Zum Vererben schön

Die schönsten Gerstenkornhandtücher kommen aus dem brandenburgischen Geltow, wo Ulla Schünemann mit ihren Töchtern eine Handweberei betreibt.

Im winzigen Laden der „Handweberei Henni Jaensch-Zeymer“ in Geltow bei Potsdam stapeln sich die textilen Schätze kostbaren Handwerks. Gleich vorne liegt ein Stoß rubbeliger Gerstenkornhandtücher in Pastellfarben. Feine Sterne und Rhomben sind eingewebt, und wer mit der Hand über das kräftig strukturierte Gewebe streicht, sieht in Gedanken Oma als junge Frau über ihre Aussteuertruhe gebeugt, Schätze begutachten: Bettwäsche und genau solche Handtücher für ein Eheleben, so qualitätvoll und haltbar, dass wir das eine oder andere Teil noch von ihr erbten. Am gleichen Ort in der Werkstatt sitzt Ulla Schünemann am Flachwebstuhl, und wenn das Schiffchen mit dem farbigen Garn hin und her saust, klackert es aufrührerisch wie zwei Handvoll Kastagnetten. Heute ist Blau dran, und weil das so färbt, hat Ulla Schünemann eine Schürze umgebunden. Wie die Organistin ihr Instrument bedient sie den Webstuhl, drückt scheinbar selbstvergessen mit den Füßen Pedale, die sechs Schäfte bewegen, damit sich die Kettfäden heben und senken. Dann zieht sie an der Zucke, in der alle Kettfäden gebündelt sind, und das Schiffchen saust dazwischen. Ulla Schünemann webt Gerstenkorntücher mit Händen und Füßen. „Konzentrieren muss ich mich schon“, sagt sie. Man kann zuschauen, wie das Korn entsteht, die kleinen Knubbel, Sternchen oder Rhomben im zackigen klackigen Rhythmus, das Muster in Zeitlupe wie hingemalt. Eine dreiviertel Stunde braucht die Weberin für so ein Handtuch aus Halbleinen. Baumwolle für die Kette, Leinen für den Schuss. Die Handtücher sind so lange himmelblau, wie das Garn reicht. Dann ist vielleicht Rapsgelb dran oder Resedagrün. Am liebsten kauft Ulla Schünemann Restbestände alten Garns auf, liebt die ausgewaschenen Farben des Regenbogens. Handtücher und Servietten gibt es bei ihr in 20 Schattierungen. Anders als bei Henni Jaensch, von der sie vor 22 Jahren die Handweberei kaufte und die es schon mehr als 70 Jahre gibt. Henni Jaensch liebte Naturweiß. Sie war eine mehrfach ausgezeichnete Handweberin, die 1939 in das kleine Fischerhaus am Schwielowsee zog und im nebenstehenden ehemaligen Gasthof ihre Werkstatt einrichtete. Die ist bis heute unverändert. Ullas Schünemanns Mutter Annemarie kam 1943 als Handwebemeisterin zu Henni Jaensch. Sie zog dort ein, wie auch andere Weberinnen. Tochter Ulla hat all die Gäste kennengelernt, die bei Henni Jaensch ein- und ausgingen: die berühmten Gärtner Karl Foerster und Peter Altmann und die Keramikerin Hedwig Bollhagen. Henni Jaensch starb 1998 in ihrem Garten. Wer auf der Straße von Potsdam her kommt, sieht vor dem winzigen Haus mit den blauen Fensterläden im Sommer einen rauschhaften Blumengarten blühen. Bullerbü am Schwielowsee. Drinnen im Hof japanische Brombeeren. Die glasklaren feuerroten Früchte hat Ulla Schünemanns Tochter Nadine mit einem ordentlichen Klacks Sahne und einem Stück Blechkuchen auf einen Teller gehäuft. Daneben liegt eine rosarote Gerstenkornserviette aus der eigenen Werkstatt. Nadine (32) betreibt am Wochenende das Café. Die gelernte Kauffrau lernt mittlerweile das Weben. Tochter Bianca (35) ist Weberin wie ihre Mutter. „Wir pflegen die Tradition von Henni Jaensch einerseits, machen aber auch unsere eigenen Entwürfe“, sagt Ulla Schünemann. „Die Kunst des Weglassens, die haben wir beibehalten.“

Ulla Schünemann betreibt mit ihren Töchtern eine Weberei und ein Café in Geltow, dem ältesten Ort am Schwielowsee [Foto: Inge Ahrens]
Linke Seite: Traditionelle Gerstenkornhandtücher in allen Farben [Foto: Handweberei Geltow]

Die Gerstenkornhandtücher, die gab es schon immer. „Neu kann man sie erst mal gut als Tischsets benutzen, aber nach der 60-Grad-Wäsche werden sie weicher, gefälliger.“ Dann eignen sie sich vorzüglich zum Geschirrabtrocknen. Mit ihrer rauhen Oberfläche sind sie aber auch für den Körper eine erfrischende Erfahrung. In der Werkstatt, die auch eine Art Schauraum ist, stehen immer noch die 16 Webstühle aus Henni Jaenschs Zeiten. 14 davon sind meist in Betrieb. „Besser gute Leinwand als böser Leumund.“ Schärbrettchen mit schlauen Sprüchen liegen herum, Garnrollen und Schiffchen in allen Größen. „Am Hochwebstuhl wird Bildweberei betrieben, am Flachwebstuhl entsteht die Flachware.“ Das sind Handtücher, Tischdecken und Servietten. Tischdecken kann man bei Schünemanns auch nach Maß bestellen und sich in der Schneiderei Handgewebtes auf den Leib nähen lassen. Außerdem weben Mutter und Tochter noch gespinstartige Stores, und Mutter Ulla entwirft Möbelstoffe mit Rhomben drauf und seidene Schals. Wer will, kann im kleinen Laden einkaufen und anschließend Kaffee trinken und selbstgebackenen Kuchen essen.

Inge Ahrens

Information
Handweberei „Henni Jaensch-Zeymer“
Am Wasser 19, 14548 Schwielowsee/OT Geltow,
Tel.: 03327/552 72,
www.handweberei-geltow.de.

Das lebendige Museum und der Laden sind von Februar bis Mitte Dezember,
Di bis So 11 bis 17 Uhr geöffnet. Das „Café im Webhof“ ist samstags und sonntags geöffnet.

47 - Sommer 2011