Streitfall BBI-Flugrouten

Bürgerkritik ist wieder in aller Munde. Sie sei allerdings punktueller geworden, heißt es seit dem umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21. Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht sogar davon, die politische Klasse würde eine Bürgerausschaltung betreiben, den Bürgerstolz verletzen. Das scheint für die geplanten Flugrouten des Großflughafens Berlin–Brandenburg International nur bedingt zu gelten.

Denn mittlerweile sind 34 betroffene Umlandgemeinden in die Entscheidungsfindung der dafür eingerichteten Fluglärmkommission einbezogen, ursprünglich waren es nur 17. Die Fluglärmkommission soll die Interessen von Flughafen, Behörden und Anrainergemeinden bündeln. Das klingt einvernehmlich, ist es aber keinesfalls. Bereits die erste Zusammenkunft der erweiterten Kommission Anfang November verlief ohne nennenswerte Ergebnisse. Inzwischen haben auch die beteiligten Landesregierungen Berlins und Brandenburgs Fehler bei der Festlegung der Flugrouten eingeräumt. Der nächste Termin der Fluglärmkommission ist auf den 13. Dezember festgelegt. Bis zur geplanten Eröffnung des Großflughafens am 3. Juni 2012 wird das Thema Fluglärm also sicher für weiteren Streit und neue Schlagzeilen sorgen, denn bei einem solch sensiblen Thema kann es naturgemäß kaum ausgleichende Gerechtigkeit geben. Letztlich wird die Deutsche Flugsicherung endgültig über den Verlauf der Flugrouten entscheiden. Dabei haben Sicherheit, Auslastung und Flugaufkommen am BBI den absoluten Vorrang, erst dann könne der Fluglärm Berücksichtigung finden, so sieht es zumindest die Behörde.


Am Fluglärm und dessen Verursacher hatte sich die Bürgerkritik entzündet. Die betroffenen Gemeinden und deren Bürger sahen mit der Veröffentlichung der Flugrouten im neuen Großflughafen plötzlich eine existentielle Gefahr, es ging um die eigene Scholle, das eigene Wohlbefinden. Das hatten die Entscheidungsträger von den Bürgerinitiativen prompt zu spüren bekommen und bereits mit veränderten Flugrouten reagiert. Danach blieben zwar die Anflugrouten zum BBI unverändert, die Abflugrouten wurden aber so verändert, dass sich die ursprünglichen Lärmteppiche verlagert haben. Nunmehr sind bestimmte Gemeinden weniger, andere mehr von Fluglärm betroffen. Daraus werden sich einerseits weitere Streitpunkte im Verlauf der Planungsphase ergeben, die im August 2011 abgeschlossen sein soll. Andererseits dürfte sich die Zahl der Anträge für Lärmschutzmaßnahmen wie vor allem Schallschutzfenster weiter erhöhen.


Niemand, der etwas von Schallausbreitung versteht, kann jetzt schon exakt vorhersagen, welche Lärmbelastung diese oder jene Gemeinde in Kauf zu nehmen hat und an welcher Stelle der zulässige Dauerschallpegel von 55 Dezibel überschritten wird. Völlig unstrittig sind nur Gemeinden in unmittelbarer Umgebung des Airports. Deshalb ist die Verlautbarung, noch bis zu fünf Jahren nach Eröffnung des Großflughafens Schallschutz beantragen zu können, mehr als sinnvoll. So ist es möglich, auch später noch Anspruchsberechtigungen von Betroffenen durchzusetzen. Die Verlängerung der Schallschutzförderung schafft zudem Entspannung bei der weiteren Arbeit der Fluglärmkommission. Auch wird eine eventuelle Ausweitung des Nachtflugverbots Kompromissbereitschaft bei den streitenden Parteien befördern.


Zu wünschen ist darüber hinaus, dass Gemeinden mit ohnehin hoher Lärmbelastung, wie beispielsweise Dahlewitz, besondere Berücksichtigung fänden. Wo nämlich bereits der Verkehrslärm des nahen Autobahnrings sowie die durchgehende Hauptbahnstrecke mit ICE- und Güterverkehr seit Jahren für erhöhte Dauerschallpegel sorgen. Zusätzlicher Fluglärm würde solche Gemeinden übergemäß belasten. Schließlich ist auch zu wünschen, dass sich nicht nur diejenigen Gemeinden mit ihren Ansprüchen durchsetzen, deren Lobbyisten bei den Verhandlungen am lautesten sind.

Reinhard Wahren

45 - Winter 2010/11