Mythos Friedrich

Zwei große Ausstellungen zum 300. Geburtstag Friedrichs des Großen zeigen die vielen Facetten des bedeutendsten und eigenwilligsten preußischen Königs.

Fritz wurde er von seinem Vater Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, genannt, unter dem er als Kind und junger Mann litt und dem er zu entfliehen versuchte. Zu Friedrich dem Großen wurde er erst nach seinem Tod durch Vereinnahmung nachfolgender Herrschaftssysteme und einer Legendenbildung, die über die Zeitläufte kolportiert bis heute das Bild eines Königs entstehen ließ, der widersprüchlicher nicht sein kann und daher in diesem Jahr für Theater, Kabarett, Film, Literatur, Musik und Ausstellungen reichlich Stoff bietet. Dass der 300. Geburtstag dieses Preußenkönigs seit Januar so grandios begangen wird, kann indes nur einen Grund haben: Es ist der berühmteste, prägendste und nachhaltigste Monarch in der deutschen Geschichte.

Nachdem der despotische Vater gestorben war und er als Friedrich II. durch rigoroses militärisches Handeln mit Glück im Unglück Preußen zur europäischen Großmacht führen konnte, galt er nicht nur in Europa als ernstzunehmender und gefürchteter Monarch.

Seine große Popularität verdankt er allerdings den seit Jahrhunderten überlieferten Legenden und vielen Sonderlichkeiten, die zum Mythos vom „Großen Friedrich“ beitrugen. Denn von Anbeginn seiner Regentschaft im Jahre 1740 verfolgte er das Ziel, nicht nur ein König unter vielen in Europa zu sein, sondern er verband Machtanspruch stets mit intellektuellem Habitus. So folgte er dem Geist der Aufklärung und wollte schließlich in gewisser Weise auch selbst aufklären. Deshalb existiert eine Unmenge von Zitaten, die für die Zeit des Absolutismus untypisch sind: „Es heißt, dass wir Könige auf Erden die Ebenbilder Gottes seien. Ich habe mich daraufhin im Spiegel betrachtet. Sehr schmeichelhaft für den lieben Gott ist das nicht!“ – und die nicht selten philosophischen Charakter tragen: „Diejenigen, welche am meisten gegen die Handlungen von anderen eifern, begehen oft noch viel schlimmere, sobald sie sich in denselben Umständen befinden.“ Es war deshalb nicht verwunderlich, dass Friedrich unmittelbar nach seinem Machtantritt die Nähe zu Voltaire suchte, den in ganz Europa berühmten Philosophen, ihn später an seinen Hof einlud und die Verbindung zu ihm durch Korrespondenz auch nicht abreißen ließ. Sicherlich gefiel sich Friedrich als „Philosoph auf dem Thron“, doch muss zu Beginn vor allem der provokante Geist des viel älteren Voltaire auf den sich gerade emanzipierenden jungen König wie eine unerhörte Befreiung gewirkt haben, den früheren Demütigungen und maßlosen Bestrafungen seines Vaters zum Trotz. Friedrich schaffte dann zwar sofort die Folter ab, ein radikaler Reformer wurde er indes nicht. Vielmehr verfolgte er im Laufe seiner langen Regierungszeit bis zu seinem Tod 1786 das Ziel, den absolutistischen Staat Preußen zu modernisieren, ohne aber seine Grundstrukturen zu verändern. Beispielsweise postulierte er eine unabhängige Justiz, griff aber permanent in die Rechtssprechung ein. So gibt es zahlreiche Widersprüche, die für „den ersten Diener des Staates“, wie er sich selbst nannte, charakteristisch sind.

Wie aber ist die Legendenbildung, der Mythos des knapp 1,60 Meter großen Mannes zu erklären? Friedrich II. war zweifellos ein Ausnahmemonarch, sowohl persönlich als auch als Machtpolitiker, der einzige intellektuelle Herrscher in Europa und der toleranteste: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden.“ Er dichtete, philosophierte, komponierte und war selbst ein exzellenter Flötist. Ein Schöngeist, der aber genauso Durchsetzungsvermögen und Härte zeigen konnte. Einem darart ungewöhnlichen König musste das Volk Bewunderung, Anerkennung und Respekt entgegenbringen. Nach seinem Tod waren es vor allem seine Zitate und Anekdoten, herausgegeben vom Publizisten Friedrich Nicolai, die das Bild und den Mythos Friedrich II. begründeten. Später beförderten sie den preußischen Patriotismus, den Nationalismus und schließlich den Militarismus. Jede Herrschaftsform und jede Regierung, die folgte, instrumentalisierte nur allzu gern den „Alten Fritz“, der so zur idealen historischen Identifikations­figur wurde und bis zum heutigen Tag mehr oder weniger unser kollektives Preußenbild bestimmt.

Neben zahlreichen Veranstaltungen im Jubiläumsjahr sind es vor allem zwei große Ausstellungen in Berlin und Potsdam, die Friedrich II. als außergewöhnlichen Monarchen in seiner Zeit und in der Rezeption thematisieren. Mit dem Titel „Friedrich der Große – verehrt, verklärt, verdammt“ legt das Deutsche Historische Museum den Schwerpunkt auf die Rezeptionsgeschichte Friedrichs. Sowohl aus historischer Sicht als auch in der Vereinnahmung durch die unterschiedlichen politischen Systeme im Laufe von über zweihundert Jahren nach seinem Tod stehen die unterschiedlichen Bewertungen durch die Nachwelt im Fokus. Rund sechshundert Exponate in dreizehn thematisch gegliederten Räumen veranschaulichen den Umgang mit ihm als Symbolfigur, Mythos und Kriegstreiber. In Potsdam, der von Friedrich dem Großen maßgeblich geprägten Residenzstadt, lädt die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten ins Neue Palais sowie in den Park Sanssouci ein. Mit der Jubiläumsschau „Friederisiko – Friedrich der Große“ stand ein Charakterzug Pate für den Titel dieser Ausstellung, die durch siebzig Säle und Kabinette des Neuen Palais führt. Manche Räume des Schlossbaus sind erstmals zugänglich. Wer den „Alten Fritz“ für sich neu entdecken will, hat mit diesen zwei Ausstellungen dazu die beste Gelegenheit.

Reinhard Wahren

 

Ausstellungen
Friedrich der Große – verehrt, verklärt, verdammt…
Vom 21. März bis 29. Juli 2012
Deutsches Historisches Museum
Ausstellungshalle / 1. + 2. OG
Unter den Linden 2, 10117 Berlin

Friederisiko – Friedrich der Große
Vom 28. April bis 28. Oktober 2012
Potsdam, Neues Palais und Park Sanssoussi
 

50 - Frühjahr 2012