Prinzen, Kinder und Agenten

Überquert man die Glienicker Brücke von Berlin kommend, so leuchtet einem gleich rechter Hand am Jungfernsee eine weiß strahlende Turm-Villa entgegen. In einer blau gefassten Nische hat eine Minerva-Figur die Lanze aufgepflanzt. Die von alten Bäumen gerahmte Villa Schöningen ist gleichsam das erste, was einem in Potsdam begegnet, und genau das war Absicht.


König Friedrich Wilhelm IV. und sein Bruder Prinz Carl hatten Mitte des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt um dieses erfreulichen Anblicks willen einen Vorgängerbau abreißen lassen. In ihrem Auftrag entwarf Ludwig Persius 1843 für den Hofmarschall des Prinzen Kurd Wolfgang von Schöning das Haus im italienischen Stil. Nach dem Herkunftsort der Familie von Schöning, dem nahe Braunschweig gelegenen Schöningen, wurde die Villa schließlich benannt.
Später ging das Anwesen in den Besitz der deutsch-jüdischen Bankiersfamilie Wallich über. Hermann Wallich war einer der ersten Direktoren der Deutschen Bank. Die Wallichs ließen Veränderungen auf dem Grundstück vornehmen, bauten ein größeres Stallgebäude und umgaben das parkähnliche Grundstück mit einer rot-gelben Ziegelmauer. Ihre Nachfahren erweiterten und modernisierten das vornehmlich als Sommersitz genutzte Wohngebäude noch einmal.
Während ein Großteil der Familie Wallich die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg in den USA erlebte, hütete ab 1940 ihre Köchin das Haus. Für einige Zeit diente die Villa Schöningen den Nazis dann als Bibliothek und militärische Dienststelle. Nach 1945 wurde das herrschaftliche Haus wie viele seiner Art einer typisch realsozialistischen Nutzung zugeführt. Nachdem die Rote Armee hier ein Lazarett eingerichtet hatte, folgten ab 1950 ­der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund und ein Kinderwochenheim. Glück­licherweise blieb die Villa Schöningen auch nach 1961 erhalten, als in etwa 15 Metern Entfernung die Berliner Mauer verlief. Im Zusammenhang mit dem Austausch von Agenten erlangte der nahe gelegene Grenzübergang Glienicker Brücke spektakuläre Berühmtheit. Die Villa lag bis zur innerdeutschen Wende im Sperrgebiet und konnte nur noch mit Sonderausweis betreten werden. Trotzdem wurde sie weiter als Kinderwochenheim genutzt. Etwa 40 Kinder wurden hier von montags bis freitags betreut.

Die Villa Schöningen vor und nach der Sanierung [kl.: © Doris Antony und gr.: © Jonas Maron]


Mit der Wiedervereinigung wurde die repräsentative Villa an die Familie Wallich rückübertragen und drohte nach dem Verkauf Immobilienspekulationen zum Opfer zu fallen. Es gab Pläne für eine großflächige Bebauung des Parks. Später wurde sogar der Abriss der denkmalgeschützten Villa erwogen. Beides konnte dankenswerterweise durch die Verantwortlichen der Stadt verhindert werden. Dennoch verfiel das Gebäude zunehmend. Das mittlerweile verwahrloste Haus erwarben im Frühjahr 2007 der Vorstandschef der Axel Springer AG Mathias Döpfner und der Bankier Leonhard H. Fischer, die es über zweieinhalb Jahre denkmalgerecht sanieren ließen. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls wurde die Villa Schöningen am 8. November 2009 durch Bundeskanz­lerin Angela Merkel wiedereröffnet.
Gern wird in solchen Fällen mit dem Vorher-Nachher-Bild gearbeitet, und tatsächlich konnte der Kontrast eindrucksvoller kaum sein. Heute dient die Villa Schöningen als Deutsch-Deutsches Museum, als Ausstellungsort für moderne Kunst und als literarischer Salon. Darüber hinaus gibt es einen Skulpturengarten und ein Gartencafé.


Information

Villa Schöningen | Berliner Str. 86
14467 Potsdam
www.villa-schoeningen.de

Öffnungszeiten:
Di. bis Fr. 11 – 18 Uhr
Sa. u. So. 10 – 18 Uhr
 

48 - Herbst 2011