Unter dem Titel „Geschlossene Gesellschaft“ zeigt die Berlinische Galerie die erste Retrospektive zur künstlerischen Fotografie in der DDR.
Welche Rolle spielte die Fotografie zwischen ideologischer Bildpropaganda und Ausdruck eines individuellen Lebensgefühls, zwischen agitatorischer Dokumentation und künstlerischer Position? Mit derartigen Fragestellungen beschäftigt sich derzeit der Arbeitskreis Kunst in der DDR. Damit will er einen Beitrag zur weiteren Erforschung der Fotografie in der DDR in der Zeit von 1949 bis 1989 leisten, die noch in den Anfängen stecke. Beispielsweise gilt es auch zu analysieren, unter welchen ökonomischen Bedingungen, in welchen Nischen, aber ebenso in welchen Grauzonen Fotografie entstand.
Die Berlinische Galerie unterstützt dieses Bestreben mit ihrer Ausstellung „Geschlossene Gesellschaft“, eine retrospektivische Übersichtsausstellung mit ehemals mehr oder weniger offiziell anerkannten Fotografen. Die Bildauswahl ziele darauf, den spezifischen Charakter des jeweiligen fotografischen Werkes, seine künstlerische Motivation und Bildsprache nacherlebbar zu machen. Diesem Anspruch zu genügen, ist so löblich wie schwierig, denn zu vielschichtig ist oftmals das einzelne Werk und mitunter schwer einzuordnen. Die Ausstellungsmacher haben sich für eine Dreiteilung entschieden. Zunächst ist ein Prolog vorangestellt mit Bildserien von Richard Peter sen. und Karl-Heinz Mai, die unmittelbar nach dem Krieg entstanden. Richard Peter sen. ist vor allem durch seine Fotografien vom zerstörten Dresden bekannt geworden und weit über Dresden hinaus zu hohem Ansehen gelangt. Folgerichtig beginnt das erste Kapitel mit „sozial engagierter Fotografie“, die die Wirklichkeit abbildet und sie zu interpretieren versucht und gesellschaftliche Entwicklungen offenlegen will. Generationsübergreifend sind hier sowohl ältere als auch jüngere Fotografen versammelt. Arno Fischer beispielsweise schuf mit dem Projekt „Situation Berlin“ eine aufsehenerregende Serie über die Teilung Berlins in den 1950er Jahren. Seine Bilder gleichen Zustandsbeschreibungen und erzählen Alltagsgeschichten. Er gilt als legendärer DDR-Fotograf und beeinflusste später auch seine Frau Sibylle Bergemann in der Modefotografie. Der wirklichkeitsabbildenden Fotografie sind beispielsweise auch Christian Borchert, der mit Porträts bekannter Künstler und Dichter hervortrat und Beobachtungen von „kleinen Leuten“ bevorzugte, zugeordnet sowie Ulrich Wüst, der als „Fotograf der Städte und urbanen Räume“ gilt. Gundula Schulze Eldowys Bilder zeigen dagegen „ein Milieu, das es offiziell nicht geben durfte“. Das zweite Kapitel ist mit „Montage-Experiment-Form“ überschrieben und vereint Fotografen, die nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen suchten. Als Protagonisten sind beispielsweise Edmund Kesting, Fotograf und Maler, ausgesucht, dessen Werk erst seit 1980 Anerkennung gefunden hat, sowie Fritz Kühn, der eigentlich durch seine Metallarbeiten bekannt wurde. Dessen Fotografie ist bis heute weitestgehend unbekannt. Aufnahme in dieses Kapitel fanden aber auch andere Allroundkünstler, wie Klaus Hähner-Springmühl. Er gilt als einflussreiche Künstlerpersönlichkeit in den 1980er Jahren in der unabhängigen Künstlerszene. Schließlich ist das dritte Kapitel den eher jüngeren Fotografen gewidmet, die sich mit den Verhältnissen in der „geschlossenen Gesellschaft“ mehr oder weniger arrangiert haben und „mit einem desillusionierten Blick“ eine sehr individuell geprägte Bildsprache suchten. Stellvertretend für diese Gruppe sei Helga Paris genannt, die mit ihren Porträts und Alltagsfotos zu den angesehensten Fotografinnen der DDR zählt. Eine ganz andere Bildsprache verfolgt dagegen beispielsweise Thomas Florschütz, der seine Motive nicht nach inhaltlichen Gesichtspunkten auswählt. Allein Wahrnehmung, Abstraktion und Verfremdung treiben diesen außergewöhnlichen Fotografen an. Dass Fotografie auch außerhalb der kulturpolitischen Vorgaben existierte, beweisen schließlich Bilder von Sven Marquardt. Er gilt als „fotografischer Dokumentarist der DDR-Subkultur“.
Die Ausstellung in der Berlinischen Galerie kann nur einen Eindruck von der Vielschichtigkeit der künstlerischen Fotografie in der DDR liefern und widerspiegelt hauptsächlich die Autorenfotografie. Weiterführend informiert der Ausstellungskatalog u. a. über gesellschaftliche Hintergründe, fotografische Praxis und die Fotografierezeption.
Reinhard Wahren
Information
Ausstellung
Geschlossene Gesellschaft
Künstlerische Fotografie in der DDR 1949–1989
5. Oktober 2012 bis 28. Januar 2013
Berlinische Galerie
Alte Jakobstr. 124–128
10969 Berlin