Auf der Internationalen Tourismusbörse im Februar in Berlin klang alles noch, als gäbe es keine Probleme, und die Begrüßung von Flughafenchef Dr. Rainer Schwarz, der auch nebenbei Gastprofessor an der TH Wildau ist, offenbarte nicht etwa Skepsis: „Es freut mich, dass offensichtlich schon so große Erwartungen und Vorfreude auf den neuen Flughafen sind, wir wollen Ihnen einen Überblick geben, wo wir im Augenblick stehen, wie wir uns in der Vergangenheit entwickelt haben…“ Keine Anzeichen von Unsicherheit, Anspannung, Druck oder dergleichen ließen auf etwaige Probleme auf der Großbaustelle in Schönefeld schließen. Zwei Monate später verkündete Schwarz kleinlaut: „Na gut, dann schieben wir eben auf.“
Was hätte Willy Brandt, der Namensgeber des neuen Airports, wohl dazu gesagt. Vielleicht: „Wer mit den Problemen unserer Zeit fertig werden will, sollte die Zitatenbibel zu Hause lassen.“ Wollte sicher damit sagen, auf Zweckoptimismus und ungesicherte Verlautbarungen, wie sie Schwarz noch zur ITB volltönend von sich gab, besser zu verzichten. Denn ihm musste zu diesem Zeitpunkt am ehesten klar gewesen sein, dass der Termin nicht zu halten ist. Aber es war offenbar für ihn schon zu spät, um Farbe zu bekennen. Wer ist aber nun verantwortlich für den missglückten Starttermin des neuen Hauptstadtflughafens BER, wer hat Schuld? Der zur Kontrolle verpflichtete Aufsichtsrat, bestehend aus immerhin fünfzehn Personen, unter ihnen Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, sieht seinerseits keine Versäumnisse, zumal aus den Controllingberichten keine Anhaltspunkte ersichtlich waren. Falls also der Aufsichtsrat, wie er versichert, auch keinen Einfluss auf die Geschäftsleitung ausgeübt hat und lediglich die Controllingberichte zur Kenntnis nahm, liege die Verantwortungslosigkeit und das Missmanagement eindeutig bei der Geschäftsführung des Flughafens, vertreten durch die Herren Schwarz und Körtgen, so die mittlerweile allseits kolportierte Antwort auf die Schuldfrage. Neben Schwarz agierte Dr. Körtgen als technischer Geschäftsführer, der sich kurioserweise während der Bauphase nebenbei an der Uni Kassel mit seiner Dissertation über die Optimierung komplexer Bauvorhaben beschäftigte.
Komplex sind auch die Gründe für den nicht zu haltenden Eröffnungstermin am 3. Juni. Unrealistische Kosten- und Terminplanungen, fragwürdige Verträge mit den beteiligten Baufirmen, Abstimmungs- und Koordinierungsprobleme beim Bau, Änderungswünsche der Fluggesellschaften, Erweiterungen während der Bauphase und eine gestörte Kommunikation zwischen Geschäftsleitung und ausführenden Firmen werden unter anderem aus verschiedener Sicht genannt. Hauptsächlich aber die mangelnde Zivilcourage kritisiert. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Brandenburger Landtag, Ralf Holzschuher, brachte es auf den Punkt: „Warum hatte niemand den Mut, frühzeitig die Reißleine zu ziehen?“ Und beim Aufsichtsrat habe es bis zwei Wochen vor der Eröffnung keinen Zweifel an der Geschäftsführung der Flughafengesellschaft gegeben. Offenbar haben auch die zwei Manager ihren Job nicht umfassend verstanden. Der eine hatte mit der Eröffnung dieses bedeutenden Infrastrukturprojekts zu sehr seinen beruflichen Gipfelpunkt im Blick, der andere war wohl mehr mit seiner eigenen beruflichen Karriere beschäftigt. Bezahlt werden Manager angeblich auch deshalb so gut, weil sie eine große Verantwortung tragen. Das setzt aber auch voraus, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Leider sieht man in ihnen in erster Linie Macher, dafür werden sie engagiert. Verantwortung wird vorausgesetzt. Im Chaos der Großbaustelle in Schönefeld ist sie leider zur Worthülse verkümmert.
Der Täter selbst braucht die Strafe als Sühne, heißt es bei Dostojewski. Wie Raskolnikov von der Idee des Nutzens besessen ist und daran scheiterte, waren es Schwarz und Körtgen vom persönlichen Erfolg. Welche Strafe Raskolnikov zuteil wurde, wissen wir. Bei heutigen Managern ist das vergleichsweise harmlos: Körtgen wurde nur entlassen und wird vielleicht Honorarprofessor in Kassel. Was auf den Geschäftsführer Schwarz noch zukommt, wissen wir nicht. Vielleicht aber hilft seine Sühnearbeit mit, den Flughafen tatsächlich am 17. März nächsten Jahres zu eröffnen.
Reinhard Wahren