Per Schiff durch die City

Berlin aus der Entenperspektive. Will man Berlin von seinen Ursprüngen her erkunden, so sollte man dies von der Spree aus tun. Denn mit seiner Entstehung, welche 1237 beurkundet wurde, ist Berlin ans Wasser gebaut. Cölln, die kleinere, aber ältere Ansiedlung, entstand am westlichen Ufer der Spree und Berlin am östlichen Ufer. Eine Erkundungstour auf der Spree hat mehrere Vorteile: keine Staus, Kaffee und Kuchen oder ein Bier sind jederzeit verfügbar, und die Stadt von der Entenperspektive aus gesehen hat ihre besonderen Reize. Steigen wir an der Jannowitzbrücke ins Boot zu einer Rundreise durch das alte und neue Berlin. Die Stadt soll zwischen 980 und 1500 Brücken haben, auf der Wasserrundfahrt werden wir einigen der schönsten begegnen. Schon die Jannowitzbrücke ist eine besondere. Die Stadt brauchte um 1820 unbedingt hier einen Übergang, denn auf der Westseite lagen viele Maschinenfabriken. Berlin war schon damals notorisch klamm, also schoss der Baumwollfabrikant August Alexander Jannowitz das Geld vor. Sechs Pfennig Maut kostete dann jede Überquerung der „Sechserbrücke". Erst 1825 erhielt die Brücke den Namen Jannowitzbrücke. Aus dem Zeitalter der Industrialisierung verabschieden wir uns schon nach wenigen hundert Metern, um an den Gründungsort der Doppelstadt Cölln-Berlin zu schippern, und verweilen wir hier gedanklich eine Minute länger. Hier im Nikolaiviertel ist die Wiege Berlins. Um 1200 wurde hier die erste Nikolaikirche erbaut, heute ragen die beiden Türme der immer wieder umgebauten Kirche hoch in den Himmel. Im einstigen Marktflecken wohnten und arbeiteten die Handwerker in den winkligen Gassen. Von hier aus dehnte sich Berlin aus, wurde bedeutend - im 14. Jahrhundert sogar Mitglied der Hanse. Das Nikolaiviertel blieb fast unverändert. Aber an seinem Rand entstanden auch prächtige Häuser, wie das Ephraim-Palais, das der Volksmund „die schönste Ecke Berlins" nannte, es war tatsächlich ein Eckhaus. Der Hofjuwelier Friedrichs des Großen, Veitel Heine Ephraim, ließ sich diese „bescheidene Rokokohütte" mit vergoldeten Balkongittern, Putten und steinernen Vasen bauen. Aber das gesamte Viertel war irgendwann so marode, dass es zusammenbrach, der Rest fiel den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. Das Ephraim-Palais wurde schon vorher, 1936, abgetragen und 1987 unter Verwendung von Originalteilen der Fassade an seiner ursprünglichen Stelle wiedererrichtet. Im Zuge der 750-Jahr-Feier Berlins wurden dann etliche Gebäude in Kopie hier aufgebaut - die Gerichtslaube (stand ursprünglich am Rathaus), „Der Nussbaum" (einst auf der Fischerinsel), das Stammlokal von Heinrich Zille, Otto Nagel und Claire Waldoff, Cafés, und Geschäfte kamen hinzu und suggerieren so ein Stück urtümliches Berlin. Kritiker bezeichnen dieses synthetische Sammelsurium auch als Disneyland. Die Gäste Berlins aber lieben es. Übrigens steht im Nikolaiviertel auch die Bronzeskulptur „St. Georg im Kampf mit dem Drachen". Der Drachenkämpfer stand einst im Hof des Berliner Stadtschlosses. Der Berliner Dom wirkt aus der Entenperspektive, noch gewaltiger als aus der Landperspektive und zur Linken taucht schon die Museumsinsel auf. Bis 2015 soll das Areal vollständig fertiggestellt sein. Von ägyptischen Mumien über den Pergamonaltar bis zu Gemälden ist dann hier ein Teil der Weltkunst versammelt. Der Monbijou-Park bietet einen Grünblick, und die Kaffeehäuser warten gar mit Palmen auf. So eine nördliche Weltstadt muss natürlich auch südliches Flair behaupten. Nach der Weidendammer Brücke geht's vorbei am Berliner Ensemble. In unmittelbarer Nachbarschaft stand dort einst der alte Friedrichstadtpalast. Er wurde ein Opfer des morastigen Berliner Untergrunds. Als die Charité gebaut wurde, drohte das auf Pfählen errichtete Gebäude zu verfaulen. Vom Kulturviertel fahren wir ins Regierungsviertel ein: der Reichstag mit der spektakulären Glaskuppel, das Bundeskanzleramt. Dann geht es durch den Westhafenkanal unter der Schlossbrücke durch, am Schloss Charlottenburg vorbei hin zum Potsdamer Platz, dessen Hochhäuser, auf einen ein stürzen, so hat man von ganz unten das Gefühl. Und dann kommt vielleicht der interessanteste Teil, die Fahrt auf dem Landwehrkanal, auf dem die Brücken manchmal so tief sind, dass man sie mit den Händen berühren kann. An seinen Ufern lebt das typische Berlin - Kreuzberg und Neukölln. Da ist urbanes Leben, da duftet es ein wenig nach fremdländischen Gewürzen, und da ist auch nicht alles so geschniegelt und gebügelt wie in den typischen Touristengegenden. Dann - und das muss auf einer Bootsfahrt sein - ist die zweite Schleuse zu nehmen, um wieder auf die Spree einzubiegen. Ein Gruß noch schnell an den Molecule Man, diese löchrigen 30 Meter hohen Gesellen, die seit 1999 in der Spree stehen und denen man nie so nahe kommt wie bei einer Schiffstour. Vorbei am Osthafen und an der schönen Oberbaumbrücke. Und da ist sie schon in Sicht, die Jannowitzbrücke, unser Ausgangspunkt. Einen Blick rechter Hand auf Berlins neueste Attraktion, die Multifunktionshalle O2 World, sollte man sich noch gönnen. Nach drei Stunden ist man gut informiert, denn sämtliche Boote fahren mit Stadtbilderklärern.

Martina Krüger

 

 

Service:
Anlegestellen der meisten Reedereien sind: Nikolaiviertel, Alte Börse, Friedrichstraße. Unter www.berlin.city-map.de sind die meisten Reedereien zu finden.

39 - Sommer 2009