Liebeserklärung am Herd

Tim Raue als Küchenchef und seine Frau Marie-Anne sind Inhaber des Berliner Restaurants „Tim Raue“. Nur zwei Monate nach Eröffnung hat der Guide Michelin den ersten Stern vergeben und es zugleich als Hoffnungsträger für einen zweiten Stern nominiert. Die Köstlichkeiten, die der Sternekoch seinen Gästen serviert, sind eine Liebeserklärung an Asien.

Kann man sagen, dass Japan Ihre zweite kulinarische Heimat ist?
Tim Raue: Japan ist seit meinem ersten Besuch 2008 kulinarisch einer meiner drei Grundpfeiler: Die japanische
Küche konzentriert sich stets auf ein Hauptprodukt und vermeidet jegliche Entfernung von diesem. Aromatisch und auch handwerklich. Man würde in Japan nie auf die Idee kommen, auf einem Teller viererlei vom Rind mit dreierlei von der Roten Bete zu servieren. Es geht um einen direkten und klaren Eindruck, und das entspricht meinem Wesen als Typ: Ich bin geradeaus und sehr präsent. So sollen auch meine Gerichte schmecken.

Was macht die japanische Küche für Sie aus? Gibt es eine Produktbibel?
Tim Raue: Die japanische Küche ist –wie das Land selbst – geprägt von Ritualen und Zeremonien. Ein Fisch wird nicht einfach zerlegt, er wird nach jahrhundertealten Riten mit präzisen, genau geplanten Schnitten geschnitten. Jedes Stück Obst, jedes Gemüse wird nur geerntet, wenn es perfekt gereift ist. Das Produkt soll dem Konsumenten so angeboten werden, dass es direkt verzehrfertig ist, im perfekten Frische- bzw. Reifezustand.

Sie verzichten u.a. auf Beilagen wie Nudeln, Brot oder Reis. Ist Reis in der japanischen Küche nicht unverzichtbar?
Tim Raue: Ja, für einige Gerichte ist das so. Ich koche allerdings nicht japanisch, sondern bin von dieser Küche inspiriert. Bei den Chinesen essen nur arme Menschen Reis, um satt zu werden.

Was kann man dem deutschen Gast überhaupt nicht vorsetzen?
Tim Raue: Leider fehlt manchmal eine würzende Komponente, oftmals steht die Konsistenz über dem Geschmack.

Welchen Anteil hat die Ästhetik an der japanischen Küche ?
Tim Raue: Sie ist sehr wichtig, die Klarheit, die dort auf den Tellern herrscht, ist für mich elementar. In der Küche achten wir sehr auf das Schneiden der Zutaten. Die Japaner sagen, dass man mit dem Schnitt einer Zutat den Geschmack prägt. Scheiben von Karotten sind süßer als Stifte von der gleichen Möhre.

Nun ist die asiatische Küche sehr vielfältig. Jedes Land hat seine eigenen Stärken.
Tim Raue: Meine Küche ist eine Verbindung aus thailändischer Aromatik, japanischem Purismus und chinesischer Philosophie. Ich mache mir das zu eigen, was mir entspricht.

Was bleibt von der deutschen (europäischen) Küche, wenn Sie ein Gericht komponieren? Was ist unverzichtbar und unschlagbar?
Tim Raue: Nichts! Nur das Anrichten ist „western-style“, wie die Chinesen sagen. Das heißt, wenn man das ganze Gericht für einen Gast auf einem Teller serviert.

Wie würden Sie einem blinden Genießer beschreiben, was ihn im Laufe eines schönen Abends bei Ihnen erwartet?
Tim Raue: Genießer erwarten bei mir Gerichte voller Aromatik, die immer wieder intensiv sind. Sie sind geprägt von Säure, am Gaumen piekender Schärfe und von Früchten stammender Süße, die wieder Harmonie erzeugt. Dazu pflanzliche, bittere Aromaten, die für Erfrischung sorgen.

Inge Ahrens

Informationen

Restaurant Tim Raue
Rudi-Dutschke-Straße 26
10969 Berlin
Tel.: 030/259 37 930
www.tim-raue.com
Di bis Sa 12-14 und 19-22 Uhr

 

45 - Winter 2010/11