Höhenflug auf dem Eis

Zum fünften Mal sind die Eisbären Berlin Deutscher Eishockey-Meister.

Links: Spieler nach der gewonnenen Meisterschaft 2011 beim Autocorso auf dem Ku'Damm. Rechts: Der Gasag-Eisbär [Fotos: Eisbären / City-Press GbR]

Der Platz an der Vorrunden-Sonne, den sich die Eisbären zum Ziel gesetzt hatten, war in unerreichbarer Ferne. Die Mannschaft murrte, begehrte schließlich offen auf gegen die Taktik des Trainers. Der Amerikaner verhängte eine Urlaubssperre und floh selbst für einige Tage in die Heimat nach Übersee. Zurückkommen fraglich. Reinigendes Gewitter? Mitnichten. Nach dem Erreichen der Playoffs gärte es weiter. Der 54-jährige Coach, der die Berliner immerhin schon zu drei Meisterschaften geführt hatte, ließe die Jugend zu lange auf der Bank schmoren. Außerdem gehe sein Konzept, in den Ausscheidungsspielen mit drei statt vier Sturmblöcken agieren zu lassen, an die Kräfte. Erklärten Mannschaft, Fans und Experten. So etwas hatte man schließlich zwölf Monate vorher erlebt. Da waren die Eisbären als souveräner Spitzenreiter der Punkterunde schon im Viertelfinale sang- und klanglos ausgeschieden. Nur nicht noch so eine Blamage! Also setzte man sich zusammen. Nicht mehr öffentlich, aber in offener Aussprache.

Publikumsliebling André Rankel im Zweikampf mit Jean-Philippe Côté (Hamburger Freezers) [Foto: Eisbären / City-Press GbR]

Mit vier Sturmreihen schob man die Konkurrenz vom Eis, mit Laurin Braun wurde im entscheidenden Finalspiel gegen den EHC Wolfsburg – der sich mit Schmähgesängen seiner Fans während der Meisterehrung als schlechter Verlierer erwies – einer der jüngsten Profis zum Matchwinner. Trainer Don Jackson wurde als Meistermacher gefeiert, die Mannschaft nach dem fünften Titel im Ruhmeszug durch die Hauptstadt geleitet. Alle hatten alles richtig gemacht. „Ein Sieg der Gemeinsamkeit“, wie die Tageszeitungen ausmachten. Was ist denn nun wirklich das Geheimnis einer Übermacht, die vor 20 Jahren als ausgedienter Stasi-Club belächelt und jenseits der Wahrnehmung in die Zweitklassigkeit des nationalen Eishockeys abgeschoben wurde? Es ist die Kontinuität, mit der nach dem tiefen Fall am Höhenflug gebastelt wurde. Einerseits wirtschaftliche, denn mit den treuen Sponsoren um die seit Jahren auf der Brust prangende Gasag ist auch der finanzielle Rahmen grundsolide. Das wird sich auch nicht ändern, wie Dr. Klaus Haschker versichert. Der Leiter der Konzern-Kommunikation ist selbst begeisterter Eisbären-Anhänger, seit die Gasag zum Mitstreiter des Clubs wurde. „Wir haben die Partnerschaft in einer für den Verein schwierigen Zeit begonnen“, erinnert er an die Anfänge vor anderthalb Jahrzehnten und fragt: „Warum sollten wir sie in der Blütezeit beenden?“ Haschkers Auto fährt seit langem mit einem Eisbären-Aufkleber durch die Hauptstadt, und bei den Heimspielen sitzt er, wann immer möglich, in der Arena. „Die Beziehung zwischen der Gasag und den Eisbären hat sich zu einer echten Partnerschaft mit Respekt auf beiden Seiten entwickelt“, freut er sich, dass der Konzern seinerzeit den idealen Partner auf sportlicher Seite gefunden hat. Aber auch sportlich arbeitet der Club ausgesprochen solide. Dieses Fundament, das zum großen Teil auf die eigene Jugend setzt, wird heute von der gesamten Gegnerschaft nicht nur toleriert, sondern bewundert. Die Konstanz, mit der die Eisbären Jahr für Jahr den Kern ihrer Mannschaft zusammenhalten, ist der Schlüssel für den fünften Meistertitel in der Deutschen Eishockey-Liga.

Links: Die Eisbären bei der Siegesfeier - Sven Felski (#11 - Eisbären Berlin) verteilt eine Sektdusche. Rechts: Derrick Walser bejubelt mit Jimmy Sharrow sein Unterzahltor im entscheidenden Finale [Fotos: Eisbären / City-Press GbR]

Damit hat der Kult-Club aus Hohenschönhausen mit den Adlern Mannheim gleichgezogen. Und wenn die Vorzeichen nicht täuschen, werden die Berliner die Süddeutschen in nicht allzu ferner Zeit überflügeln. Alle Zwistigkeiten, die während der Saison aufgebrochen waren, sind bereinigt. Vor Beginn der Spielzeit hatte Sven Felski orakelt: „Wenn wir den fünften Titel holen, dann kann ich mir vorstellen aufzuhören.“ Die Fans waren schockiert. Die Eisbären ohne Felski? Das geht überhaupt nicht. Das wäre wie Berlin ohne die Spree, oder, um im Sport zu bleiben, Alba Berlin ohne Marco Baldi. Inzwischen hat der 36-jährige Felski, der gemeinhin als Urgestein der Eisbären bezeichnet wird, eingelenkt. „Ich hänge noch ein Jahr dran. Ich will den sechsten Titel haben.“ Um gleich brav nachzuschieben: „Natürlich nur, wenn unser Manager Peter Lee mitspielt.“ Doch der Bastler im Hintergrund wird den Teufel tun, seine alte Garde vom Hof zu jagen. Und Felski, das Sinnbild der Eisbären, schon gar nicht. Experten wie der scheidende Bundestrainer Uwe Krupp haben erkannt: „Der Erfolg der Berliner ist in erster Linie der Erfolg der erfahrenen Spieler Sven Felski, Steve Walker und Stefan Ustorf.“ Kein Wunder also, dass gerade Felski sein 20. Jahr als jetzt schon ewiger Eisbär vollmachen will. Doch die alte Garde der auf die 40 zugehenden Profis kann „den ersten Finger der zweiten Hand“, wie die Eisbären nach dem fünften Titel ulken, nicht allein aus dem Feuer reißen. „In meinem Alter schlaucht so eine Playoff-Serie natürlich mehr“, gibt Felski zu. Und das liegt nicht nur am wuchernden Bart, den sich die Puckjäger traditionell zu Beginn der Ausscheidungsrunde stehen lassen und erst abrasieren, wenn der Meistertitel perfekt oder das frühere Ausscheiden besiegelt ist. „Man muss mit den Jahren konzentrierter agieren“, weiß Felski. Doch der Verein braucht den Berliner, den Hohenschönhausener, den Eisbären schlechthin. Vor vier Jahren hätte nahezu jeder Einwohner oder Besucher der Hauptstadt auf die Frage nach dem bekanntesten Eisbären der Stadt geantwortet: Knut. Doch nicht nur durch den Tod des Tieres im Zoo ist diese Position wieder gewechselt. Spätestens seit April geht die Pole-Position als Ober-Eisbär wieder an Sven Felski. Wenn ein Junge aus dem Umfeld des Wellblechpalastes, wo die Eisbären trotz der Punktspiele in der modernen Arena am Ostbahnhof täglich trainieren, Eishockey als Sportart wählt, dann will er werden wie Sven Felski. Und junge Eisbären gibt es viele. Der Verein ist bekannt für seine hervorragende Jugend- und Nachwuchsarbeit. Schon deswegen kann er es sich nicht leisten, die Vorbilder – immer noch auf dem Höhepunkt ihrer Karriere – in den sportlichen Ruhestand zu schicken. Auch wenn sie danach Trainer für Schüler oder Bambini werden sollten. Als Profi und Vorbilder auf dem Eis sind die Felski & Co. derzeit noch unersetzlich. Und wenn Autogrammstunden anstehen wie beim Hauptsponsor Gasag, dann sitzt Felski stets mit in der Runde und schreibt seinen Namenszug auf alle erdenklichen Utensilien. So wird die nächste Saison in der Deutschen Eishockey-Liga sicher nicht zum automatischen Durchmarsch des Titelverteidigers. Es wird Hänger geben, Niederlagen, Aussprachen und Differenzen innerhalb der Mannschaft. Aber die Eisbären werden erneut das Maß aller Dinge sein, an dem sich die anderen Vereine in der deutschen Liga orientieren. Konstanz und Kontinuität, die sie sich über Jahre aufgebaut haben, tragen Früchte.

Hans-Christian Moritz

47 - Sommer 2011
Sport