Zum ersten Mal wird die tausendjährige Geschichte der wechselseitigen Beziehungen zwischen Polen und Deutschland in einer großen Ausstellung einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. „Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte“ heißt die Schau im Berliner Martin-Gropius-Bau und im Warschauer Köngigsschloss anlässlich der polnischen EU-Ratspräsidentschaft.
„In den vergangenen beiden Jahrhunderten standen sich Polen und Deutsche meist feindselig gegenüber. Gemeinsamkeiten, enge Beziehungen in Wirtschaft, Kultur, Religion und sogar Sprache sind aus dem Blickpunkt verschwunden, obwohl solche Beziehungen bereits seit dem 10. Jahrhundert bestanden“, erläutert die polnische Kunsthistorikerin und Chefkuratorin Anda Rottenberg die Grundidee der Ausstellung. Sie spricht von einem „geschichtlichen Gefängnis“. Nun soll „Tür an Tür“ Einlass versprechen, offene Türen sorgen für frischen Wind. Das Projekt begleitete ein Beirat polnischer und deutscher Wissenschaftler. Im Katalog zur Ausstellung sind neben den kommentierten Exponaten auch zahlreiche Essays namhafter Autoren beider Länder versammelt. Ein umfangreiches Vermittlungsprogramm, das sich besonders an junge Menschen richtet, soll den kulturellen Austausch zwischen Polen und Deutschland befördern und gegenseitigem Verständnis den Weg bereiten. Deutsche und polnische Studenten praktizieren in Tandemführungen den Dialog und auch Diskurs vor den Exponaten, für den Zuhörer werden möglicherweise zweierlei Sichtweisen verständlich. Das Gedächtnis beider Nationen ist stark von Emotionen und Vorurteilen bestimmt. Der Bundeshauptstadt ist kein Nachbar so nah und doch so fern. Deutsch-polnische Geschichte ist immer die Geschichte deutsch-polnischer Beziehungen, und die sind gespannter Natur, so verknüpft im Persönlichen, so getrieben durch politische Ereignisse. In neunzehn Sälen, die das gesamte Erdgeschoss des Gebäudes einnehmen, werden etwa 700 historische und zeitgenössische Exponate ausgestellt, Gemälde, Skulpturen, Inkunabeln, Handschriften, Dokumente und kunsthandwerkliche Objekte, Foto-grafien, Filmmaterial und Bücher.
links: Hedwigslegende, um 1460, Papier, Handschrift, 113 BI., 28 x 20,5 cm
rechts: Herzogin Hedwig, um 1530, Mischtechnik auf Pergament auf Leinwand übertragen, 69,5 x 54,5 cm
Es beginnt mit dem Adalbert-Kult und dem Auftakt nachbarschaftlichen Miteinanders, Schlesien und den Klöstern der Heiligen Hedwig – nicht zu verwechseln mit der Herzogin Hedwig auf dem Ausstellungsplakat. Jene Hedwig, eine polnische Königstochter, wurde im Jahr 1475 mit Herzog Georg dem Reichen von Bayern-Landshut verheiratet. Die „Landshuter Hochzeit“ unter Anwesenheit des Kaisers, wie im Märchen feierten sie sechs Tage lang in aller Pracht, gilt als eines der herrlichsten Feste im Mittelalter. Anlass genug, um seit etwa 100 Jahren in Landshut alle vier Jahre mit einem gigantischen Spektakel an dieses Ereignis zu erinnern. Etappen der Ausstellung sind Krakaus Glanz gewidmet, Danzig und dem Goldenen Zeitalter, der internationalen Avantgarde, den verlorenen und gewonnenen Gebieten, Kunstentwicklungen unter dem Druck des Kalten Krieges, und schlussendlich kommt der Besucher in Europa an. Arnold Schönberg schuf im Exil „A Survivor from Warsaw“. In diesem siebenminütigen Werk versuchte er, Berichte aus dem Warschauer Ghetto zu verarbeiten. Wagner huldigte dem polnischen Freiheitswillen 1836 gegen die Okkupanten mit seiner Ouvertüre „Polonia“. Ueckers genagelte Sympathiebekundung „Splitter für Polen“ zählt ebenso zu den Ausstellungsstücken. Die Arbeit war 1981 auf der von deutschen Künstlern in Düsseldorf initiierten Auktion „Gegen das Kriegsrecht in Polen – für Solidarność“ vertreten. Der wissenschaftliche Ruhm des Kopernikus führte dahin, dass sowohl Deutsche als auch Polen ihn für sich reklamierten. Ähnlich der Streit um Veit Stoß aus Nürnberg. Gelernt hat er sein Handwerk von Meistern, die aus dem südholländischen Leiden kamen, in Straßburg ansässig waren und in Burgund gearbeitet haben. In Krakau schafft er mit dem Marienaltar das größte und schönste Zeugnis gotischer Holzschnitzkunst. Stoß ist ein geachteter Bürger deutscher Zunge einer polnischen Stadt.
links: „Erschießung mit einem Jungen“, Andrzej Wróblewski, 1949, Öl auf Leinwand, 120 x 90,5 cm
rechts: „Splitter für Polen“, Günther Uecker, 1982, Holz, Nägel und Schultafellack, 200 x 70 x 25 cm
Man kommt ins Grübeln übereinander. Tucholsky meinte, wer ein echter Berliner sei, der käme aus Breslau. Christa Wolfs „Kindheitsmuster“, ein Erinnerungsversuch an Wurzeln jenseits der Oder, führt den „fatalen Hang der Geschichte zu Wiederholungen“ vor. Ein Tabubruch 1976 nicht nur im Osten. Ein Markstein 1970: Willy Brandt kniet am Denkmal für die Opfer des Aufstands im jüdischen Ghetto nieder. Die demütige Geste wurde international als Bitte um Vergebung für die deutschen Kriegsverbrechen gewertet. Als im April 2005 der Papst stirbt, ist plötzlich die ganze Gemeinde der Berliner Polen vereint in Trauer und stört den Verkehr am Südstern, 30 000 Katholiken bleiben nicht unbemerkt. „Unter deutschen Betten“, die Enthüllungen einer polnischen Putzfrau, wurde zum Bestseller. Adam Soboczynski, dessen polnische Eltern sich hier ebenfalls mit Putzjobs durchschlugen, schreibt in „Polski Tango“: „Mit jeder neuen, schnittigeren Karosse, die man sich per Ratenzahlung leistete, wurde für kurze Zeit das letztlich vergebliche Begehren gestillt, irgendwann in der Bundesrepublik angekommen zu sein.“ Wie der kleine, vollgepackte Fiat Polski sei die polnische Putzfrau „fester Teil des Niedlichkeitsrepertoires“ geworden, „das man seit jeher den Polen entgegenbrachte“. Nahe der Oder im Landkreis Uecker Randow sterben deutsche Dörfer aus. Die Alten, die nicht mehr weg können, kommen eigentlich aus Greifenhagen, heute Gryfino, alles gleich auf der anderen Oderseite. Die wenigsten von ihnen waren noch mal dort, aber nun kommt der Pole und kauft die leeren Häuser.
Szczecin boomt und ist ganz nah und Europa für die Alten ganz weit weg. Unbedingt erwähnt werden muss noch „Der Club der polnischen Versager“, seit nunmehr zehn Jahren eine Institution des deutsch-polnischen Kulturaustauschs in Berlin.
Brit Hartmann
Ausstellung
Tür an Tür. Polen – Deutschland.
100 Jahre Kunst und Geschichte
23. Sep. 2011 bis 9. Jan. 2012
www. gropiusbau.de