Ein Königreich für Golfer

„Royal“ ist manchmal nur das orientalische Ambiente. Auf Entdeckungstour in Marrakesch, Casablanca, Rabat, Fès und Meknes

Nonstop von Berlin nach Marrakesch: Ab 2. September bietet Lufthansa diese neue Flugverbindung in die knapp eine Million Einwohner zählende orientalische Traumstadt am Fuße des Hohen Atlas im Süden Marokkos an – als eine von rund 40 Destinationen in Europa und den Mittelmeerländern, die Deutschlands größte Airline im Rahmen ihres neuen Berlin-Flugprogramms mit der deutschen Hauptstadt verbindet. Es gibt viele Gründe, Marrakesch und die anderen alten Königsstädte Marokkos zu besuchen. Einen davon verdanken wir dem ehemaligen König Hassan II. – königliches Golf.

Royal Golf de Marrakesch, Loch 15, Par 3, 138 Meter vom gelben Herrenabschlag. Jeder, aber auch ausnahmslos jeder Gastgolfer erfährt spätestens hier auf geradezu rührend harmlos-schlüpfrige Weise, dass der Golfsport in Marokko eine sehr lange Tradition hat. Caddy Mohammed deutet nach vorn auf die beiden nebeneinander aufragenden gleichförmigen Hügel, die, gesäumt von mehreren prachtvollen Palmen, das blind anzuspielende Grün verteidigen: „Diese Bahn heißt ‚Brigitte Bardot’ und hat Handicap 6“, verkündet er mit einem verschmitzten Grinsen. Die beiden wohlgeformten Hügelchen stammen aus den 60er Jahren, als die Rundungen der BB offenbar auch im Königreich Marokko in aller Munde und Gedanken waren. Und sie waren auch die letzte nachhaltige Design-Veränderung an diesem Platz, den König Hassan II. besonders geliebt haben soll. Was, streng genommen, für den royalen Naturliebhaber, aber gegen den ambitionierten Golfer aus dem Königspalast spräche. Royal Golf de Marrakesch ist ein landschaftliches Kleinod und botanisches Paradies: Dattelpalmen, Oliven-, Orangen-, Granatapfel-, Feigenbäume und üppige Bougainvilleen in Weiß, Rot und Lila rahmen die Fairways und Grüns ein, und vielstimmiges Vogelgezwitscher begleitet die Golfer, denen die hohen Bäume ausreichend Schatten vor der um die Mittagszeit glühenden marokkanischen Sonne bieten.

„Marokko ist ein Land, das sein Wesen nur jenen offenbart, die sich die Zeit nehmen, Wasser zu schöpfen und eine Kanne Tee aufzugießen.“ Sprichwort aus Marokko

Aber sportlich betrachtet? Der seit Jahrzehnten strapazierte Scherz mit den Hügelchen feiert wohl bald Goldjubiläum, aus der guten alten BB wurde keine golferische Pamela Anderson, und darüber hinaus erfuhr der ansonsten nahezu brettebene Platz keine operativen Veränderungen und Modernisierungen. Der optisch schöne, aber golferisch auf die Dauer ein bisschen langweilige Kurs kommt bis heute gänzlich ohne Wasserhindernisse und mit nur wenigen Bunkern aus. Ein netter „royaler“ Spaziergang mit nahezu garantiertem Traum-Score mangels Herausforderungen. Vielleicht hat Winston Churchill, nicht unbedingt einer der begnadetsten Golfer, gerade deshalb in jungen Jahren so gern auf dem ältesten königlichen Golfplatz Marokkos gespielt. Aber auch, wer echte golferische Herausforderungen sucht, ist in Marrakesch richtig. Rund um die alte Medina findet der Golftourist mittlerweile sechs Plätze – Royal Golf de Marrakesch, Golf Club Palmeraie, Golf Club Amelkis, Al Maaden Golf Resort, Assoufie Golf Club, Samanah Golf –, von denen einige zu den besten des Königreichs gezählt werden.

Was den alten, 1999 verstorbenen König Hassan II. selbst angeht, so variieren die Ansichten und Augenzeugenberichte über sein golferisches Talent. Offiziell überliefert ist ein königliches Handicap von acht-Komma-irgendwas. Wir wollen dem Glauben schenken – und nicht jenem frechen, im Ansatz majestätsbeleidigenden
Gerücht: „Königliche Handicaps sind grundsätzlich ebenso variabel wie royale Grüns. Wenn der Ball nicht ins Loch will, bewegt sich bei Bedarf auch mal das Loch zum Ball.“ Spielvariationen dieser Art, so unser entrüsteter Einwand, sind erfahrungsgemäß kein Privileg von Blaublütern, man erlebt sie bisweilen auch auf ganz profanen bürgerlich-republikanischen Plätzen.

Über jeden Zweifel erhaben war Hassan II. auf alle Fälle einer der weltweit engagiertesten Golf-Mäzene des vergangenen Jahrhunderts. Seiner persönlichen Begeisterung für das Spiel mit dem kleinen weißen Ball ist es zu verdanken, dass Golfer im „westlichsten Land des Orients“, jenseits der Straße von Gibraltar, heute mehr als zwei Dutzend Golfanlagen vorfinden, von denen mehr als die Hälfte den stolzen Beinamen „Royal Golf“ trägt: Marokko darf sich zu Recht ein „Königreich für Golfer“ nennen.

Am glanzvollsten zelebriert wird dies alljährlich im November, wenn die weltbesten Golfer auf Einladung des Königshauses auf dem Royal Golf ­Dar-es-Salaam in Rabat um die begehrte und hoch dotierte Hassan II.-Trophäe wetteifern. Der mit 6702 Metern extrem lange Red Course von Dar-es-Salaam zählt zu den spektakulärsten Plätzen Afrikas. Korkeichen, Eukalyptusbäume, Zypressen, Papyrus- und Bananenstauden sowie – auf Bahn 11 – römische Tempelsäulen säumen die Fairways. Golferischer Höhepunkt ist der Schlag aufs Inselgrün inmitten des großen Seerosenteichs (Bahn 9, Par 3),­ den auch zahlreiche Flamingos zu ihrem Lieblingsplatz erkoren haben.

Während man in der „Oase des Friedens“ unweit des Königspalastes gern mehrere Tage verbringen möchte, kann man sich auf manch anderem der zahlreichen „königlichen“ Golfplätze des Landes des Eindrucks nicht erwehren, dass das Prädikat „Royal“ ein wenig zu inflationär verteilt wurde. In Casablanca beispielsweise, wo sich der 9-Loch-Platz Royal Golf d’Anfa (3015 Meter, Par 35) sein knappes Gelände im Villenviertel mit der Pferde-rennbahn teilen muss. Lieber folgt man den Spuren Humphrey Bogarts, rund 30 Kilometer nach Norden aus der Weißen Stadt heraus. Jahre nach den Studio-Dreharbeiten an „Casa-blanca“ lernte der Single-Handicapper Bogart die Stadt, in der sein berühmtester Film spielte, und den ­Mohammedia Royal Golf Club in Ben Slimane kennen. Die salzige Meerluft, die stetige, vom Atlantik herüber­wehende Brise und der Kontrast von offenen Links-Bahnen zum Meer hin und geschützten Fairways durch dichten Akazien- und Pinienwald verleihen der Golfrunde in Mohammedia einen ganz anderen Charakter als auf den Plätzen im Landesinnern.

Das Golfbesteck im Gepäck zu haben, lohnt sich sogar in den noch nicht erwähnten beiden historischen Königsstädten Marokkos: in Fès und Meknes. Ein Meer von Olivenbäumen in leicht gewellter Vorgebirgslandschaft, dahinter, weit am südöstlichen Horizont, die Gipfelkette des Mittleren Atlas – in wahrhaft malerischer Umgebung, 13 Kilometer südlich der quirligen Medina von Fès schuf der Amerikaner Cabell B. Robinson die Golfanlage Royal Golf de Fès.

„Entschleunigung“ schien das langjährige Motto auf der von Robinson liebevoll in die Hügellandschaft gezauberten Golfanlage zu sein: Nach der Fertigstellung der ersten neun Löcher im Jahr 1994 schimmerten die sogleich versprochenen zweiten „royalen Neun“ ein geschlagenes Jahrzehnt lang nur als flüchtige Fata Morgana am gleißenden Horizont. Dann endlich durfte Cabell B. Robinson – der in der Zwischenzeit längst in Marrakesch den herrlichen Kurs des Golf Club Amelkis kreiert hatte – in Fès wieder ran.

In Meknes, der wohl unbekanntesten der marokkanischen Königsstädte, spielt der „royale“ Golftourist in den Abendstunden hingegen die vermutlich golferisch unbedeutendste, aber zugleich vom Ambiente her unvergesslichste Golfrunde seiner Marokko-Reise. Hier vergisst man besser seinen Score, übersieht großzügig das zu hoch gewachsene Fairwaygras und die stumpfen Grüns dieses nicht gerade sehr professionell gepflegten Platzes. Diesen – pardon! – lausigsten aller „königlichen“ Golfplätze zu spielen, der am Rand der Medina verborgen liegt hinter einem trutzigen maurischen Stadttor und hohen, zinnen­bewehrten Festungsmauern, ist allen sportlichen Widrigkeiten zum Trotz ein sinnliches Vergnügen für jeden Romantiker und historisch interessierten Bewunderer orientalischer Exotik.

Eingefasst von einem riesigen Mauerkarree ist einer der prachtvollen Gärten der monumentalen Palastanlagen, die der seinerzeit in Fès verhasste Sultan Moulay Ismail ab 1672 in Meknes errichten ließ, heute ein arg kurzer (2.707 Meter) 9-Loch-Golfplatz inmitten eines lauschigen Olivenhains.

Wenn die Sonne hinter der westlichen Mauer verschwindet und die Hitze des Tages weicht, landen zahlreiche Störche auf den hochragenden Türmen und halb zerfallenen Kolonnaden. Steinerne Zeugen, die vom vergangenen, allzu kurzlebigen Ruhm der kleinsten unter Marokkos Königsstädten künden. Wenn dann vom Minarett der nahegelegenen Moschee Laila Anonda der Muezzin zum Abendgebet ruft und für kurze Zeit den mit der lauen Abendbrise aus den Basarstraßen herüberwehenden Lärm der Basarhändler übertönt, flammen Scheinwerfer auf und tauchen Teile des Sultansgartens in gleißendes Licht. Nicht genug, um auf allen neun Löchern eine „ernsthafte“ Golfrunde spielen zu können. Aber ausreichend für eine kostenlose, romantische „Son-et-Lumière-Show“ vor einer echten Kulisse wie aus Tausendundeiner Nacht.

Wolfgang Weber

 

51 - Sommer 2012