Berlin-Macher

Dass Berlin dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein, wusste schon im Jahr 1910 der Publizist und Kunstkritiker Karl Scheffler. Ein oft zitierter Satz, der noch heute gilt. Umso mehr sind Menschen gefragt, die vor oder hinter den Kulissen etwas bewegen und die Stadt ein Stück voranbringen. Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Heidi Hetzer

Ein sibirisches Sprichwort besagt: Wer die Hände im Baikalsee badet, lebt zehn Jahre länger. Die Füße ­baden verlängert das Leben um 20 Jahre. Wer im Baikalsee schwimmt, lebt 100 Jahre. Da wollte Heidi Hetzer wohl ganz sicher gehen: „Ich bin gleich drei Mal geschwommen, obwohl es alles andere als warm war“, erinnert sie sich und lacht spitzbübisch. Und gut lachen kann sie auch haben. Kein Mensch käme auf die Idee, dass die rüstige Unternehmerin und Rallyefahrerin in diesem Juni ­ihren 75. Geburtstag feiert.

So turbulent, wie diese 75 Jahre waren, soll es munter weitergehen. Mehr noch. Für 2014 hat sich die gebürtige Berlinerin ganz Großes vorgenommen. Auf den Spuren der legendären deutschen Industriellentochter und Rennfahrerin Clärenore Stinnes, die als ers­ter Mensch gemeinsam mit ihrem späteren Ehemann Carl-Axel Söderström die Welt mit einem Auto umrundet hat, will sie genau dies wiederholen. Dass sie dann fast 50 Jahre ­älter ist als ihre Vorgängerin, ficht sie nicht an. „Dafür nehme ich einen Wagen, der mehr PS hat“, wischt Heidi Hetzer jeden Zweifel beiseite, ihr Alter könnte bei diesem Unterfangen eine hinderliche Rolle spielen. War es seinerzeit ein Adler Standard 6 mit Drei-Gang-Getriebe und 50 PS, soll es nun ihr 90 Jahre alter Hispano Suiza mit 135 PS sein, der sie einmal rund um den Erdball fahren soll. Wer ihr Fahr-Begleiter wird, verrät sie noch nicht: „Ich habe da jemanden im Auge, der prima passen würde.“

Wer auch immer es ist, er sollte gute Kondition mitbringen. Denn Heidi Hetzers Motto heißt ganz offensichtlich: Vollgas. Im Mai 2014 soll es losgehen. Die Rückkehr ist für den 23. Juni 2015 geplant, was nichts anderes heißt, als dass sie für die gesamte Strecke von über 48 000 Kilometern ein Jahr weniger einkalkuliert, als ihr Vorbild seinerzeit tatsächlich benötigt hat. Dass sie gegebenenfalls auch noch ein paar Kilometer mehr zurücklegen und sich einiges anschauen will, was sie noch nicht gesehen hat, sei nur am Rande und der Vollständigkeit halber erwähnt.

Heidi Hetzer als Powerfrau zu bezeichnen, ist nicht übertrieben und mehr als berechtigt. Dabei ist ihr jede feministische Verbissenheit fremd, vielmehr spielt sie geschickt mit ihrem herzlichen wie weiblichen Charme. Nur einen Preis für diplomatisches Geschick wird sie voraussichtlich nicht mehr gewinnen. Dazu ist sie viel zu bodenständig und geradeaus, mit einem kämpferischen Dickkopf versehen und ehrlich noch dazu. Aus ihrem Herzen jedenfalls macht sie keine Mördergrube.

Das hätte der Unternehmerin fast einmal – bildlich gesprochen – das Genick gebrochen. Bei einer Talkshow mit Maybritt Illner auf dem Höhepunkt der ersten Finanzkrise 2008 plauderte sie munter drauf los und erzählte ohne jeden Argwohn von ihren finanziellen Sorgen und Nöten sowie der Art und Weise, wie ihre Hausbank mit ihr umging. Das hat, so kann man sich leicht vorstellen, die Freigiebigkeit der Banken insgesamt nicht gerade gefördert. In der Folge musste sie zwei Filialen schließen. Aber sie hat nicht aufgegeben und es am Ende geschafft, auch und vor allem mit Hilfe ihrer beiden Kinder. Sohn Dylan stieg neben seiner Mutter in die Geschäftsführung mit ein. Und: Opel Hetzer in Charlottenburg und in Steglitz gibt es noch heute. „Ich gebe niemals auf. Ich kämpfe immer weiter.“ Anpacken konnte sie schon immer und tut es nach wie vor. Und dass sie heute noch am Vergaser arbeitet und am Motorblock rumschraubt, davon zeugen ihre Fingernägel. Es drängt sich die Frage auf: Warum ist diese Frau so? „Ich bin, glaub’ ich, so geworden, weil mein Vater keinen Sohn hatte“, macht sie selbst einen Erklärungsversuch. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn sie einen Bruder gehabt hätte. Hatte sie aber nicht. Und so war sie es, der ihr Vater von seinen Fahrten mit dem Motorrad in die weite Welt erzählte, der ihr die Werkstatt nahebrachte, die ihre Welt werden sollte. In Heidi Hetzers Adern fließen Benzin und Motoröl, ist ein gerne benutztes Bild, wenn es darum geht, ihre Leidenschaft für Autos zu beschreiben. So verwundert es nicht, dass sie mit 15 Jahren bereits Auto fahren konnte, ab 1954 eine Kfz-Mechaniker-Lehre im väterlichen Betrieb machte, mit 16 Jahren bereits nach den drei obligatorischen Fahrstunden den Führerschein bekam, sich mit 21 Jahren ohne Wissen des Vaters mit einer Autovermietung selbstständig machte und nach einem längeren USA-Aufenthalt mit 31 Jahre den 1919 von ihrem Vater gegründeten Betrieb übernahm. Parallel dazu verlief ihre Karriere als Rallye-Fahrerin. 1953 nahm Heidi Hetzer an ihrem ersten Rennen teil, was den Beginn einer beispiellosen Siegesserie markieren sollte. Über 150 Preise hat sie mittlerweile gewonnen, viele mit ihren Oldtimern, von denen sie von ihren insgesamt einmal 24 noch immer elf besitzt. „Was ist eigentlich ihr Alleinstellungsmerkmal“, sei sie einmal gefragt worden. Abgesehen davon, dass die Autonärrin die Frage in Bezug auf einen Menschen ziemlich unpassend fand, ließ sie ihr aber doch keine Ruhe. „Kennen Sie eine Frau, die an die 60 Jahre im Motorsport aktiv war oder ist?“, lautete die Gegenfrage. An gesundem Selbstbewusstsein hat es Heidi Hetzer nie gemangelt. Schon als 14-Jährige habe sie ihren Vater beschimpft und ihm „sein Scheißgeld und seine Scheißbeziehungen“ vorgehalten. Der habe ihr daraufhin eine gescheuert. „Heute sehe ich das auch anders“, lacht sie über ihren pubertären Wutausbruch.

Eigenwillig war Heidi Hetzer auch immer, wenn es um Auszeichnungen und Ehrungen geht. „Das muss nicht sein“, lächelt sie. Wichtiger sei ihr, als Vorbild voranzugehen. In einem Fall jedoch hatte sie keine Wahl. Da hat die Technische Fachhochschule Berlin einfach eine neue Orchideenzüchtung nach ihr benannt, wofür ­neben ihrem Bekanntheitsgrad ihr soziales Engagement in Berlin, beispielsweise für Ein Herz für Kinder, ein Auswahlkriterium war. Ansonsten aber hat sie alles abgelehnt, selbst den Verdienstorden des Landes Berlin, der ihr schon vor vielen Jahren an einem 1. Oktober verliehen werden sollte. Eine nächste Gelegenheit könnte der 1. Oktober 2015 sein, wenn sie von ihrer Weltumfahrung wieder zurück ist.

Detlef Untermann

 

51 - Sommer 2012