Bewegung im Sanierungsgebiet

Wenn Stadtteile in eine soziale Schieflage geraten, wenn sie unter einer schlechten Infrastruktur leiden und wenn Menschen wegziehen, hat die Politik die Möglichkeit, Instrumente der Stadterneuerung einzusetzen. Das Land Berlin steckte in den vergangenen Jahren viele Millionen Euro in seine Sanierungsgebiete – mit unterschiedlichem Erfolg.

Berlin-Prenzlauer Berg. Am Kollwitzplatz schauen gut situierte Mütter und Väter ihrem Nachwuchs beim Spielen zu, in den Cafés sitzen Touristen beim Latte Macchiato, und Passanten betrachten sehnsuchtsvoll die sanierten Fassaden der Gründerzeithäuser: Ach, wie schön wäre es, hier zu wohnen – ein Traum, den sich wegen der hohen Mieten und Kaufpreise nur die wenigsten erfüllen können.
Was wohl kaum einer der Touristen und Anwohner weiß: Das Gebiet um den Kollwitzplatz, heute eine der teuersten Wohnlagen Berlins, war bis 2009 ein Sanierungsgebiet. So heißt gemäß dem Besonderen Städtebaurecht ein Gebiet, in dem städtebauliche Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Diese wiederum definiert der Gesetzgeber als „Maßnahmen, durch die ein Gebiet zur Behebung städtebaulicher Missstände wesentlich verbessert oder umgestaltet wird“.

Vor der Wende herrschte hier Tristesse. Die Tucholsky-
und Auguststraße in Mitte fehlt heute in keinem Touristenführer.
 [Foto: Michael Haddenhorst]


Städtebauliche Missstände am Kollwitzplatz? Das kann man aus heutiger Sicht kaum glauben. Anfang der neunziger Jahre aber war Prenzlauer Berg noch nicht der hochglanzsanierte Vorzeigestadtteil wie heute. Damals, genauer zwischen 1993 und 1995, legte der Berliner Senat 22 Sanierungsgebiete förmlich fest. Denn „aufgrund der schlechten Bausubstanz und des hohen Wohnungsleerstands“, so die Begründung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, sei es geboten gewesen, „massiv Fördermittel zur Leerstandsbeseitigung, Instandsetzung und baulichen Aufwertung einzusetzen“.
Tatsächlich ermöglicht es der Status als Sanierungsgebiet, Fördermittel der EU, des Bundes und des Landes bevorzugt in die entsprechenden Kieze fließen zu lassen. Dabei verfolgte das Land Berlin zunächst die Strategie, die öffentlichen Gelder hauptsächlich der Aufwertung der Wohnungen zugute kommen zu lassen – mit der Folge, dass innerhalb von zehn Jahren 41 000 Wohnungen, die Hälfte aller Wohnungen in den Sanierungsgebieten, modernisiert wurden. 2002 aber steuerte der Senat um: Fortan konzentrierte sich die Unterstützung der öffentlichen Hand auf die Verbesserung der Infrastruktur – vor allem der Schulen und Kindertagesstätten – und die Aufwertung des öffentlichen Raums.
Die Maßnahmen waren nach Einschätzung des Senats erfolgreich: „Der bauliche Verfall der gründerzeitlichen Quartiere“, stellt die Stadtentwicklungsverwaltung fest, „konnte gestoppt und ein enormer Modernisierungsschub ausgelöst werden, so dass die Gebiete sich heute zu weiten Teilen als attraktive Wohn- und Lebensräume präsentieren.“ Das zeigt sich besonders in den Sanierungsgebieten in Prenzlauer Berg, zu denen neben dem Kollwitzplatz auch der Helmholtzplatz, das Bötzowviertel und das Winsviertel gehörten oder gehören – allesamt Quartiere, die heute ausgesprochen beliebt sind und eigentlich keine besondere Unterstützung mehr benötigen.
Deutlich wird dies zum Beispiel beim Quartier um die Winsstraße, das in diesem Jahr aus dem Status als Sanierungsgebiet entlassen wurde. Hundert Millionen Euro aus Töpfen der EU, des Bundes und des Landes Berlin flossen in das Areal zwischen Greifswalder Straße und Prenzlauer Allee – mit Erfolg, wie Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer findet: „Das Ziel, das Gebiet entsprechend seiner Funktion als citynaher Wohnstandort mit Arbeitsstätten zu erhalten und wesentlich zu verbessern, wurde in beeindruckender Weise erreicht.“
Das bestätigt eine Sozialstudie, die das Forschungsinstitut Argus 2009 durchführte. Demnach betrug der Anteil derjenigen erwachsenen Bewohner des Winsviertels, die über einen Hochschul- oder Fachhochschulabschuss verfügen, nicht weniger als 77 Prozent – 1992 waren es im selben Gebiet 17,5 Prozent gewesen. Und 37 Prozent der Haushalte im Winsviertel bezifferten ihr monatliches Haushaltsnettoeinkommen auf mehr als 3.000 Euro – in ganz Berlin verfügen lediglich 12 Prozent der Haushalte über so viel Geld.

Das Haus in der Linienstraße / Ecke Kleine Rosenthaler Straße ist eines der letzten, die schon in der Nachwendezeit besetzt wurden. In der Spandauer Vorstadt sind mittlerweile fast alle Häuser saniert


In anderen Sanierungsgebieten dauerte es länger, bis sich der Erfolg einstellte. Doch auch das Gebiet um Wollank- und Florastraße in Pankow und das Komponistenviertel in Weißensee haben sich mittlerweile zu Kiezen entwickelt, die bei jungen Familien sehr beliebt sind. Nicht behaupten lässt sich dies jedoch von der Soldiner Straße in Wedding. Dort ging die Bevölkerungszahl im Lauf der Sanierung deutlich zurück – einen Erfolg kann man das nicht nennen.
In diesem Jahr hat der Senat sieben neue Sanierungsgebiete festgelegt, die sich in den nächsten 15 Jahren mit einem Mitteleinsatz von insgesamt 216 Millionen Euro zu attraktiven Stadtteilen entwickeln sollen. Es sind dies die Gegenden um die Turmstraße (Moabit) und die Müllerstraße (Wedding), die nördliche Luisenstadt (Mitte), der Mehringplatz (Kreuzberg), das Gebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee (Neukölln), die Wilhelmstadt (Spandau) und das Viertel nördlich der Frankfurter Allee (Lichtenberg). „Wir werden“, stellt Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer in Aussicht, „einerseits die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger verbessern und andererseits Anreize für private Investitionen schaffen.“
Dabei steht die Politik vor der Herausforderung, die soziale Ausgewogenheit in diesen Kiezen zu wahren. „Nachteilige Wirkungen, auch die Verdrängung der ansässigen Wohnbevölkerung, sollen möglichst vermieden oder gemildert werden“, heißt es in den vom Senat beschlossenen „Leitsätzen zur Stadterneuerung für die Sanierungsgebiete in Berlin“. Das wird nicht einfach sein, hat doch in mehreren der neuen Sanierungsgebiete bereits jetzt die Aufwertung eingesetzt: In Moabit und Wedding, so ist aus Maklerkreisen zu hören, sichern sich derzeit viele Investoren Mehrfamilienhäuser, da sie mit deutlich steigenden Mieten rechnen. Und das Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße grenzt an „Kreuzkölln“, das in den letzten Jahren enorm an Attraktivität gewonnen hat – wobei der Aufschwung pikanterweise dort erst so richtig einsetzte, nachdem 2007 der Status als Sanierungsgebiet aufgehoben worden war.

Paul Munzinger

48 - Herbst 2011
Stadt