Als der italienische Architekt Franco Stella vor zwei Jahren mit viel Aufsehen den Wettbewerb für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses für sich entschied, war er nahezu unbekannt. Kürzlich stellte er in Berlin sein Buch vor, in dem er Einblick in seine Gedankenwelt und sein Werk gewährt.
Berlin-Mitte, Kronprinzenpalais. Der Verlag hat zur Buchpräsentation von „Franco Stella – Ausgewählte Schriften und Entwürfe“ geladen. Kurz vor Beginn der Veranstaltung betritt ein unscheinbarer Herr ganz allein den Vorraum des Palais. Würde er nicht vom Verlagschef begrüßt, käme man nicht auf die Idee, dass es sich um die Hauptperson der Veranstaltung handeln könnte. Doch zunächst zieht sich Franco Stella kurz zurück, um sich eine Krawatte umzubinden – die Fotografen wollen ihre Bilder haben, was der Architekt sichtlich ohne große Begeisterung über sich ergehen lässt.
Franco Stella bedient nicht das Klischee des schwarz gekleideten, rhetorisch gewandten und selbstbewussten Star-Architekten. Der Italiener ist ein sehr bedächtiger Mann, der gutes Deutsch spricht, das aber so leise, dass im Lauf der Pressekonferenz die Journalisten immer näher an ihn heranrücken, um ihn wenigstens einigermaßen zu verstehen. Denn verstehen wollen sie ihn und erfahren: Wer ist dieser Franco Stella, der vor zwei Jahren so überraschend ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit trat?
Als im November 2008 – übrigens ebenfalls im Kronprinzenpalais – der damalige Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee das Ergebnis des Wettbewerbs für das Humboldt-Forum auf der Spreeinsel bekanntgab, war das Erstaunen groß: Kaum jemand hatte zuvor den Namen von Franco (offiziell Francesco) Stella gehört – und jetzt sollte dieser Unbekannte plötzlich das prestigeträchtigste, mit einem Investitionsvolumen von über einer halben Milliarde Euro verbundene Neubauvorhaben in der Stadtmitte verantworten?! Entsprechend kritisch waren die Fragen, die in der Folge aufgeworfen wurden: Ist der Italiener mit seinem kleinen Büro in der Lage, die große Aufgabe zu meistern? Hat er überhaupt die formalen Voraussetzungen für die Teilnahme am Wettbewerb erfüllt? Und was sind eigentlich seine architektonischen Grundüberzeugungen?
Jetzt gibt ein zweibändiges, vom Berliner Verlag DOM publishers herausgegebenes Werk zumindest ansatzweise Auskunft über den Werdegang des Architekten. 1943 in Thiene in der Provinz Vicenza geboren – dass der Verlag in seinem Katalog das Geburtsjahr auf 1968 verlegt, spricht nicht für editorische Sorgfalt – studierte er in Venedig Architektur. 1972 gründete er sein Büro in Vicenza, und seit 1990 lehrt er als Professor für Architektonisches Entwerfen an der Universität Genua. Seit langem befasst er sich auch mit Deutschland; so saß er in der ersten Hälfte der neunziger Jahre in den Jurys der beiden wichtigen städtebaulichen Wettbewerbe für den Spreebogen und die Spreeinsel.
Stellas eigenes architektonisches Werk ist indes schmal, wie der erste Band der jetzt erschienenen Monografie zeigt (der zweite Band enthält einen umfangreichen Essay des Architekturtheoretikers Peter Stephan).
Einige Schulen in Norditalien, ein Bürogebäude in Thiene, die Erweiterung der Messehallen in Padua und ein Wohnhaus in Potsdam-Kirchsteigfeld gehören dazu. Selbst ein kleines Projekt wie ein Bücherzimmer in einem nicht näher bezeichneten Privathaus findet Erwähnung. Hinzu kommen nicht realisierte Wettbewerbsentwürfe – auch solche für Berlin: In den neunziger Jahren beteiligte sich Stella am städtebaulichen Wettbewerb für den neuen Stadtteil Biesdorf-Süd, später dann am Wettbewerb für die neue Bibliothek der Humboldt-Universität in Mitte.
Doch was treibt ihn dabei an? Das „Weiterbauen mit zeitgenössischen Mitteln“ sei der Kern von Stellas Schaffen, sagt Martin Kieren, Professor für Baugeschichte und Architekturtheorie an der Beuth-Hochschule für Technik Berlin, der den italienischen Architekten seit 25 Jahren kennt. „Stella“, sagt Kieren, „beruft sich explizit auf Traditionslinien, ohne indes auf eine Kopie zu verfallen.“ Wenig Aufschluss über die Motive des Architekten bieten dagegen die drei im Buch abgedruckten, relativ kurzen Texte, die – auch wegen der ungelenken und teilweise grammatikalisch fehlerhaften Übersetzung – nur von Liebhabern äußerst trockener Architekturtheorie-Kost zu goutieren sind. Deutlich wird immerhin, wie intensiv sich Stella mit der Architekturtradition auseinandersetzt. Dies manifestiert sich auch im Entwurf für das Humboldt-Forum: „Das Neue“, heißt es dazu im Buch, „ist als Weiterbau eines alten Gebäudes gedacht.“
Wie es mit dem Bau des Humboldt-Forums weitergeht, bleibt dagegen unsicher. Immer wieder macht das Projekt negative Schlagzeilen. Zunächst gab 2009 das Bundeskartellamt einer Klage gegen die Vergabe der Planungsleistungen statt. Diese wurden nicht allein an Stella vergeben, sondern an eine Gemeinschaft, an der auch die beiden mit Großprojekten erfahrenen Büros von Gerkan, Marg und Partner (gmp) sowie Hilmer & Sattler und Albrecht beteiligt sind. Dann kam in diesem Jahr der nächste Schlag, als die Bundesregierung verkündete, den Baubeginn für das Humboldt-Forum aus Spargründen auf das Jahr 2014 zu verschieben.
Trotzdem arbeitet Stella unverdrossen an der Planung für das Vorhaben, das ohne Zweifel die Krönung seiner architektonischen Laufbahn bedeuten würde. Etwa fünfzig Personen sind nach seinen Worten derzeit für das Projekt tätig. 2011 will er die Ausführungsplanung angehen, so dass „vielleicht“ trotzdem schon 2013 Baubeginn sein könnte. Und wie schätzt er die Chancen ein, dass das Humboldt-Forum letztlich tatsächlich gebaut wird? Da lächelt Stella schüchtern und murmelt: „Das ist ein Thema für Philosophen.“
Franco Stella bleibt, der jetzt erschienenen Monografie zum Trotz, letztlich ein Rätsel.
Paul Munzinger
Informationen
- Franco Stella. Ausgewählte Schriften und Entwürfe, Franco Stella/Peter Stephan,
ISBN 978-3-938666-64-7
Erschienen bei DOM publishers
www.dom-publishers.com
48 Euro