Suppenglück

Meine erste Suppe musste ausgelöffelt werden. Für ein Kind der fünfziger Jahre war das selbstverständlich.­Obstinate Naturen mussten schon mal nachsitzen am Katzentisch. Darum waren das Schönste am Mittagessen Hahn und Henne, die – auf den Tellergrund schwarz gemalt – erst sichtbar wurden, wenn der letzte Rest vertilgt war. Heute gehört Suppe zu meinen Lieblingsspeisen. Sie wärmt mich, wenn ich traurig bin. Bin ich krank, heilt sie mich, und als Auftakt zu einer Folge weiterer Köstlichkeiten stimmt sie meinen Magen friedlich.

Die Suppe ist die Mutter aller Speisen. Sie gehört zu den ältesten Gargerichten der Welt und spielt immer noch eine Hauptrolle, egal ob sie klar als Consommé, als schlankes Mus und dicker Brei oder als Eintopf daher- kommt. Als energiespendender Tages-auftakt in asiatischen Gefilden wird sie schon zum Frühstück serviert und sorgt durch Hinzufügung verschiedenster Elemente, wie Fleisch und Gemüse, für Harmonie im Yin und Yang. Für manche Menschen ist Suppe nur ein Teil einer mehrgängigen Menüfolge. Danach erst kommen sie zum Wesentlichen. Für andere ist sie eine vollständige Mahlzeit. Manchmal sogar die einzige.

Ob nun Soup (engl.) oder Zuppa (ital.) oder plattdeutsch supen. Das Wort meint nichts anderes als saufen. Suppe trank man nämlich erst mal aus Muscheln und Schneckenhäusern, die man aus dem großen Topf schöpfte, noch bevor der erste Holz- oder Knochenlöffel seine Runde am Lagerfeuer machte. Schöpflöffel soll es schon in der Antike gegeben haben. Die Suppenterrine krönte erst im 19. Jahrhundert die Tafeln der Wohlhabenden und ist leider gänzlich verschwunden von unseren Tischen.

Heute löffeln wir je nach Konsistenz unsere Suppe, die bereits am Herd in den Teller gefüllt wurde, während die Vietnamesen die duftenden Kräuter und anderen Einlagen mit Ess-Stäbchen aus ihrer Pho genannten Brühe zuzzeln und zum Schluss erst die Schale an den Mund setzen. Bei uns wird nur in teuren Restaurants noch geschlürft, manchmal aus zierlichen Suppentassen, lieber noch mit zugespitzter Lippe aus zwergenkleinen Schnapsgläschen. Neumodisch hätte man altmodisch gesagt. Das trifft es.

Die österreichische Autorin Ingrid Haslinger hat ein Buch über die Kulturgeschichte der Suppen aller Welt geschrieben, in dem sich die Kulinarikerin als Wissenschaftlerin entpuppt und von der Ursuppe bis zur Fertigsuppe samt historischer Rezepte alles ausleuchtet. Von der Blutsuppe, lange vor dem Beginn unserer Zeitrechnung, über die Känguruhschwanzsuppe bis zur Tütensuppe, die immer noch nicht überwunden ist, hat sie zusammengetragen, was die Mütter über die Jahrtausende aus Flora und Fauna ins Wasser schmissen und zu Suppe kochten.

Wasser ist die Basis aller Suppen. In ihm garen seit Jahrhunderten Knurrhahn oder Karfiol mit und ohne Fett und sorgen für Geschmack und Konsistenz. Manche Zutat wird so überhaupt erst genießbar. Einige Suppen wurden sogar berühmt, weil sie nach Personen der Weltgeschichte benannt wurden, wie die besänftigende Gers-tencreme Maria Stuart, die Rembrandt-Suppe mit Huhn und Erbsen oder die gezierte Schildkrötensuppe Lady Curzon, die bis in die 80er Jahre als deliziös galt, bis die Schildkröte an sich mehr wert schien als ihre glasigen Stückchen im Sud. Glücklicherweise reisten wir seit dem letzten Jahrhundert viel und durften so von allen Völkern Esskultur lernen. Leichten Herzens konnten wir darum zu unseren eigenen Gärten und Ställen zurückkehren. Womit wir bei den Chinesen wären, für die Suppe schon immer auch Medizin ist und nur regionale Früchte statt eingeflogener als gesund gelten. Wir haben zu dieser Erkenntnis etwas länger gebraucht, sind aber auf einem guten Weg.

Auch die Küchengärten des Mittelalters sind wieder en vogue. Jeder Sterne-Küchenchef, der was auf sich hält, zieht längst seine Rüben aus der eigenen Krume oder zupft frische Kräuter in gräflichen Mietgärten.

Die Suppe galt lange Zeit als Armenspeise und eroberte erst spät die Tafeln der Reichen. Im Wien des 19. Jahrhunderts gab es Suppenanstalten, die Bedürftigen einen Teller Suppe reichten, schreibt Ingrid Haslinger. Die gibt es heute wieder, auch bei uns. Überhaupt pflastern Suppenküchen unseren Weg. Doch die sind nicht aus der Not geboren, sondern einfach Trend. Mit der Rückkehr der regionalen Speisen pflegen dort Hobbyköche die Rezepte ihrer Großmütter, aber auch an den exklusiveren Kochstellen spielen die Suppen wieder mit. Suppe ist nicht nur wichtiger Bestandteil der Küchenkultur. Suppe ist längst Kult.

In mageren Zeiten ging’s immer ums Nahrhafte. Man war froh um jedes Stück Speck oder ein Fettauge, das oben auf der Suppe schwamm. Heute ist es eher umgekehrt. Je dünner die Suppe ist, desto höher wird sie gelobt, desto teurer ist das Restaurant. Je klarer die Brühe, desto feiner ist sie. Die Zubereitung einer klaren Tomatensuppe, die ihre Herkunft durch Anschauen nicht preisgibt, kann dauern.

Das wussten auch schon die Franzosen am Hofe von Ludwig XV. Dort sollen allein zwei Drittel des in der Küche verwendeten Fleisches in Kraftbrühen und als Fond für die Zurichtung der übrigen Speisen verwendet worden sein, wie Ingrid Haslinger in ihrem Suppen-Buch schreibt. So entstand die durchsichtige Consommé, während die deftigere soupe mit Einlage der Sättigung diente. Am französischen Königshof sollen auch die ersten Suppenteller gedeckt worden sein.

Suppenbücher mit Suppenrezepten gibt es inzwischen viele. Suppenliebhaber sind zahlreich. Ein Suppenmuseum hat sich ganz dem Eintopf verschrieben, weil es das Märchen so will, dass im 16. Jahrhundert einem um Nahrung bettelnden Mann an jeder Tür im thüringischen Neuhaus bloß Suppe gereicht wurde.

So brachte es Neuhaus im Erzgebirge zum Suppendorf, und der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann wurde mit seinem Suppen-Kaspar berühmt. Der wollte bekanntermaßen seine Suppe nicht essen. Ihm und auch den anderen ungezogenen Kindern verhieß Herr Hoffmann in seinem autoritären Erziehungsberater des 19. Jahrhunderts („Struwwelpeter“) ein grausames Schicksal.

„Die Suppe auslöffeln“, „Um den heißen Brei herumreden“, „Die Suppe versalzen“ – wer kennt sie nicht, all die Sprichwörter, die sich um die Suppe ranken. Sie war der Mittelpunkt aller Küchen. In der Küche stand ein großer Tisch, um den herum sich die Familie versammelte. Jeder bekam eine Kelle voll Suppe.

Inge Ahrens

 


Informationen

Ingrid Haslinger:
Dampf stieg aus dem Topf hervor.
Eine Kulturgeschichte der Suppen aus aller Welt
(mit Rezepten).
265 S., 24,90 Euro, ISBN 978-3-85476-338-3,
Verlag Mandelbaum, Wien 2010

 

www.suppenmuseum.de (im erzgebirgischen Neudorf/Sehmatal)

Sonja Riker: Suppenglück, Verlag Antje Kunstmann, München 2010, 19,90 Euro
 

 

50 - Frühjahr 2012