Neue Mitte

In Potsdam haben die Bauarbeiten am neuen Landtagsgebäude begonnen, das bis voraussichtlich Mitte 2013 am ehemaligen Standort des Stadtschlosses errichtet wird. Rund um den Neubau soll in den nächsten Jahren das Herz Potsdams wieder schlagen.

Potsdam hat die Nase vorn: Während in Berlin noch immer keine endgültige Gewissheit herrscht, wann der Bau des Humboldt-Forums in der äußeren Gestalt des alten Stadtschlosses beginnen wird, drehen sich am Alten Markt in Potsdam unübersehbar grüne Kräne. Im Februar dieses Jahres wurde der Grundstein für den Landtagsneubau gelegt, und voraussichtlich in zwei Jahren wird das brandenburgische Parlament seine Arbeit in dem Gebäude aufnehmen, das äußerlich dem Stadtschloss gleichen wird. „Mit dem Landtagsneubau bekommt die Landeshauptstadt ihre historische Mitte, ihr Herz, zurück“, sagte der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck bei der Zeremonie der Grundsteinlegung. Tatsächlich war der historische Stadtkern Potsdams über Jahrzehnte eine klaffende Wunde. 1959/60 war das nach Plänen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff im 18. Jahrhundert errichtete Stadtschloss gesprengt worden, obwohl seine Substanz trotz schwerer Kriegsbeschädigungen intakt war. An seiner Stelle erstreckte sich fortan eine Brache. Wer Potsdam nach der Wende besucht hat, erinnert sich noch an die „Blechbüchse“, den Behelfsbau des Hans-Otto-Theaters, der dem Alten Markt eine fast schon absurde Note gab. Kaum weniger merkwürdig wirkte das Fortunaportal, das 2002 auf Initiative des Fernsehmoderators Günther Jauch im Vorgriff auf die geplante Schlossrekonstruktion errichtet wurde, aber jahrelang funktionslos im Nirgendwo stand. 2005 jedoch beschloss der Landtag, seinen neuen Sitz am ehemaligen Standort des Stadtschlosses am Alten Markt errichten zu lassen. Trotzdem war es noch ein langer Weg, bis im vergangenen Jahr die Bauarbeiten beginnen konnten. Streit gab es über die Gestalt des Neubaus: Kritiker befürchteten, aus Kostengründen werde das Land Brandenburg auf die Wiederherstellung des historischen Äußeren des Schlosses verzichten. Erst eine Spende von SAP-Mitgründer Hasso Plattner in Höhe von 20 Millionen Euro gab den Impuls, sich den alten Fassaden zumindest anzunähern. Konfliktpotential beinhaltet zudem die gewählte Organisationsform für den Neubau.

 

Entwurf der Südwestansicht [© MdF/Peter Kulka]
 

Errichtet wird dieser in Form einer Public Private Partnership (öffentlich-private Partnerschaft). Das bedeutet, dass ein privater Investor, nämlich ein Konsortium um den Baukonzern Royal BAM Group, das Landtagsgebäude plant, finanziert, baut und über 30 Jahre betreibt. 119,7 Millionen Euro sollen die Kosten dafür betragen. Doch bereits jetzt gibt es Streit, ob das Konsortium, das Land oder gar die Stadt Potsdam die absehbaren Mehrkosten wird übernehmen müssen. Auch steht bereits fest, dass der Neubau nicht wie geplant Ende 2012, sondern frühestens Mitte 2013 fertig sein wird. Dabei strebt Architekt Peter Kulka nicht eine detailgenaue Rekonstruktion an – im historischen Stadtschloss ließe sich beispielsweise der Plenarsaal gar nicht unterbringen. Der Innenhof, der über das Fortunaportal zugänglich ist, wird deshalb kleiner ausfallen als beim Originalgebäude. Der Plenarsaal entsteht im ersten Obergeschoss, und in der vierten Etage wird es ein öffentliches Restaurant geben, von dem aus sich ein spannender Blick auf die Potsdamer Innenstadt bieten wird. Diese wird in einigen Jahren ganz anders aussehen als heute. Denn die Stadt Potsdam will den Impuls durch den Landtagsneubau nutzen, um den historischen Grundriss des Stadtzentrums zwischen Friedrich-Ebert-Straße und der Straße Am Alten Markt wiederherzustellen. Die Grundlage dafür schufen die Stadtverordneten im vergangenen Jahr, als sie das Integrierte Leitbautenkonzept verabschiedeten. Dieses sieht vor, ein Gebäude als Leitbau originalgetreu rekonstruieren zu lassen und sieben andere mit sogenannten Leitfassaden zu errichten. Das bedeutet, dass die Gebäude zumindest äußerlich so aussehen werden wie vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Die restlichen Neubauten dürfen dagegen modern gestaltet werden. Auf diese Weise soll nach Angaben der Landeshauptstadt in den nächsten fünf bis zehn Jahren „ein lebendiges Stadtquartier mit vorwiegender Wohnnutzung, ergänzt mit attraktiven Einzelhandels- und Gastronomieangeboten, Büros und gegebenenfalls Hotels, entstehen“. In einem ersten Schritt schrieb die Landeshauptstadt 2010 mehrere Grundstücke an der Alten Fahrt aus, also zwischen Landtagsneubau und Havel. Dazu gehört auch das Grundstück für das Palais Barberini, eben jenes Bauwerk, das als Leitbau wiedererstehen soll. Die Entscheidung, welche Investoren den Zuschlag für diese und die anderen Parzellen bekommen, soll in diesem Sommer fallen. Einschneidende Änderungen wird es auch nördlich des Landtagsneubaus geben, wo sich derzeit noch der heruntergekommene Plattenbau der Fachhochschule erstreckt. Dieser steht bereits weitgehend leer, da die Fachhochschule auf das Bornstedter Feld umgezogen ist. Für 2014 ist der Abbruch des Monstrums geplant, dann soll auch dort der historische Stadtgrundriss wieder auferstehen. Ebenfalls abgerissen werden soll das Wohngebäude an der Straße Am Alten Markt 10 mit seinen 182 Wohnungen – ein Plan, der nicht nur bei den Mietern wenig Begeisterung auslöst. Denn die an diesem zentralen Standort neu entstehenden Wohnungen, so viel ist klar, werden dem gehobenen Preissegment angehören. Nicht alle Zeugnisse der baulichen Moderne müssen indes weichen. So wird das nördlich an die Fachhochschule angrenzende Gebäude momentan umgebaut; ab 2013 wird es als Wissensspeicher die Stadt- und Landesbibliothek sowie die Volkshochschule beherbergen. Ebenfalls saniert wird das Knobelsdorffhaus neben dem Alten Rathaus, wo künftig das Potsdam-Museum Platz finden wird. Ein bemerkenswerter Neubau entsteht darüber hinaus auf der westlichen Seite der Friedrich-Ebert-Straße, am Standort des vor kurzem abgebrochenen ehemaligen Gebäudes der Wasserwirtschaft: die Synagoge.

Paul Munzinger

Information
Über die Geschichte des Stadtschlosses und den Bau des Landtagsgebäudes informiert eine Ausstellung in der Infobox auf dem Alten Markt (geöffnet täglich 10-18 Uhr, Eintritt frei).

47 - Sommer 2011