Neustart für die Hauptstadtkultur

Seit über sechzig Jahren prägen die Berliner Festspiele das Kulturleben der deutschen Hauptstadt. Jetzt hat die traditionsreiche Institution einen neuen Intendanten: den 45-jährigen Thomas Oberender. Der will mit seinem Team nicht alles, aber vieles anders machen als sein Vorgänger
Joachim Sartorius.

Ein Intendantenwechsel bei den Berliner Festspielen ist ein seltenes Ereignis. 27 Jahre lang hatte der legendäre Ulrich Eckhardt die Fäden in der Hand, immerhin elf Jahre lenkte Joachim Sartorius die Geschicke der Festspiele. Jetzt also ein vergleichsweise junger Mann: Thomas Ober-ender, geboren 1966 in Jena, in den neunziger Jahren als Dramatiker hervorgetreten, danach unter anderem als Chefdramaturg am Schauspielhaus Zürich und zuletzt als Schauspieldirektor bei den Salzburger Festspielen tätig.

Dass Oberender – schmal geschnittener schwarzer Anzug, bedächtige, präzise Redeweise – manches anders machen will als sein Vorgänger, zeigt schon das neue Corporate Design der Festspiele. Auf allen Materialien findet sich ein rotes Quadrat, das die Verbindung zwischen den einzelnen Festivals symbolisieren und gleichzeitig auf stets neu zu setzende Schwerpunkte verweisen soll. Entwickelt hat den roten Rahmen der Zürcher Grafiker und Fotokünstler Christian Riis Ruggaber, der ab sofort für das gesamte optische Erscheinungsbild der Festspiele verantwortlich ist.

Doch auch inhaltlich setzt Oberender neue Schwerpunkte. „Wir wollen“, sagt er, „dass das Haus der Berliner Festspiele wieder leuchtet und sich wieder fühlbar ins Stadtleben einbringt.“ Im Gebäude an der Schaperstraße in Wilmersdorf, vor kurzem aufwendig saniert, sollen künftig verstärkt auch außerhalb der regelmäßigen Reihen der Festspiele Veranstaltungen stattfinden; so diente es zum Beispiel im Februar erstmals als Aufführungsort der Berlinale.

Im Prinzip beibehalten wird die Struktur der Festspiele, unter deren Dach ganz unterschiedliche Festivals und Institutionen – darunter der Martin-Gropius-Bau, das Theatertreffen, das Internationale Literaturfestival, die MaerzMusik (Festival für aktuelle Musik), das Jazzfest und die Spielzeit Europa – versammelt sind.

Die Spielzeit Europa allerdings, die bisher über mehrere Monate hinweg Theaterinszenierungen aus europäi-schen Ländern an die Spree gebracht hat, wird es unter diesem Namen nicht mehr geben. Das künftige Festival für internationale Performing Arts (so der Arbeitstitel) wird sich zeitlich auf wenige Wochen konzentrieren und den Blick auf die ganze Welt öffnen. „Ein Festival ist für mich ein Clash von Visionen“, sagt die belgische Theatermacherin Frie Leysen, die in diesem Jahr das Nachfolgefestival verantwortet (2013 wird dann Matthias von Hartz übernehmen). „Und ein solcher Clash“, so Leysen, „braucht einen Kondensmoment.“ Sich ereignen wird dieser Moment in diesem Jahr vom 4. bis zum 27. Oktober.

Und sonst? Das Theatertreffen im Mai soll künftig um öffentliche Videoübertragungen (Public Viewing) erweitert werden und einen Artist in Residence bekommen. Sechs Mal jährlich erscheint nun eine literarisch-künstlerische Publikation, die „Edition“ (in der ersten Ausgabe mit Texten von Hanns Zischler zum Thema Bahnhöfe). Und bald wird man hoffentlich wissen, ob Oberenders Ankündigung Wirklichkeit wird, wonach die Berliner Festspiele „radikale Position beziehen und mit ihrer Ausstrahlung der Entwicklung dieser Stadt und unserer Gesellschaft fühlbar Rechnung tragen“ werden.

Emil Schweizer

 


Informationen
Zusammen mit den Internationalen Filmfestspielen Berlin und dem Haus der Kulturen der Welt bilden die Ber-liner Festspiele seit dem Jahr 2001 die GmbH Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin. Sie zählt nach eigenen Angaben jährlich weit mehr als eine Million Besucher aus der ganzen Welt bei bis zu 4000 Veranstaltungen.

 

50 - Frühjahr 2012