Mit dem Berliner Olympiastadion entstand vor 75 Jahren eine außergewöhnliche Sportanlage, deren Erbe bis heute nachwirkt.
Nähert man sich dem Berliner Olympiastadion, ist es nicht nur die Freude auf das Fußballspiel oder das Konzert, die den Augenblick bestimmt. Stets wird man auch von einer Art Ehrfurcht erfasst, angesichts des beeindruckenden monumentalen Bauwerks und dessen Mythos, der in einer düsteren Zeit seinen Ursprung hat und untrennbar mit dem Stadion verbunden ist.
Auf einer Fläche von 150 Hektar entstand von 1934 bis 1936 nach Entwürfen der Architekten Werner und Walter March auf dem Areal der ehemaligen Pferderennbahn Grunewald in Westend das Olympiagelände für die XI. Olympischen Sommerspiele. An der Stelle des damals dort stehenden Deutschen Stadions auch das neue Olympiastadion, umgeben von Schwimm-, Hockey- und Reitstadion, Trainingsplätzen, der damals für Boxkämpfe genutzten Waldbühne und dem Maifeld, auf dem das Poloturnier stattfand. Am 1. August 1936 wurde es zusammen mit den Spielen eröffnet. Es war ein Bauwerk der Superlative, das hunderttausend Zuschauern Platz bot. Architektonisch an antiken Sportstätten orientiert, ist es teilweise als Erdstadion ausgeführt, bei dem nur der obere Ring über das Erdniveau hinausragt. Wegen des zu erwartenden propagandis-tischen Effektes hatte Adolf Hitler den Bau eines besonders imposanten Großstadions angeordnet. Dass die Nationalsozialisten damals die völkerverbindende Idee Olympias bedienten, war besonders perfide, ging es doch um eine gigantische Täuschung über die wahren Inhalte und Absichten ihrer Ideologie. Leni Riefenstahl hat mit „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“ die dazu passenden Filme geschaffen. Mit einer Bildsprache, die genau der „Ästhetik des Veranstalterstaates“ entsprach. Star von Olympia 1936 war allerdings kein deutscher Sportler, sondern der schwarze US-Amerikaner Jesse Owens mit vier Goldmedaillen. Nach den Olympischen Spielen war das Olympiastadion Austragungsort für Großveranstaltungen und die Endspiele der deutschen Fußballmeisterschaft.
[Fotos: Wolfgang Reiher]
Vom Krieg blieb das gesamte Areal des sogenannten Reichssportfeldes, 1950 in Olympiastadion Berlin umbenannt, weitgehend verschont. Das Olympiastadion selbst verschwand allerdings im Laufe der folgenden Jahrzehnte mehr oder weniger aus der öffentlichen Wahrnehmung. Erst 1998 beschloss der Berliner Senat, das inzwischen marode Stadion umfassend zu sanieren. Im Sommer 2004 wurde das Olympiastadion schließlich wiedereröffnet und an die neu gegründete Betreibergesellschaft, die Olympiastadion Berlin GmbH, übergeben. Seitdem wird es als Fünf-Sterne-Stadion gehandelt, der höchstmöglichen Wertung für Stadien in Europa. So ist es inzwischen nicht nur attraktive Spielstätte für den Bundesliga-Fußballclub Hertha BSC, sondern war und ist mittlerweile Austragungsort großer internationaler Sportveranstaltungen und Konzerte: mit dem Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, dem Eröffnungsspiel der FIFA Frauen-WM 2011, den Spielen des jährlichen DFB-Pokalfinale, der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009, dem jährlich stattfindenden Internationalen Stadionfest ISTAF sowie Konzerten von Madonna, U2, Robbie Williams, Genesis, Depeche Mode, Herbert Grönemeyer, den Rolling Stones oder AC/DC.
Zum 75. Jubiläum in diesem Jahr wurde am Osttor das neue Besucherzentrum als Anlaufpunkt für Gäste aus aller Welt mit erweiterten touris-tischen Angeboten eröffnet. Von dort aus werden jetzt auch ausgedehnte Führungen durch den gesamten Olympiapark auf den Spuren deutscher Sport- und Architekturgeschichte angeboten. So ist das Olympiastadion längst auf dem besten Wege, vom bedeutenden Monument mit historischem Erbe zu einem wirklichen Nationalstadion zu werden.
Reinhard Wahren