Wohlfühlen

Die Imm Cologne gab den Saisonstart der Möbelmessen. Mit mehr als 1000 Ausstellern aus 50 Ländern ist sie ein Wallfahrtsort der Branche und zeigte auf 2400 Quadratmetern, mannigfaltige Stile, vielfache Adaptionen – und Wellness für zu Hause.

Egal, ob man in Berlin oder in der Obereifel arbeitet, ob man zwischen Basel und Hamburg pendelt oder nach Peking weiterzieht – egal also, wohin es einen verschlägt, in einem gewissen Maß will man sich wohlfühlen. Das gilt auch, wenn die Singlewohnung gegen eine in Familiengröße getauscht wird und umgekehrt. Mit anderen Worten Globalisierung, die Krise und sonstige Einwirkungen auf die Privatsphäre stellen Herausforderungen für den Einzelnen dar, und Designer dürfen sich den Kopf zerbrechen. Wie wollen wir wohnen? Ökologisch korrekt, versteht sich von selbst. Nestbau heißt aber nicht nur Basis zum Leben schaffen, sondern es umfasst das Kreativfeld schlechthin.

Die Imm Cologne, dieses Riesenformat Wohnmesse am Rhein, markiert den Saisonbeginn – Paris, Frankfurt, Mailand folgen – und wird als publikumsoffene Messe in diesem Jahr mit 115 000 Besucher aus 118 Ländern hoch frequentiert. Design-Liebhaber steuern die Hallen „pure“ und „pure village“ an. Ersteres gilt als Olymp der Innovationen, das andere ist die Plattform für Newcomer.
Die Trends in Stichworten: Led ist das Lichtspielmittel schlechthin und hat seine minimalistische Phase hinter sich gelassen, jetzt wird gekugelt und gepunktet. Naturstoffe – Holz und Wolle allen voran – wärmen das Heim. Die Möbel in quasi unübersichtlichem Nuancenreichtum samt trendiger Kopien werden kleiner. Die Raumfunktionen durchdringen sich stärker.

Als Hauptthema wurde die weitere Öffnung der Wohnbereiche signalisiert: „Wände werden durchlässiger.“ Vielmehr fallen sie fast ganz weg, und Raumgefühl wird mehr denn je durch Arrangements, Sound und Licht hergestellt, wenn nicht ein Tipi oder eine Sperrholzhütte in die allzu große Offenheit (Loftdimension) hineinkomponiert wird. Die Frage also bleibt, wie viel Intimität nötig ist und wie viel freies Raumgefühl möglich ist. Dem Bad gilt dabei mehr Aufmerksamkeit. Und wer zum Abspannen sich ohnehin gern in die Wanne zurückgezogen hat, warum kann sie nicht auch in der Küche oder dank neuer Installationstechnik eben sonst wo stehen? Die logische Konsequenz besteht darin, Holz in die einstige Nasszelle einzuführen und das Bad noch sinnlicher als bisher zur intimen Wohlfühloase (Patricia Urquiola) auszubauen. Kein Wunder also, dass zwei der 15 Design-Awards in Köln „Best of Best“ für die Duschwanne „Shower Tray2“ von In-House-Design / Kaldewei und an die Gebrüder Bouroullec für ihre Bad-Kollektion für Hansgrohe vergeben wurden.

Die Produkt- und Interior-Designerin Defne Koz, Mitglied der bisherigen Trendboard-Debatten, sagt: „Was sich am stärksten verändert, ist die Bedeutungshierarchie der Räume. Es sei doch schön, dass man sich wohlfühlen kann, wo immer man hingeht.“ Nipa Doshi und Jonathan Levien haben das in ihrer Messe-Installation „Das Haus“ durchgespielt. Der eine frühstückt nebst iPad-Blick zwischendurch, der andere badet anbei, getobt wird dazwischen, und auf Nelsons Marshmallow Sofa liest Mama schon mal die Zeitung. Alle haben sich im Blick.

Außerdem gilt, es muss nicht mehr eine Birke frei im Raum stehen, und dennoch umhüllt uns die Natur im Highend-Möbeldesign wie im Experiment. Wie leicht und handhabbar die Möbel sein können, zeigt sich im preisgekrönten Sessel „Munich“ vom Architektenpaar Hutton und Sauerbruch, im minimalistischen Stühlchen von Dan Form oder in Patricia Urquiolas sympathischen Polsterbänkchen „Klara“. Eine Sitzgruppe symbolisiert nicht mehr die Kuschellandschaft, obwohl auch diese wuchtigen Ensembles zahlreich vertreten waren, sondern kann nach Bedarf selbst hin- und hergerückt werden. Noch einmal Minimalismus pur signalisiert der „Tisch 25“ von Bruno Fattorini/Desalto. Das alles verbindende Accessoire dabei sind Taschen oder Kramkörbe aus Sisal, Filz und Strick aller Dimensionen, um Zeitschriften, Bücher, Laptop samt Apfel und Wasser von Raumstation zu Raumstation zu transportieren. Die Farben Rot, Orange, Grün bis Türkis verströmen ihre sinnliche Wirkung und ergänzen das strahlende Weiß, ohne das man doch kaum auskommt. Im klassischen Bereich allerdings herrschen nach wie vor die dunkleren Töne von Grau über Braun, bereichert durch ein tiefes Blau. Ansonsten wird wenig historisiert, dafür aber feiern die Fünfziger – gerade noch und schräg – bis Sechziger (ganz präsent, rund und bunt) ein All-over-Comeback. Ethnomix mit phantastischen und per Hightech verjüngten Dekoren gesellt sich dazu. Das angekündigte Gelb des Vorjahres hat sich in Accessoires, in einigen Sofas (etwa bei Moroso, Ligne Rose und anderen Produkten – wenn auch nicht durchgesetzt, so doch deutlich seine Spuren hinterlassen. Die Vielfalt der Farben und Musterkombinationen (ganz groß Geometrie z.B. Frei.Frau und noch immer Folklore-Patchwork) geben einfach mehr Spielraum und werden mit farbigen Wänden, mit witzigen Tapeten und Handmade-Teppichen (jeder Stardesigner kreiert möglichst einen eigenen) zu einem Wohlfühl-Kokon, nein Labyrinth (so Axel Venn) gesteigert.

Schwenk nach Paris. Zum „Designer des Jahres 2012“ wurden hier die Brüder Humberto und Fernando Campana gewählt. Die Pariser Trendshow Maison & Objet offerierte ihr Motto „Crazy“ in filmreif inszenierten Räumen. Wohnen soll fröhlich sein, animierend, auch sehr häuslich (Sollte frau wieder mit Lockenwicklern auf dem Kopf ihren Gatten begrüßen?) Der Surrealismus feiert seine Wiedergeburt in ausufernder Dreidimensionalität. Gestalterische Phantasie kann richtig loslegen: Gefragt sind Farbkollisionen von Orange bis Pink, erlaubt Parallelrealitäten, Anachronismen, Metamorphosen und Illusion – und sei es nur als Kissen-bedruck. Das ganze Werkzeug für Gestaltungsexperimente, mit denen die Grenzen des guten Geschmacks weit verschoben werden, wenn dieser auf Schlichtheit und klare Funktionalität trainiert war. Dafür aber liebt man Paris, das hier mit Esprit die Ratio über Bord geworfen wird.

Anita Wünschmann

 

50 - Frühjahr 2012