Altes neues Stadtviertel

Für viele ist er der schönste Platz BerlinS, einer der bekanntesten ist er auf jeden Fall: der Gendarmenmarkt. Ein Streifzug durch Geschichte und Gegenwart eines Ortes, an dem sich Kultur und Kommerz treffen.

Der Gendarmenmarkt ist belebt wie immer. Touristen sind mit der Fahrrad-Rikscha, dem Bus oder zu Fuß gekommen, um die berühmten Bauten zu bewundern, den Klängen einer Dixieland-Kapelle zu lauschen und sich dann vielleicht in eines der zahlreichen Cafés auf und neben dem Platz zu setzen. Es gibt viel zu sehen am Gendarmenmarkt, der im 17. Jahrhundert angelegt und nach einem Regiment der Gendarmen (Gens d’armes, auf Deutsch: Bewaffnete) benannt wurde. Dominiert wird er von den beiden Türmen des Französischen und des Deutschen Doms. Den Französischen Dom am nördlichen Platzrand ließ König Friedrich I. 1701-1705 für die französischen Hugenotten errichten, die nach Preußen geflohen waren. Fast gleichzeitig entstand am südlichen Platzrand der Deutsche Dom. Die beiden für den Platz charakteristischen barocken Kuppeltürme kamen allerdings erst 1785 hinzu.

Kultur, Luxushotels und Edelrestaurants ­locken scharenweise Berlin-Besucher an [Foto: © Berlin vis-à-vis ]


Heute finden im Französischen Dom noch immer Gottesdienste statt; die Kirche mit dem Hugenottenmuseum im Erdgeschoss steht aber auch für Besichtigungen offen. Zudem kann man den Turm besteigen und sich im Restaurant „Refugium“ bewirten lassen. Der Deutsche Dom beherbergt die vom Bundestag getragene Dauerausstellung „Wege – Irrwege – Umwege. Die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland“.
Beide Kirchen wurden im Krieg schwer beschädigt und erst Jahrzehnte später wiederaufgebaut. Das gilt auch für das ehemalige Schauspielhaus, das zwischen den beiden Gotteshäusern steht und nach Plänen des berühmten Architekten Karl Friedrich Schinkel errichtet wurde. Eröffnet wurde es 1821 mit Goethes „Iphigenie auf Tauris“, und jahrzehntelang war es das bedeutendste Theater Berlins. Theodor Fontane hatte hier seinen Stammplatz als Theaterkritiker. 1984 wurde der ­Wiederaufbau abgeschlossen; seither dient es nicht mehr als Theater, sondern als Konzertstätte und heißt deshalb Konzerthaus.
Bekannt ist der Gendarmenmarkt aber nicht nur wegen seiner Architektur, sondern auch wegen seiner Luxushotels und Edelrestaurants. Das Borchardt in der Französischen Straße zum Beispiel verdankt seinen Ruf weniger seiner Küche als vielmehr seiner beachtlichen Promi-Dichte. Einen guten Ruf haben auch das Aigner in der Französischen Straße, die Newton Bar in der Charlottenstraße, das für sein Wiener Schnitzel bekannte Lutter & Wegner und das als einziges Berliner Restaurant mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Fischer‘s Fritz im Hotel Regent. Köstlichkeiten anderer Art bietet das Schokoladehaus von Fassbender & Rausch, das die Berliner und die Touristen nicht nur mit seiner großen Auswahl an Schokolade und Pralinen anlockt, sondern auch mit einem im Schaufenster ausgestellten Reichstagsgebäude aus Schokolade. Allerdings war der Gendarmenmarkt in der Vergangenheit nicht immer ein Ort des Tourismus und des Vergnügens. Am 22. März 1848 wurden auf den Stufen des Deutschen Doms 183 Tote der Kämpfe der Märzrevolution aufgebahrt, in der das fortschrittliche Bürgertum gegen das Regime der Hohenzollern aufbegehrte. Weitere historische Zeugnisse finden sich in unmittelbarer Nähe – zum Beispiel das zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete Gebäude der Berliner Handelsgesellschaft (Behrenstraße 32-33), das vor einigen Jahren saniert wurde und jetzt als Berliner Sitz der bundeseigenen KfW-Bankengruppe dient. Die Berliner Handelsgesellschaft war eine Großbank, und tatsächlich befand sich bis zum Zweiten Weltkrieg rund um den Gendarmenmarkt das Berliner Bankenviertel.

oben links: Konzerthaus Berlin, Kleiner Saal [Foto: © Udo Lauer], Blick vom Podium; unten links: Kugelahorn als Schattenspender; rechts: Schiller-Denkmal und Deutscher Dom [Fotos: © Berlin vis-à-vis ]


Zu den wichtigsten Bankiers der Hauptstadt zählten die Mendelssohns, deren Stammhaus sich in der Jägerstraße 51, nur wenige Schritte vom Gendarmenmarkt entfernt, befand. Das Gebäude, das heute dort steht, wurde zwar erst nach der Wende errichtet; erhalten geblieben ist aber die Remise, in der eine Ausstellung an die Geschichte der bedeutenden deutsch-jüdischen Familie erinnert (geöffnet täglich von 12 bis 18 Uhr). Auf dem Nachbargrundstück (Jägerstraße 54) befand sich ab 1793 der Salon, in dem Rahel Varnhagen von Ense den Dichter Jean Paul, Prinz Louis Ferdinand und andere berühmte Persönlichkeiten ihrer Zeit empfing; eine Gedenktafel erinnert daran.
Heute ist der Gendarmenmarkt weniger von Geist als von Kommerz geprägt.
In den nach der Wende entstandenen Geschäftsbauten rund um den Platz haben sich viele Rechtsanwaltskanzleien und Beratungsunternehmen angesiedelt. Platz für Neubauten direkt am Platz gibt es mittlerweile nicht mehr; doch ein paar Schritte weiter, in der Jägerstraße 48, hat die Berliner Groth-Gruppe soeben mit dem Bau ihres Projekts Belles Etages begonnen. Nach einem Entwurf des Architekten Sergei Tchoban entsteht ein Wohnhaus mit 21 extrem luxuriösen (und mit über 10.000 Euro pro Quadratmeter auch extrem teuren) Wohnungen. Sie sollen hauptsächlich wohlhabende Kosmopoliten ansprechen, die sich eine Repräsentanz in bester Lage von Berlin-Mitte sichern möchten. Allerdings werden diese akzeptieren müssen, dass auf dem Gendarmenmarkt gelegentlich mehr Trubel herrscht, als dem Platz gut tut. Neben den beiden wichtigsten Veranstaltungen – dem Classic Open Air im Sommer und dem Weihnachtsmarkt – finden dort eine Vielzahl anderer Events statt. Nicht nur das missfällt Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. Sie wollte den Platz umgestalten, indem sie die Kugelahornbäume neben dem Französischen Dom – die in der ursprünglichen Platzgestaltung nicht vorgesehen waren – fällen lassen wollte. Der Plan provozierte heftige Proteste, und zu Beginn dieses Jahres entschied eine Bürgerversammlung mit großer Mehrheit, die Bäume stehen zu lassen. Vorangegangen war dem ein in dieser Form noch nie durchgeführtes Mitbestimmungsverfahren: Der Gendarmenmarkt ist, obwohl über 300 Jahre alt, noch immer offen für Neues.

Emil Schweizer
 

48 - Herbst 2011
Stadt