die erste Ausstellung von den Besuchern angenommen?
Die meisten Menschen sind offensichtlich begeistert. Sie sind angetan von der Atmosphäre des Hauses mit dem großzügigen Café als Treffpunkt, der Wunderkammer und der Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Besonders beliebt ist die Wunderkammer mit den Objekten aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Diese ja seltenen und auch seltsamen Dinge veranlassen die Besucher zum Staunen. Es ist schön zu sehen, dass das Zusammenspiel von ausgewähltem Kunsthandwerk und zeitgenössischer Kunst funktioniert.
Zu sehen ist ein Kunst- und Menschenbild, das sich auf existentielle Zustände, auf Verletzungen, Gefährdungen, Tod und Sexualität bezieht. Es findet nichts statt, was den Menschen darüber hinaus auch ausmacht.
Ja, das ist es vielleicht, was Irritationen ausgelöst hatte. Es geht mir um das Thema Liebe, Leben, Tod, das ich allerdings schon seit zehn Jahren verfolge und in verschiedenen Institutionen gezeigt habe. Es fokussiert auf einen Aspekt meiner Sammlung, den wir eben jetzt herausgestellt haben. Es ist mir wichtig und macht auch erlebbar, welche Botschaften die Künstler über die Jahrhunderte hinweg und eben auch in der Gegenwart mit
figürlicher Kunst vermitteln wollen. In den letzten 500-600 Jahren hat man sich mit dem Grundrhythmus des Lebens, zu dem eben Liebe, Sexualität und Tod gehören, auseinandergesetzt. Und ich muss sagen, es sind nicht banale Darstellungen, wie die Kritik hier und da geschrieben hat, sondern Sie finden Werke mit subtilen Bildfindungen, auf die man sich einlassen muss. Ich wünschte mir ein genaueres, nicht klischeebehaftetes Sehen.
Was hat Sie aus Essen in die Auguststraße mit ihrem eigenen Kunstkontext geführt?
Gleich nach dem Mauerfall war es eher ein Zufall. Ich hatte Klaus Biesenbach kurz nach Gründung der Kunstwerke kennengelernt, und er lud mich in die Auguststraße ein und zeigte mir noch freie Flächen. Überhaupt gab es ja nicht nur hier, sondern überall in Mitte noch etliche Freiflächen und viel Interesse. Einige der Vorhaben sind gescheitert, und vor sechs Jahren war dieses Grundstück noch immer verfügbar, und ich habe mich dann schnell entschlossen, zumal die Entscheidung für Berlin sowieso klar war.
Die Architektur erregt nach wie vor die Gemüter. Der Bau nimmt zwar formale Elemente der weiteren Nachbarschaft auf, wirkt aber, als wäre ein Gewichtheber im Ballettsaal gelandet.
Bezüglich der Architektur schreibt einer vom anderen ab, und keiner denkt nach, ob es auch anders sein kann. Hier wird etwas verunglimpft. Man muss aber bereit sein, sich mit der Architektur auseinanderzusetzen. Man darf ja auch nicht Gegebenheiten außer Acht lassen, die Kompromisse nötig machen. Wir hatten ein schwieriges Grundstück mit einer sehr schmalen Vorderseite und einer großen Tiefe und dazu auch die Auflage, Wohneinheiten zu integrieren. Es ist ja nur zu einem Drittel ein Bau für die Kunst.
Das Haus zeigt breite Schultern...
Man muss sehen, dass es neben einer Freifläche mit einem Fußballplatz steht und auf der anderen Seite von den Kunstwerken begrenzt ist, einem Domizil, das nur die halbe Traufhöhe zur Umgebung aufweist, dadurch wirkt unser Haus dominant. Es ist dabei genauso groß wie alle anderen Häuser der Straße.
Es gab nicht nur begeisterten Empfang in Berlin, sondern viel Kritik. Sind Sie ein Wagnis eingegangen?
Es war mir ein großes Anliegen, die ganzen Arbeiten, die ich sammle, der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ich war mir bewusst, dass ich mich einem Widerspruch ausliefere, gegen den ich gar nichts machen kann, habe aber nicht mit dieser harschen Kritik gerechnet. Ich nehme sie jetzt sportlich. Es wurde ja vor allem auch gegen das Ausstellungskonzept polemisiert, Werke einander gegenüberzustellen und Objekte aus anderen Zeiten und Kontexten, dialogisch aufeinander zu beziehen. Das wollte man nicht haben. Es wird sich aber durchsetzen, Kunstentwicklungen auch anders zu zeigen und nicht einem kuratorischen Mainstream zu folgen.
Es gab aber auch von Leuten, die schon lange im Geschäft sind, positive Urteile. Das Schöne ist ja, dass es in den anderen privaten Sammlungsräumen in Berlin diese Dinge nicht gibt. Es überlagert sich nichts. Wie sollte es auch ein Anliegen sein, eine Multiplizität von Sammelkunst zu schaffen? Für alle ist es bereichernder, wenn auch Namen hinzugefügt werden, die bisher nicht so wahrgenommen wurden. Ich will dabei nicht behaupten, dass alles, was ich sammle, große Kunst ist, aber es ist Kunst, die ich liebe. Das ist das Wichtigste.
Was werden Sie in Zukunft zeigen?
Als nächstes werden wir eine Werkserie des chinesischen Künstlers Ouyang Chun zeigen und im Frühjahr abstrakte Kunst. Die Kritiker werden staunen, dass Olbricht nicht nur Liebe, Leben, Tod ist. Der Anfang war bewusst eine Schau ohne große Namen, ein Thema, das ich liebe, und eine Malerei, die ich sehr schätze, weil man sich wunderbar seine eigenen Geschichten dazu vorstellen kann.
Gibt es ein Schlüsselwerk, das beim ersten Mal unbedingt dabei sein sollte als Auslöser für den bildnerischen Dialog?
Ich nenne mal drei Werke, die mir am Herzen lagen. Zuerst das Gemälde von Kehinde Wiley, das Michael Jackson hoch zu Ross in Fürstenpose darstellt. Dann von Terry Rodgers „The sacrificial Penumbra“, eine Dame im Oberklasseninterieur der Vereinigten Staaten. Das Bild einer Partygesellschaft. Und das Bild „Goldlicks“ von Marilyn Winter, einer Künstlerin aus den USA. Wir sind beide Jahrgang 1948. Ich kenne sie auch persönlich.
Jackson auf dem Pferd ist insofern ein Schlüsselwerk der Ausstellung, weil es zwischen besonderer Kunst und Kitschkunst oszilliert. Die Waage muss sich aus dem Dialog heraus der einen oder anderen Seite zuneigen. Die Frage ist, wird es bedeutend oder geht es unter? Wie unklar so etwas am Anfang eines Schaffens ist, konnte man am Werdegang von Jeff Koons beobachten.
Sie selbst tragen zur Wertstabilisierung bei, indem Sie Ihre Werke in Sammlerräumen präsentieren, die heute als Parallelmuseum funktionieren.
Man liest ja zur Zeit sehr viel darüber, welchen Einfluss Privatsammler haben. Ich bin sehr skeptisch, ob die gängigen Bedeutungszuschreibungen auch nur einen Hauch von Gültigkeit haben. Die Kunst muss für sich selbst bestehen, egal ob da ein Olbricht oder sonst wer sammelt, welche Auktionshäuser und Institutionen den Prozess vorantreiben. Sehen Sie die Neue Leipziger Schule. Neo Rauch ist der Held, aber um die anderen ist es ja schon deutlich ruhiger, deren Kunst ist aber nicht schlechter geworden. Die Kunst agiert auf dem Markt, das ist aber nur ein Segment der Annahme durch die Gesellschaft.
Es gibt eine große Debatte um die Erkennbarkeit von Qualität?
Ich folge Harald Falckenberg, der in „Lettre International“ einen Aufsatz zu seiner Sammlererfahrung veröffentlicht hat. Es bedarf eben einer jahrzehntelangen Seherfahrung, um Qualität bemessen zu können oder
einen Qualitätsblick zu bekommen. Dieses Erkennen passiert oft auch intuitiv. Man erfasst Dinge, die man eigentlich nicht sieht. Da gibt es eine Vergleichbarkeit mit der Medizin, wenn jemand mit einem hochqualifizierten, geschulten Blick Ultraschallaufnahmen auswertet.
Welche Kunstbegegnung hat bei Ihnen zum ersten Mal das Gefühl der Intensität, eine vertiefte Neugierde hervorgerufen?
Ich kann mich an verschiedene Momente der intensiven Begegnung erinnern, die auslösenden Charakter für meine eigene Zuwendung zur Kunst hatten. Zuerst einmal hing bei meinem Großvater, dem Bruder des Kunstsammlers Karl Ströher, eine Marschlandschaft von Emil Nolde. Dieses Bild hing über einem Sessel, auf dem mein Großvater stets seinen Mittagsschlaf hielt. Dieses Bild hatte mich als Kind in seinen Bann gezogen. Dann gab es noch einen zweiten Nolde mit dieser Wirkung auf mich. Es zeigt eine Dame mit einer roten Rose. Das hing zu Hause, und es ist das einzige Bild aus dem Besitz meiner Eltern in meiner Sammlung. Ich hüte es wie meinen Augapfel. Als Drittes muss ich eine Arbeit von Oskar Schlemmer erwähnen. Darauf sind drei Damen abgebildet. Die in der Bildmitte befindliche Figur mit sehr langem Haar wird von den anderen beiden gekämmt. Das Bild heißt: „Kämmen das Haar wir“. Es hatte mich schon als Jugendlicher fasziniert. Das Sujet hatte ja mit der Vergangenheit, mit der Firma Wella zu tun, und ich konnte es aus dem Nachlass erwerben. Dann gibt es noch die von mir öfter erzählte Beuys-Geschichte. Es war wirklich prägend, als Karl Ströher fast achtzigjährig, also Ende der Siebziger, den Beuys-Block erwarb und in Darmstadt ausstellte. Da erlebte ich Beuys ganz nah mit seinen Insignien – Fliegerjacke und Hut.
Die Wella-Erbenfamilie ist sehr kunstfreudig. Es existieren mindestens drei Sammlungen – gibt es Dialog oder Wettbewerb?
Unsere Sammlungen liegen thematisch sehr weit entfernt voneinander. Darum ist der Gedanke an Konkurrenz von vornherein falsch. Richtig ist, dass wir uns alle für Kunst interessieren. Aber es wird oft übersehen, dass es nicht nur die Kunst ist, die unser Leben bestimmt.
Sie sind Vorstandsmitglied der Essener Ehrenamtsagentur. Geben Sie uns ein Beispiel für diese Engagement!
Essen ist eine sehr unterschiedlich strukturierte Stadt mit großen sozialen Gegensätzen zwischen Norden und Süden. Ich bin im Norden tätig. Dort unterstützen wir Jugendliche aus schwierigen Milieus zum Beispiel mit Computerkursen. Dann haben wir das Projekt 17/70. Die Zahlen stehen für die Generationen. Jugendliche kümmern sich um Alte. Außerdem bemühen wir uns um Paten für Kinder aus sozial benachteiligten Familien.
Danke für das Gespräch.
Anita Wünschmann