Grünes Lehrstück mit Weitblick

Am Ufer des Teufelssees im nördlichen Grunewald auf dem Gelände eines seit 1968 stillgelegten, denkmalgeschützten Wasserwerkes ist während der letzten 26 Jahre mit viel Engagement, wenig Personal und knappen Finanzen eine ökologische Bildungs- und Tagungsstätte, das Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin e.V., gewachsen.

Bildungsauftrag Vielfalt der Natur am Samstagnachmittag im Ökowerklabor. Aufgaben werden verteilt, Gruppen gebildet. In der Ecke Regenjacke und Gummistiefel, Fakten zu Trübung und Sichttiefe des Teufelssees am Clipboard. Erlebnispädagogik mittels Geländerallye. Auf in den Wildkräutergarten entlang der Streuobstwiese, vorbei an der Wildbienen-Nistwand, weiter zum Barfußgarten. Umweltschutz, gesunde Ernährung und verantwortungsvolles Verbraucherverhalten sind populärer geworden. Vorschulkinder benutzen Wörter wie Massentierhaltung und Flugbanane, lernen Mülltrennung und Energiesparen. Ökowerk ist Multiplikator in den Bereichen Umweltbildung und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Ein Ort, der einen behutsamen Umgang mit Natur und Möglichkeiten umweltgerechten Handelns exemplarisch vorführt. Diplom-Biologe Reiner Grube begleitet heute eine Gruppe von Gasag-Mitarbeitern. Die meisten sind mit Familie gekommen. Der Berliner Gasversorger und Energiedienstleister ist Förderer des Ökowerks, und vor allem Schulklassen werden mit dieser Unterstützung in „grüne Klassenzimmer“ eingeladen.

Links: Der Blütenbesuchergarten des Ökowerks; Rechts: Führung durch den unterirdischen Reinwasserbehälter des alten Wasserwerkes [Fotos: Hartmann]


Das historische Wasserwerk, eine Fundgrube für Technikbegeisterte, die älteste Anlage der Stadt, wurde 1872 gegründet, nun weinumrankt, eine Idylle, der Schornstein Nistplatz für Turmfalken. Jetzt ist das alles Ökowerksgelände. Lehrreich und schön. Seltene Rentierflechten wachsen auf dem Filterhallendach, nach 80 Jahren werden sie immer noch nicht höher als ein Bleistift sein. Die Heilpflanzen sind sortiert in Hustenbeet, Hormonnützliches für die Seele und daneben die Gewächse, die der Verdauung dienlich sind. Emsiges Wuseln in der Bienenlaube und stilles im Lehmteich. Staudensellerie, Knospenkohl, Prunkbohne, Färberpflanzen, Steingarten und Blütenbesucherbeet. Ein Hauch von Bullerbü in Berlin. Blickt man dann noch über den Gartenzaun, sieht man den Teufelssee mit Badefloß, das – auch betreut vom Ökowerk – die Badenden vom geschützten Uferbereich fernhält.
„Vor allem für die Kinder ist das hier eine ganz tolle Sache. Die Mischung ist interessant: Wasserwerk – also Technik – und Beete, Gärten und Teiche miteinander auf einem Gelände.“ Gruppe Barfußgarten hat sichtlich Spaß. Die Kinder schummeln und schielen unter den Augenmasken vor. Stadtmenschenfüße leiden und spüren jedes Steinchen. Großeltern erzählen doch gerne diese Geschichte von früher, dass sie barfuß über Stoppelfelder gelaufen sind. Gruppe Ökostrom, ein Vater mit Tochter, Sohn und dessen Freund aus Potsdam, bastelt mit einem Solarbausatz: „Einfach ein schöner Nachmittag.“ Mittlerweile brennt Licht im Häuschen, und das Radio duddelt. „Es gibt viel zu entdecken. Ich bin überrascht.“ Aus einem Teich fischt die nächste Gruppe eine Posthornschnecke, Eintagsfliegenlarven, eine Spitzschlammschnecke und eine Büschelmückenlarve, dank Mikroskop und Bestimmungshilfen klar erkannt.
Altersgerecht und handlungsorientiert, ist das Ökowerk ein beliebter außerschulischer Lernort, mit allen Sinnen und im Zusammenhang erlebbar. Um die Basis in den Schulen zu verbreitern, werden auch Fortbildungskurse für Lehrer angeboten. Am Wochenende kommen die meisten Besucher, pilgern durch die Gärten, nutzen den Museumsbereich. Seit 2004 wird das Ökowerk um die Dauer- und Mitmachausstellung „Wasserleben“ erweitert. Imkern, Apfelringe selber trocknen, altes Kräuterwissen neu entdeckt, naturnahes Gärtnern, Ostbaumschnitt, Pilzwanderung und Kürbisbacken im Lehmofen. Im unterirdischen Reinwasserbehälter hallt ein Echo von zwanzig Sekunden durch die leeren  Kammern. Hier kann man sich unter Anleitung in Obertongesang üben.
Ökowerk geht auch auf Tour im Umland zu Bibern und Brunfthirschen, ist Natur in der Stadt auf der Spur, lädt zum Wandern nach Feierabend ein. Beim Wildnistraining lernen Kinder einen Unterschlupf zu bauen, Trinkwasser zu gewinnen und mit dem Kompass umzugehen. Reiner Grube betont: „Im Ökowerk wird sehr viel Engagement gebündelt von Angestellten, Freiberuflern und Ehrenamtlichen.“ Jährlich werden hier fünf bis sechs junge Freiwillige im Ökologischen Jahr und zehn bis fünfzehn Praktikanten betreut. Zwischen März und Mai werden jeden Morgen gegen sieben Uhr mehr als hundert Fangeimer auf Amphibien kontrolliert, die Funde dokumentiert und die Erdkröten und Teichmolche dann sicher über die Havelchaussee zu ihren Laichtümpeln im Uferbereich gebracht. Das ist praktischer Naturschutz, angewiesen auf viele Freiwillige, koordiniert von Ökowerk ebenso wie der Schutz der Grunewaldmoore oder das Zupfen für die Artenvielfalt, die Entfernung eingewanderter Pflanzen, um Platz zu schaffen für heimische Vegetation.

Kinder am Hochteich [Foto: Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin e.V.]

Ökowerk ist Zeuge der Technikhistorie und der sehr lebendigen umweltpolitischen Stadtgeschichte Berlins. Dem stillgelegten Wasserwerk drohte zunächst der Abriss und eine Umnutzung des Geländes. Es folgten begrüßenswerte Nutzungskonzepte wie das einer Kindererholungsstätte bis hin zur absurden Idee eines Vergnügungsparks nach amerikanischem Vorbild. Nach langen Diskussionen bot der Bezirk Wilmersdorf endlich dem Förderverein Ökowerk das fast drei Hektar große Gelände kostenfrei zur Nutzung mit der Auflage seiner Instandhaltung an; Abgeordnetenhaus und Senat folgten. Das Ökowerk am Teufelssee nahm am 1. Mai 1985 seine Arbeit auf. Die Finanzierung wird zur Hälfte durch das Land Berlin abgedeckt, die andere Hälfte über Beiträge der Mitglieder, Teilnehmergebühren, Spenden, Anzeigen und Projekte erbracht. Im vergangenen Jahr wurden 17 000 Teilnehmer bei Veranstaltungen gezählt, zusammen mit den geschätzten Wochenend-Besuchern sind über 50 000 Menschen ins Ökowerk gekommen. Es könnten weit mehr sein, wären nicht personelle Grenzen gesetzt.

Brit Hartmann

 

Information
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin e.V.
Ökologische Bildungs- u. Tagungsstätte
Teufelsseechaussee 22-24
14193 Berlin
www.oekowerk.de

48 - Herbst 2011