Tischlerin Jacqueline Broch-Obermann gibt geradlinigen Möbeln Schliff und freches Farbenspiel
Auf dem Trottoir der Charlottenburger Knobelsdorffstraße steht eine schnittige Bank. Ihre regenbogenfarbenen Streifen kleiden sie gut, geben ihrer im besten Sinne simplen Form ohne Lehne Klasse. Wer genauer hinschaut, sieht unter dem Farbenkleid das rohe Holz der Seekiefer wellenartig durchscheinen. Dadurch changieren die Wachstumsringe des geschnittenen Mittelmeergewächses fast so wie kostbare chinesische Shantungseide. Jacqueline Broch-Obermann hat die Bank vor die Tür auf die Pflastersteine gestellt. Manchmal setzen sich Nachbarn zum Schwätzchen drauf. Andere sind angezogen von dem Sitzmöbel und schauen im Ladengeschäft gleich mal nach. Tischchen, Hocker, Regale, ein Sessel sogar und ein echtes Küchensofa sind zum Mitnehmen ausgestellt. Alle haben ein Musterkleid. An Art déco und siebziger Jahre erinnern die Muster, aber auch an Omis Kittelschürzen und an die bunten Wachsdecken auf ihrem Küchentisch. Jacqueline Broch-Obermann ist über den langen Arbeitstisch gebeugt und zeichnet einen Entwurf für ein Möbel. An der Wand hinter ihr hängen allerlei Musterpapiere. Mehr als 500 hat sie zur Auswahl. Und die darf sie auch verwenden. Die 45-Jährige ist gelernte Tischlerin mit Gesellenbrief. Nach Abschluss ihrer Ausbildung arbeitete sie frei im Möbelbau, und seit April letzten Jahres trifft man sie in der Knobelsdorffstraße. Sie schneidet Plattenwerkstoffe zu Möbeln und bedruckt sie dann digital. Ihre Werkstoffe heißen Tischlerplatte oder Multiplex. Tischlerplatte sind Holzleisten als Sandwich im Furnier. Erle meistens. Das Material arbeitet als fertiges Möbel nicht mehr. Tischlerplatte ist leichter als massives Holz. Verarbeitet sie Multiplex, erkennt man das an der Kante, die aussieht wie Blätterteig. Lauter feine Lagen Birkenholz. Auf Massivholz arbeitet die Tischlerin nicht. „Das soll ganz für sich wirken und nicht unter Mustern ersticken“, findet sie. „Außerdem wäre das ein Anachronismus.“
Ihre Entwürfe zeichnet sie am Tisch. Die Holzplatten schneidet sie in ihrer ehemaligen Werkstatt zu. Erst in der Druckerei entscheidet sie sich gemeinsam mit einem Graphiker für Raster und Farbe. Per Digitaldruck landen die Muster schließlich auf der geschliffenen sauberen Platte. Dann müssen die Farben aushärten. Wegen des rohen Untergrundes ziehen sie nur minimal in die Oberfläche ein. Das gibt den beschriebenen seidigen Effekt. Jetzt nur noch klar lackieren oder auch nur ölen und, wenn nötig, passende Kissen für Sessel und Sofas beziehen. Fertig ist das Möbel. Einfach ist es. Das Muster macht die Musik.
Inge Ahrens