Etwa 60 Wölfe leben bisher in Deutschland, die meisten Tiere haben sich in Sachsen und Brandenburg angesiedelt. Über 100 Welpen wurden seit dem Jahr 2000 in der Lausitz geboren. Und es kann auf weiteren Nachwuchs gehofft werden. Ganz Brandenburg ist „Wolfserwartungsland“, heißt es bei Naturschutzverbänden und Landesregierung. Doch die Rückkehr des Wolfes verläuft nicht ohne Vorbehalte. Vorurteile und Ängste erschweren es ihm, seinen Platz in angestammte Reviere zurückzuerobern.
Die Natur gewinnt an Wert, je ferner sie abrückt. Nach jahrhundertelanger unerbittlicher Verfolgung des Wolfes durch den Menschen steht er in Deutschland seit 1990 unter strengem Schutz. Polen hat acht Jahre später nachgezogen. Seither kann er ungehindert seine alten Lebensräume zurückgewinnen. Längst sind die weitläufigen Brandenburger Wälder neue Heimat des Stammvaters aller Hunderassen geworden. 30 bis 40 Tiere sollen jetzt im Fläming, in der Prignitz und hauptsächlich in der Lausitz in stillgelegten Tagebauen und auf ehemaligen Truppenübungsplätzen leben. Regierung und Naturschutzverbände begrüßen die Ankunft des grauen Heimkehrers, denn es stehe nun mal fest, dass Wölfe in unsere Kulturlandschaft gehören. In weiten Teilen der Bevölkerung ist die Akzeptanz und sogar Freude und Ehrfurcht gegenüber dem Wolf da. Allerdings wird das von zahlreichen Märchen und Mythen umwobene Wildtier lange nicht von allen Menschen toleriert. Aufgrund von Urängsten und Vorurteilen und nicht zuletzt Unwissenheit wird der Wolf, der von Natur aus als menschenscheu gilt, abgelehnt und schlimmstenfalls vereinzelt gewildert, wie im jüngsten Fall im Frühling dieses Jahres, als eine junge Wölfin in Sachsen durch eine Gewehrkugel ihr Leben lassen musste. Manch einem ist der neue Waldbewohner nicht geheuer. So geraten Wölfe und Menschen immer wieder in Konflikt. Besonders dann, wenn Tierhalter gerissene Schafe zu beklagen haben oder Jäger den Wolf als Konkurrenten beargwöhnen. Regierung und Naturschutzverbände sind seit Ankunft der ersten neuen Waldbewohner damit beschäftigt, die verschiedenen Interessengruppen auf ihre weitere Verbreitung vorzubereiten. „Wolfsarbeit ist an erster Stelle Arbeit mit Menschen in Wolfsgebieten“, so Steffen Butzeck. Der Wildbiologe ist zuständig für „die Arbeit am Wolf“ beim Landesumweltamt. Sein Büro ist in der Naturwacht Burg im Spreewald. Aber die meiste Zeit ist er unterwegs. Mit einem freiwilligen Helfer betreibt er landesweit das sogenannte Schadensmanagement, begutachtet verletzte oder getötete Wölfe, von denen ein großer Teil Verkehrsopfer sind, geht auf Präventionstour zu Landwirten und Tierhaltern. Letzteres ist besonders zeitintensiv. Zumal kürzlich eine Serie von Schafrissen die Gegend um Spremberg unsicher gemacht hat. Die Zahlen von erbeuteten Nutztieren halten sich allerdings in Grenzen. Laut Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sind von geschätzten 15 000 Schafen im Wolfsgebiet im vergangenen Jahr nur 16 von Wölfen gefressen worden. Das einzig probate Mittel gegen Übergriffe auf Nutz- und Haustiere sei, auf wolfssichere Zäune umzurüsten. Gewerbliche Landwirte, ob im Haupt-oder Nebenerwerb, bekommen hundertprozentige Förderung für den „wolfsbedingten Mehraufwand“ an Zäunung. Hobby-Tierhaltern müssen die Kosten für die Sicherung von Schafen oder Ziegen und anderen durch Wölfe gefährdeten Tieren selbst tragen. Leider passieren „die allermeisten Nutztierverluste privaten Haltern“, was Butzeck als großes Problem ansieht. Somit hoffe er auf die Agrarförderung im nächsten Jahr.
Foto links: Hasen und Kaninchen gehören zu seinem Speiseplan [© fotolia/ rafi] Foto rechts: Wildbiologe Steffen Butzeck untersucht die Überreste eines gerissenen Schafes ]
Gezahlt wird in jedem Fall, ob gewerblich oder privat, wenn Tiere nachweislich von einem Wolf gerissen wurden. Um sicherzugehen, müssen die Überreste gründlich daraufhin
untersucht werden. Das kann Steffen Butzeck feststellen, indem er dem Kadaver die Haut abzieht: „Der Wolf tötet mit einem gezielten Biss in die Kehle, dem Drosselbiss. Hunde beißen wahllos auf ihr Opfer ein und verursachen dadurch Bissverletzungen am ganzen Körper.“ Der Wolfsbeauftragte berät Landwirte ebenso wie Hobby-Tierhalter. Ob es um den Schutz zweier Lamas gehe oder um eine ganze Schafherde, mache für ihn keinen Unterschied. „Wir müssen versuchen, auf die Interessen jedes einzelnen einzugehen. Viele Menschen sind verunsichert. Man muss sie ernst nehmen, beraten und unterstützen. Nur dann hat der Wolf langfristig eine gute Chance, in friedlicher Koexistenz mit dem Menschen zu leben“, so Butzeck, der dankbar ist für jede umgesetzte Maßnahme gegen mögliche Übergriffe von Wölfen auf Haustiere.
Über allem stehe, die Interessen des Naturschutzes mit denen der Tierhalter und anderer Bevölkerungsgruppen bestmöglich in Einklang zu bringen. Wichtig dabei ist auch, den Leuten die Angst vor dem Wolf zu nehmen. Woher die Skepsis gegenüber einem so intelligenten und faszinierenden Tier rührt, erklärt der Biologe mit der Grimmschen Märchenwelt vom bösen Wolf. „Wir sind alle frühkindlich Rotkäppchen-geschädigt. Mit der Nutztierhaltung des Menschen mutierte der Wolf zum Bösewicht oder zur blutrünstigen Bestie.“ Besonders irrational daran sei, „dass das Tier, das uns in Deutschland keine Toten beschert, als bedrohlich empfunden wird, obwohl jedes Jahr Menschen durch Bienen oder Hunde sterben. In ganz Europa sind in den letzten 50 Jahren neun Menschen durch einen Wolf getötet worden, davon fünf durch tollwütige Tiere“, so der Fachmann.
Und dennoch, der Wolf polarisiere wie kaum ein anderes Thema im Artenschutz. Es gibt Pläne aus Sachsens Umweltministerium, ihn dort wieder ins Jagdrecht aufzunehmen. Damit könne er am Ende aber nur verlieren, kritisieren Naturschutzverbände.
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Der Wildreichtum in unseren Wäldern sichert dem Wolf das Überleben, die Waldbesitzer profitieren ebenso, weil weniger Wildverbiss zu erwarten sein wird und für die Jäger bleibe genug jagdbares Wild erhalten. Immer wieder werden Arten durch Jagd auf sie oder Zerstörung ihres Lebensraumes ausgerottet. Deshalb gibt es beispielsweise aktuell Bemühungen zur Wiederansiedlung des Auerhuns. Dazu werden schwedische Wildvögel in die Brandenburger Wälder entlassen. Denn hier ist der scheue Waldvogel längst ausgestorben. Der bekannte Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf resümiert in seiner „Kurzen Naturgeschichte des letzten Jahrtausends“, die Lebensfähigkeit vieler Tiere hänge weit mehr davon ab, ob Menschen sie leben lassen, als davon, was die Natur biete. Die Heimkehr der Wölfe macht Hoffnung für ein Miteinander von Mensch und Tier.
Ina Hegenberger