Bar jeder Vernunft und Tipi feiern Bühnenjubiläum
„Bar jeder Vernunft“ – allein die Doppeldeutigkeit des Namens ist genial und Programm. Und geklaut, gibt Holger Klotzbach, Gründer und Geschäftsführer dieses über Berlin hinaus bekannten Unterhaltungstempels zu. Die Gründungscrew fand ihn in der Schweizer Kulturzeitschrift „Du“. Das war das eine, das zweite, weit schwerere, war nun, auch Programm „jenseits der Vernunft“ ins Zelt zu bringen.
Aber zuerst zum Zelt, dem Spiegelzelt, das in diesem Jahr auf seine 100-jährige Existenz zurückblickt. Daneben erscheinen die Jubiläen 20 Jahre „Bar jeder Vernunft“ und 10 Jahre Tipi am Kanzleramt wenig bedeutend. Dieses Zelt, von außen unscheinbar, innen ein flirrender kleiner Palast aus Spiegeln, Holz, eng gestellten Tischen, wo man unweigerlich mit seinem Nachbarn ins Gespräch kommen muss. Schon allein, um ihn zu bitten, ein wenig zu rutschen, damit man zu seinem Platz gelangen kann. Aber diese Nähe macht’s, zumal man fast mit auf der Bühne sitzt. Viel großzügiger ist das im Tipi am Kanzleramt gehalten. Die Behausung der Indianer war Namenspate – und vom Standort aus kann man manchmal die Chef-Indianer des Landes auf ihrem Balkon erspähen. Das Spiegelzelt, 1912 in den Niederlanden als Tanzpalast gebaut, dann, als diese Art Vergnügung aus der Mode kam, eingelagert und schließlich von den „Berliner Festspielen“ gekauft. Doch die Festspiele hatten kein „Händchen“ für diesen Raum, so ging es 1992 an Lutz Deisinger und Holger Klotzbach, die daraus die „Bar jeder Vernunft“ machten. Klotzbach hatte schon so einiges in seinem Lebenserfahrungskistchen, das im nachhinein betrachtet zwangsläufig zur „Bar jeder Vernunft“ führte. Er scheint ein Zeltfreund schlechthin. Seine Karriere begann im Zirkus als Lehrer und PR-Mann, dann mischte er bei einem der Vorläufer der später so berühmt werdenden Dinner-Theater mit, auch ohne feste Behausung. Schließlich tourte er mit einer neuartigen französischen Zirkusproduktion durchs Land. „Die war so erfolgreich, dass es langweilig war, das Geld zu zählen“, sagt er. Dann kamen noch Versuche, dem „Quartier“, dem heutigen „Wintergarten“, einen neuen Start zu verschaffen. Da vertat man sich gründlich mit dem Geld. Zu viel ging für den Bau drauf, fast nichts blieb fürs Marketing und für die Gagen der Künstler. Damit war die Entscheidung für Zelte gefallen, „die kann man einfach wieder einpacken“, begründet er. Schließlich war Klotzbach auch Mitglied des anarchis-tischen Kabaretts „Die 3 Tornados“, das unter anderem auch mit öffentlichen politischen Aktionen spektakulär auf sich aufmerksam machte. Arnulf Rating ist von den Dreien als Kabarettist übriggeblieben. Nun konnten also Klotzbachs Erfahrungen, seine künstlerische Abenteuerlust, alle Kontakte und Beziehungen in die „Bar jeder Vernunft“ fließen. „Der erste Sommer war so heiß, Ars Vitalis waren gut, doch im November mussten wir abbauen“, erzählt Klotzbach. Das übliche Problem mit dem Geld. Im März des nächsten Jahres machte Meret Becker für die zweite Saison eine spezielle Varieté-Produktion, Otto Sander gab den ausgeflippten Poeten. Da war er der Punkt – bar jeder Vernunft. Sieben Wochen ausverkauft. 1994 setzte die Inszenierung „Im weißen Rössl“ mit Otto Sander, den Geschwistern Pfister und anderen prominenten Künstlern noch eins drauf. „Das war genau dieses Crossover zwischen U- und E-Kunst“, sagt Klotzbach, der die „Bar“ ausmacht. Die Granden des deutschen Theaters und Films waren hier zu Gast und bildeten sozusagen einen „Prominentenschutzschirm“, mit Image, manchmal mit Geld, aber vor allem aus Solidarität. Und mit gewisser Genugtuung fügt Klotzbach hinzu: „Dann kamen auch die besseren Kreise aus Grunewald und Wannsee, die uns vorher nicht mit der Kohlenzange angefasst hätten.“ Heute kommt auch die politische Prominenz aus Berlin, allen voran Wowereit, und die aus dem Bundestag. Zehn Jahre später gab es mit „Cabaret“ noch eine weitere sehr erfolgreiche Eigenproduktion. Der Show-Allrounder und Choreograph von Madonna und Michael Jackson, Vincent Paterson, inszenierte hier erstmalig fürs Theater. Aber Eigenproduktionen sind teuer, und es ist nicht einfach, sie in diesem Genre zu entwickeln, und zwischendurch muss auch etwas stattfinden. Brigitta Mira, Helen Vita, Ute Lemper, Randy Newman, Paolo Conte, Ingrid Caven, um nur einige der großen Namen zu nennen, trugen zum Ruhm bei. Und die Bar jeder Vernunft erwies sich auch als Talententdecker. Michael Mittermeier durfte erst zehn Minuten und dann den Montag machen. Wer den Montag vollkriegt, darf weitermachen, so das Prinzip. Max Raabe und die Geschwister Pfister kriegten auch den Montag voll, übrigens ganz aktuell, „Kaminski on air“ bekommt mit seinen gespielten Hörspielen auch den ersten Tag der Woche voll. Inzwischen gibt es viele Künstler, die mittels Artistik, Comedy, Gesang und Schauspiel ganz eigene kleine originelle Kunstformen einwickeln. Kleinkunst eben. Klotzbach stöhnt hörbar bei diesem Begriff. „Furchtbar!“. Er hat mal in einer Rundfunksendung 1.000 Euro ausgelobt für den, der einen neuen Begriff dafür findet. Er ist seine Euros nicht losgeworden. Dass zu dem Kunstgenuss auch ein kulinarischer gehören muss, war von Anfang an Konzept. Und in der hauseigenen Küche geizt man nicht phantasievollen Kreationen. Und wie kam’s zum Tipi? Da hat Klotzbach, der die Geschichten des Zelts so amüsant erzählen kann, auch eine schöne auf Lager. Das 10-jährige Jubiläum der Bar stand an, aber der Spielplan war voll. Wo sollte nun gefeiert werden? „Na, dann schlagen wir ein zweites Zelt auf.“ Zeltplatz war der Tiergarten mit Blick auf die „Oberindianer“. Erst mal provisorisch. „Aber nichts ist in Berlin so von Dauer wie ein Provisorium“, sagt er. Das Bar-Konzept wird auch hier umgesetzt, und dass das Tipi über 500 Zuschauer fasst, ist sicher für die Macher auch ein ökonomisches Argument gewesen. Und nun noch der fürs große Publikum unzugängliche Teil. Etwa 60 Galas als Betriebsfeiern werden in den Zelten pro Jahr ausgerichtet. Schreibt man mit der Kunst eine schwarze Null, so ist dies der Bereich, wo Geld verdient wird, räumt Klotzbach ein. Die Referenzliste ist lang und erlesen, reicht von der ARD über die Deutsche Bahn, die Königlich Niederländische Botschaft bis hin zu ZDF und Zitty. Die Parteien des Bundestages sind natürlich auch dabei. Und zur Weihnachtsfeier mit der CDU kommt auch Angela Merkel ins Tipi und guckt mal aus anderer Perspektive auf das Bundeskanzleramt. Und auf der Bühne steht sie dann auch, nicht redend, sondern singend.
Martina Krüger