Nein, keine Kronleuchter, keine lederbezogenen Sideboards und nur vereinzelt ein Hirschgeweih aus Sperrholz. Dafür leuchten in filigraner Schönheit an endlosen Schnüren hängende Glaskugellampen und tauchen einen schroffen Raum, wie es ein Flugzeughangar ist, in Poesie. Die Teppiche im Vintage-Stil des Bochumer Designers Jan Kath werben in einer Umgebung aus Beton und Eisen für die exklusive Schönheit und haptische Qualität des Handgeknüpften und bilden eine Brücke zwischen Trenddesign und Klassik. Ein ganzes Zelt, mit OLED-Lampen bespickt, offeriert neue Wege im Lichtdesign. Neben der schlichten Formensprache etlicher Holzmöbel wie den Stühlen der italienischen Firma Mattiazzi oder skulpturalen Sesseln der Schweden von Bla Station, Tulpen-Klassikern aus Maastricht bei Artfort oder retro-trendigen Holzlamellenlampen zeigt sich zuweilen auch die Not mit dem Neuen in vagen Kopien (Sessel der Firma Palau) und, nun ja, artifiziellem Schnickschnack („Berlintasse“ von Kühn Keramik).
MYK - Ventura Berlin
Man kann es als Statement begreifen, wenn die Firma Thonet hier ihre Holzbiegetechnik mobil vorführt, um darauf zu verweisen, dass ihr Stuhl-Welterfolg einer technologischen Innovation plus ästhetischer Umsetzung zu verdanken war. Ganz in Gold schwelgt die italienische Luxusmarke Bisazza. Die Mosaikfirma stellte die legendären Männer-Kultobjekte wie Jacke, Schuhe, Hut usw. vom Enfant terrible Alessandro Mendini mitten in den Hangar 7. Es ist ein Glückwunsch zum 80. Geburtstag des Designstars und ein glänzender ironischer Kommentar auf eine Welt von gestern. Heute muss neu nachgedacht werden über Konsum und Zweck, Statussymbol, Massenprodukt und Individualität über demographischen Wandel und kulturelle Differenz in einer krisengeschüttelten Welt.
Qubique klingt wie Cube und wie Kubikmeter und meint beides – die Erfindung von Räumen mit Hilfe von Möbeln und Accessoires, die schöne Kunst der Ausstellung. Es ist die
superlative Industriearchitektur mit ihren subtilen Details, die es dem Architekten Ulrich Weingärtner angetan hat. Er erklärt das offene Konzept der „Next Generation Trendshow“, wie die Messe im Untertitel heißt: keine „Karnickelställe“, wo einem die Luft wegbleibt, keine mondänen Raumofferten, sondern ein kommunikatives Gesamtensemble, das mit der Architektur eine Liaison eingehen soll. Der stillgelegte Tempelhofer Flughafen mit seiner Geschichte und einem hinreißend hässlichen Dahin-ockern, wie man die schleichende Morbidität nach dem Farbton des allgegenwärtigen Travertin gern bezeichnen möchte, bietet der Möbelmesse den „trendigsten Ort, den Berlin derzeit zu bieten hat“. Anmaßung und Zweckhaftigkeit des Gebäudekomplexes, das Monströse und das Elegante werden mit einer lebendigen urbanen Phantasie vielfach umgenutzt: allen voran durch die Modemesse „Bread&Butter“, dann die alljährliche Designschau „DMY“ oder die Kunstplattform „Preview“. Für den Messe-neuling wurden erst mal 22 000 Quadratmeter gebucht. 130 Firmen, darunter Traditionsunternehmen wie Thonet oder Vitra, Exoten wie Fornasetti, die avantgardistischen Engländer Established & Sons, Skandinavier, Spanier, Schweizer kamen, weil sie sich des kreativen Inputs und der Aufmerksamkeit im „Hotspot“ Berlin sicher waren. „Eine Luxusmesse sei die Qubique nicht“, erklärt Matthias Schmid, „aber eine, bei der es um Qualität geht“.
oben: Sideboard von Mark Bendow. Ventura Berlin, unten: Beleuchtung von Foscarini
Als Geschäftsführer der offshow AG hat Matthias Schmid – bis 2010 bei Bread & Butter – mit einem Team von 20 Leuten innerhalb eines Jahres die Möbel- und Designschau entwickelt. Der Vierzigjährige mit der unvermeidlichen Wollmütze will bis 2015 zulegen. 35 000 Quadratmeter sollen dann mit „dem Besten, was in der Welt an innovativem Design produziert“ wird, bespielt werden. Für das nächste Jahr wünscht er sich erst mal: Noch mehr Mut der Aussteller für ihre Präsentationen und natürlich noch mehr Neuheiten.
oben: Sitzmöbel von Vitra, unten: Lichtkugeln von Bocci
Generell ist die Frage, warum Berlin nicht auch eine Möbelmesse haben sollte. Mailand, die glamouröse Salondame der Wohnkultur, beging immerhin schon ihr 50. Jubiläum. Genau deshalb! Die Imm Cologne wiederum ist so weitläufig wie breit im Angebot. Da darf sich doch die nächste Generation ruhig mal umtun und ein ausgefeiltes Segment kreieren. „80 Prozent der Aussteller, die nach Berlin kommen“, so Ruben Hutschemaekers, der Sales-Manager und Dritter des offshow-Teams, „gehen nicht auf die klassischen Messen“. Dafür entwickeln sich junge Designzentren samt mittelständischen Produzenten von Belgien bis Brasilien, von der Schweiz bis Osteuropa. Für sie gilt der Lockruf: Berlin hat Platz, ist preiswert, im Oktober hält sich das Wetter, an Party-erfahrung ist die Spreestadt kaum zu übertreffen, und kulinarisch gibt es einiges zu entdecken. Kochen, feiern, gucken. Es gehört zum Berliner Optimismus, Vorhandenes zu verknüpfen und Neues entstehen zu lassen, und kaum etwas verströmt mehr Lebensbejahung als junges Design, das als Begriff inzwischen ein in alle Lebensbereiche hineinreichendes Nachdenken über Nachhaltigkeit, Variabilität, Leichtigkeit, Maßhaltigkeit umfasst. Der zeitgemäße Ort des urbanen Forschens und Entwickelns ist das „Lab“. Es kann eine kleine kluge Hinterhaus-Denkbude sein oder eben eine ganze Stadt, die sich selbst zum urbanen Experimentierfeld ausgerufen hat. Die Qubique als hippe Jungberlinerin gehört dazu und erprobt eine Messe als Gesamtevent.
Anita Wünschmann