Berlin, Stadt der Green Economy

Die Politik will Berlin zum Zentrum umweltfreundlicher Technologien machen. Im Fokus stehen dabei die Solarindustrie, die Energietechnik und die Elektromobilität.

Es ist vielleicht kein besonders spektakulärer Preis, aber einer, der viel über das aussagt, was die Berliner Wirtschaft derzeit umtreibt. Ende vergangenen Jahres wurde das Blockheizkraftwerk (BHKW) des Solarunternehmens Solon in Berlin-Adlershof vom Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung zum „Blockheizkraftwerk des Jahres 2010“ gekürt – als Belohnung für ein besonders effizientes und innovatives Konzept. Das neben dem Solon-Hauptquartier gelegene BHKW nutzt Biomethan und erzeugt so CO2-neutral Wärme, die in das Fernwärmenetz eingespeist wird. Gleichzeitig liefert das BHKW rechnerisch gut 90 Prozent des vom Unternehmen verbrauchten Stroms.
Umweltfreundliche Energieerzeugung für Zukunftstechnologien – das entspricht exakt den wirtschaftspolitischen Zielen des Berliner Senats. „Berlins Green Economy schafft industrielles Wachstum und technologische Innovationen“, sagt Wirtschaftssenator Harald Wolf. Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2009 gibt es in Berlin mindestens 500 Unternehmen mit rund 42 000 Beschäftigten, die im Bereich der Green Economy tätig sind. Unter diesem Begriff versteht man umweltorientierte Wirtschaftszweige wie erneuerbare Energien, Wasser- und Kreislaufwirtschaft sowie Elektromobilität.
„Man braucht eine leistungsfähige Green Economy, die kontinuierlich neue Technologien für die Bekämpfung des Klimawandels, für Luftreinhaltung, Gewässerschutz oder das Recycling von Abfällen hervorbringt“, heißt es in einer aktuellen Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK). „Berlin“, so die These der Autoren, „hat alle Voraussetzungen, um sich als Standort für die umwelttechnologische Produktion im Wettbewerb zu behaupten.“
Besonders erfolgreich war in den vergangenen Jahren die Solarindustrie. Unternehmen wie Solon, Sulfurcell, Inventux und Jonas & Redmann stehen für die Kompetenz der Berliner Wirtschaft in diesem Bereich. Nach Angaben des Vereins Berlin Solar Network hat die Branche in der Hauptstadtregion bereits über 5 000 direkte und 30 000 indirekte Arbeitsplätze geschaffen. „Die Solarenergietechnik“, heißt es beim Netzwerk, „ist eine der innovativsten und wachstumsstärksten Branchen in Berlin.“
Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der breiten Wissenschafts- und Forschungslandschaft an der Spree. So stellen nicht weniger als vier Hochschulen (die Technische Universität, die Freie Universität, die Hochschule für Technik und Wirtschaft sowie die Beuth-Hochschule für Technik) ein hohes Potential qualifizierter Nachwuchskräfte sicher. Von Vorteil ist jedoch auch, dass genügend Flächen für Forschungs- und Produktionsbetriebe zur Verfügung stehen. Der 90 Hektar große Clean Tech Business Park in Marzahn etwa konzentriert sich auf produzierende Unternehmen im Bereich erneuerbarer Energien. Ein weiterer Schwerpunkt der Solarindustrie befindet sich im Technologie- und Wissenschaftspark Adlershof, wo neben Solon auch Konkurrent Sulfurcell ansässig ist. Als Forschungs- und Industriepark für umweltorientierte Zukunftstechnologien hinzukommen wird nach dem Willen des Senats künftig das Gelände des Flughafens Tegel. Das Areal wird für eine neue Nutzung frei, da der Flughafen nach der für 2012 geplanten Inbetriebnahme des neuen Airports Berlin Brandenburg International (BBI) geschlossen wird.
Um die Energietechnik weiter voranzubringen, haben die Länder Berlin und Brandenburg zu Beginn dieses Jahres einen Innovationsverbund Energietechnik geschlossen. „Die Region hat auf dem Feld der Energietechnik große Stärken“, sagt Prof. Reinhard Hüttl, Wissenschaftlicher Vorstand des Geoforschungszentrums in Potsdam und Leiter des Innovationsverbundes.
Diese Stärken spielt die Region beispielsweise auf dem Gebiet des Smart Meterings aus, also beim Einsatz innovativer Zählertechnologien, die einen effizienten Umgang mit Energie fördern. Eine Vorreiterrolle hat hier der Berliner Energiedienstleister Gasag übernommen: In der brandenburgischen Kleinstadt Forst startete die Gasag-Tochter Umetriq ein Pilotprojekt für ein intelligentes Messwesen. Noch in einem anderen Zukunftssegment ist die Hauptstadtregion ein beliebtes Experimentierfeld: auf dem Gebiet der Elektromobilität. Gleich mehrere Modellversuche der Autohersteller BMW, Daimler und VW mit den Stromversorgern Vattenfall, RWE und Eon laufen in Berlin. Zudem verfügt die Stadt mit 550 vorhandenen oder geplanten Ladestationen über das dichteste Netz in ganz Deutschland.
Dafür, dass diese Voraussetzungen in Ansiedlungen und Arbeitsplätze umgemünzt werden, soll die Ende 2010 gegründete Berliner Agentur für E-Mobilität (eMO) sorgen. „Sie wird alle relevanten Akteure auf diesem Gebiet vernetzen und koordinieren“, stellt Wirtschaftssenator Harald Wolf in Aussicht. „Berlin bietet beste Bedingungen für die Ansiedlung von Produktionskapazitäten in der gesamten Wertschöpfungskette des Elektroantriebs – vom Motor über Elektronik bis zu Batterien. Unsere Stadt soll Versuchslabor, Werkbank und Schaufenster der Elektromobilität werden.“
Dass diese Hoffnung nicht illusorisch ist, beweist die Ankündigung von Daimler, ab 2012 in Berlin-Marienfelde Elektromotoren zu bauen. Auch unabhängige Beobachter sind vom Potential der Elektromobilität für die Hauptstadt überzeugt: Die Autoren der von der Unternehmensberatungsgesellschaft McKinsey herausgegebenen Studie „Berlin 2020. Unsere Stadt“ zählen die Elektromobilität zu den Zukunftsfeldern, auf denen in den nächsten zehn Jahren 160 000 neue Arbeitsplätze in Berlin entstehen könnten. Und sie schreiben: „Elektromobilität könnte der erste Leuchtturm werden für den Wandel Berlins zu einer nachhaltigen, grünen Stadt.“

Emil Schweizer
 

46 - Frühjahr 2011