Ein märkischer Wintertag

Streifzug durch ein altes Bauerndorf zu einem verträumten Schloss und vorbei an geistigen Refugien inmitten einer wunderbaren Landschaft

Gerade noch einmal hat die Bücherscheune geöffnet. Oder besser gesagt, stehen die gläsernen Flügeltüren, die das einstige Scheunentor ersetzt haben, weit offen, vermutlich nur zum Lüften der bis unter die hohen Decken in schmale Regale einsortierten Bände. Auf einem schönen Tisch liegen gestapelte Werke etwa von Simone de Beauvoir in lässig abgelegter Nachbarschaft zu Oswald Spenglers „Der Untergang des Abendlandes”; aus einem Kasten lugt eine rot-grün geschmückte Inselausgabe von Stefan Zweigs „Reisetagebuch”. Andere Werke warten auf einem ausladenden Sofa auf ihre Wiederentdeckung. Frauke Hildebrandt, die Tochter von Regine Hildebrandt, wohnt im Bauernhaus mit ihrer Familie. Ihr Mann betreibt das Antiquariat. Die Spätherbstgäste dürfen noch herumstöbern. Eigentlich ist es nur von April bis Oktober geöffnet und gehört zur 2007 gegründeten Initiative „Offene Höfe” in Ihlow – dabei ein Schaugarten, ein Biobauernhof mit Übernachtung, Speisen und Kutschfahrt sowie die „Kunsthalle Hagedorn”. Im Winter nur Stille und Spazierwege.

[Foto: Sabine Feierabend]


Und dann aber das: Ein hellbraunes Huhn hockte sich auf den Eingangsbalken, welcher der Scheune als Schwelle diente und suchte Zuspruch beim unvermuteten Antiquariatsbesucher. „Tuck, Tuck!”, ganz direkt und höflich zugleich unmissverständlich um Aufmerksamkeit bittend die Ansprache. Es entspann sich ein Dialog in kurzen Worten und warmen Gurr- Lauten. Das Bücherhuhn hatte etwas mitzuteilen, irgend etwas hatte es dazu bewogen, sich von der bunten Gefiederschar nebst grün-braun-rotem Bilderbuchhahn abzusondern und Menschenkontakt vorzuziehen. Man muss nicht an Reinkarnation glauben, aber man kann gewiss sein, dass es eine stille oder besser lautarme Seelenübereinkunft zwischen Besucher und Huhn gab. Oder sollte es einfach nur den kommenden Tag in der Suppe liegen und bat um Beistand?

Schloss Reichenow ist der ideale Ort für erholungssuchende Städter
zu jeder Jahreszeit [Fotos Dirk Hahn]


So ist Ihlow. Drei große Dorfteiche, um die sich die Bauernhäuser der 180 Einwohner gruppieren. Das tausendjährige Angerdorf hat seine Feldsteinsockelhäuser zumeist mit rotem Backstein erneuert. Die 1240 errichtete, spätromanische Wehrkirche und ein Gutshaus ergänzen das märkische Bild. Gerade drei Kilometer entfernt und eben auch noch „vor den Toren der Stadt” findet man das neogotische Schloss Reichenow am See. Es hat den ganzen Winter hindurch für Besucher und Übernachtungsgäste geöffnet. Man muss weder Angler noch Naturfotograf oder Eisbader sein, um dem etwa einstündigen Seerundweg mit Blickachse zum Schloss von der gegenüberliegenden Badestelle, mit Knüppeldamm und aufsteigendem Ufer, seinen Reiz abzugewinnen. Im Winter leuchtet das Gelb-Ocker des Schilfs warm vor dem blassen Blau-Weiß-Grau des überfrorenen Gewässers. Die Laubbäume haben sich zur Graphik drapiert. In wilder Zeichnung steht das Gestrüpp. Die geheimnisvollen Schönheiten sind faktisch immer an der Schmalseite, am hintersten Winkel der Endmoränenschmelzwasserrinnen – dem üblichen Ort märkischer Legenden –zu finden. Ein alter Weißdorn markiert die Stelle. Eichen mit schrundiger Borke säumen den Weg. Der Himmel im Dezember zeigt sich so monochrom, als wolle er gleich einem Bild den Mischton aller Buntfarben wiedergeben.
Zurückgekehrt, gibt es phantasievoll bereitete ländliche Kost – Fisch und Wild – aus der Nachbarschaft im fein gemachten „Hochzeitschloss“.

Besonderer Veranstaltungsort: Als Refugium und Bühne zur Welt mit Blick nach Osten gerichtet gilt das Schloss Neuhardenberg [Foto: © Stiftung Schloss Neuhardenberg / Toma Babovic]


Wem allzu viel Natur und frühe Winterdunkelheit das Gemüt beschweren, fährt besser ins preußisch-rechtwinklige Neuhardenberg, um drei, vier Häuser Licht mehr zu haben nebst Landschaftspark, Schinkelkirche, Konzert und engagierter Kunst. Der Fontane-Wanderweg verbindet zehn Stationen und führt von der Oder kommend an den Schlössern Gusow, Neuhardenberg und Wulkow vorbei in die Märkische Schweiz, sucht dort das Schloss Reichenow, findet das Anwesen in Möglin, wo von 1804 bis 1828 der Landwirtschaftspionier und Gründer der Preußisch Königlichen Landwirtschaftsakademie, Albrecht Daniel Thaer (1752 bis 1828), seine Spuren hinterlassen hat. Der einstige Arzt aus Göttingen siedelte auf Einladung des Preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. ins Brandenburgische um und kaufte das Rittergut Möglin. Heute bezeugen Museum, Denkmal und – ja, das Biobauernwesen seine Anwesenheit. Weiter geht's an Ihlow vorbei ins einstige Kurstädtchen Buckow mit dem in der Sonne glitzerndem Schermützelsee.
Und man hört Fontane griesgrämeln:
„Ja, Buckow ist schön, aber doch mit Einschränkung. Es hängt alles davon ab, ob wir Buckow die Gegend oder Buckow die Stadt meinen; allen Respekt vor jener, aber Vorsorge gegen diese. Seine Häuser kleben wie Nester an Abhängen und Hügelkanten, und sein Straßenpflaster, um das Schlimmste vorwegzunehmen, ist lebensgefährlich.“
(Theodor Fontane, „Wanderungen durch die Mark.”)

Ein hausgemachter Mohnkuchen im Stadtcafé zu Füßen der Backsteinkirche ist aber abgemacht. Wer mag, findet auch Quarkschnecke oder den Berg hinauf mit phantastischem Blick vom „Bergschlösschen“ ein Gourmet-Abendessen – Lamm gleich vom Hof.
Man kann sich Fontanes Beschreibungen überlassen oder Bertolt Brechts Lyrik aus den Buckower Elegien folgen. Und da heißt es – man hat das Brecht-Weigel-Haus samt Debattentisch, Tafelspitz und Theaterrequisiten vor Augen, sieht die Geliebte auch nahe untergebracht:
„Vom Dach steigt Rauch.
Fehlte er,
Wie trostlos dann wären
Haus, Bäume und See.“
Gültiger kann es nicht sein.

Anita Wünschmann

Informationen
www.schlossreichenow.de
www.fontanewanderung.de
www.amt-maerkische-schweiz.de

49 - Winter 2011/12