Aufbruch in die Moderne

Beim Stichwort „Architektur in Brandenburg“ denkt man zunächst an Karl Friedrich Schinkel und Ludwig Persius. Doch auch die Moderne des frühen 20. Jahrhunderts hat in Brandenburg ihre Spuren hinterlassen, wie eine sehenswerte Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam zeigt.

Die östlich von Berlin gelegene Gemeinde Neuenhagen ist nicht eben als Wallfahrtsort für Architekturenthu siasten bekannt. Dabei gibt es dort durchaus ein bemerkenswertes Bauwerk zu bestaunen: das turmartige Rathaus, das Architekt Wilhelm Wagner im Jahr 1926 errichten ließ. Das Rathaus fasziniert nicht nur durch seine expressionistische Formensprache, sondern auch durch seine Nutzung – in den Verwaltungsbau integrierte Wagner nämlich einen Wasserspeicher. Das Neuenhagener Rathaus ist eines der Bauwerke, auf welche jetzt die Ausstellung „Aufbruch in die Moderne“ ein erhellendes Licht wirft. Die von Nicola Bröcker und Simone Oelker-Czychowski kuratierte Schau wird im Rahmen des Themenjahres von Kulturland Brandenburg („Licht Spiel Haus – Moderne in Film, Kunst, Baukultur“) gezeigt und fasziniert vor allem durch ihren Blick auf weniger bekannte Objekte, die in den Jahren der Weimarer Republik entstanden sind. Gewiss, auch die berühmten Gebäude der zwanziger und frühen dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts – der Einsteinturm von Erich Mendelsohn auf dem Potsdamer Telegrafenberg, die ebenfalls von Mendelsohn entworfene Hutfabrik in Luckenwalde, das von Konrad Wachsmann entworfene Sommerhaus von Albert Einstein in Caputh – kommen zu ihrem Recht. Spannender aber sind die Bauwerke, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Max Taut etwa schuf auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf für das Erbbegräbnis der Familie Wissinger eine expressionistische Grabplastik, welche die Kuratorinnen als „eines der seltenen Gesamtkunstwerke der Begräbnisarchitektur der frühen 1920er Jahre“ charakterisieren. Reinhold Mohr baute für die Bankiersfamilie Gutmann in Potsdam-Babelsberg eine Villa, die über eine Privatturnhalle in expressionistischen Formen verfügt. Und in Neuruppin schuf eine Architektengruppe die Freiland-Siedlung Gildenhall, die reformerische Lebens- und Arbeitsideale miteinander verbinden wollte. Ohnehin prägen Wohnbauten die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts.

Links: Reichsautobahn-Tankanlage in Fürstenwalde/Spree, Architekt: Friedrich Tamms, 1937
Rechts: Erbbegräbnis Wissinger in Stahnsdorf, Architekt: Max Taut, 1921–23

Spätestens seit ausgewählte Berliner Siedlungen der Moderne in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen wurden, ist die architektonische und städtebauliche Bedeutung dieser Wohnanlagen anerkannt. Doch auch in Brandenburg finden sich bemerkenswerte Beispiele des Reformwohnbaus, der breiten Bevölkerungsschichten günstige, gesunde Wohnungen zur Verfügung stellen wollte – so etwa die Siedlung am Friedrich-Ebert-Ring in Rathenow und die verblüffend urban wirkende Wohnanlage an der Maerckerstraße in Brandenburg an der Havel. Deutlich wird dabei, wie sehr die Erschütterungen des Ersten Weltkriegs die Architektur geprägt haben. Den Architekten ging es dabei nicht nur um neue Formen, sondern auch um eine neue soziale Verantwortung: Gerade öffentliche Bauten wie die mit dem Stadttheater gekoppelte Volksschule in Luckenwalde oder die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau zeugen vom Willen, die Bevölkerung am demokratischen Aufbruch teilhaben zu lassen. Dabei tasteten sich die Planer auch auf neue Wege vor. So entwarfen zum Beispiel Walter Gropius und andere Architekten im Auftrag eines Kupfer- und Messingwerks in Eberswalde preisgünstige Musterhäuser mit einer Kupferblechverkleidung – eine alternative Bautechnologie, die sich letztlich nicht durchsetzte. Neben Wohnhäusern und Bauten für die Gemeinschaft nimmt die Ausstellung auch Industrie- und Verkehrsbauten in den Blick. Paradebeispiel ist hier das gigantische Schiffshebewerk in Niederfinow. Doch auch die von Herbert Rimpl entworfene Einfliegehalle der Heinkel-Flugzeugwerke in Oranienburg gehört in diese Kategorie, obwohl sie erst 1936/37 entstand. Auch das macht die Ausstellung deutlich: Zumindest bei den Industriebauten hielten sich Elemente der architektonischen Moderne über die Machtergreifung der Nationalsozialisten hinaus.

Paul Munzinger

Information
Aufbruch in die Moderne. Architektur in Brandenburg von 1919 bis 1933.
Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte
Am Neuen Markt 9, 14467 Potsdam.
Bis 7. August 2011.
Di bis Do 10-17 Uhr, Fr 10-19 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr.

47 - Sommer 2011