Der schwere Weg der Kartoffel

Nein. Friedrich II. hat keine Kartoffeln gegessen. Zumindest weist der Speiseplan keine auf, erfährt man in der Ausstellung „König&Kartoffel“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam. Dabei hat er sich doch auch als Kartoffelkönig in Szene gesetzt. Hat er, wie seine Untertanen, dieses Nachtschattengewächs skeptisch beäugt, daran gerochen, geleckt und es dann den Hunden zum Fraß vorgeworfen? Und selbst die Hunde mochten es nicht. So beschreibt Joachim Nettelbeck, Königlich-Preußischer Schiffskapitän, in seiner Autobiographie eine der „Kartoffelvorführungen“, die er als Kind in Kolberg miterlebt hatte. Der König hatte den dortigen Bauern Kartoffeln geschenkt, damit sie sie anbauten. Das ging gründlich schief. Sie schütteten sie auf Haufen zusammen und streuten ein wenig Erde darüber oder sie steckten sie einfach in die Erde und warteten was daraus werde. Ein Jahr später, 1745, startete Friedrich eine erneute Geschenkaktion, diesmal mit genauer Anweisung, wie mit den Kartoffeln zu verfahren sei und einem Schwaben als Kartoffellehrmeister. Und langsam wurde es. Die Skepsis blieb, auch Ärzte rieten von zu viel Verzehr ab, denn das in Nachschattengewächsen enthaltene Solanin verur­sachte Kratzen im Hals, als geringste Folge. Aber es konnte einem auch ordentlich schlecht davon werden. Heutzutage ist Solanin auf ein Minimum reduziert. Aber Friedrich II. blieb hartnäckig in der Kartoffelfrage – zumindest, was seine Untertanen betraf. Die Kartoffel war aus Südamerika schon längst in Europa angekommen.

Die Ausstellung in Potsdam über Friedrich den Großen und die preußischen „Tartuffoli“ stellt die Entwicklungsgeschichte der Kartoffel von der Zier- bis zur landwirtschaftlichen Nutzpflanze vor und verfolgt ihre Einfuhr, Verbreitung und Nutzung im Europa des 16. bis 18. Jahrhunderts. Sie erzählt Alltagsgeschichte, zeigt aber auch, welche grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen der Wandel des mitteleuropäischen Ernährungssystems im 18. und 19. Jahrhundert nach sich zog.

Zunächst ist die Kartoffel als Zierpflanze in Botanischen Gärten zu finden, aber nach und nach kommt man sozusagen auch auf den Geschmack. In Spanien, Italien, Schottland und in Sachsen wird die neue Feldfrucht im größeren Stil angebaut. Auch Friedrich gibt Fördermittel für die Kartoffelforschung aus. Ein ungarischer Kartoffelpflanzer erhält 1747 Heideland und 450 Reichstaler, um ein Versuchsfeld anzulegen. Der belesene König liegt politisch und ökonomisch im Trend. Im 17. Jahrhundert rät ein englischer Ökonom: „Könige, sichert Euch das Monopol auf die Kartoffel. So könnt Ihr die Bevölkerung ernähren, Korn für den Export sparen und die Ernährung Eurer Soldaten sichern.“ Wenn das mit den „Soldaten“ kein Argument für Friedrich II., den Kriegsherrn, war. Er hatte gerade Schlesien erobert, das bitter hungerte und das er unbedingt gegen österreichische Rückeroberung verteidigen wollte. Und der Siebenjährige Krieg stand unmittelbar bevor. Im Juni 1756 ließ er seine Truppen in Ostpreußen und Schlesien mobilmachen. Und er wollte auch seine Landwirtschaft vorantreiben. Nach mühsamer und meist vergeblicher Überzeugungsarbeit befahl er in mindestens 15 Verordnungen seinen Untertanen, Kartoffeln anzubauen. Ähnlich verfuhren die Herrscher in Schweden und Braunschweig-Wolfenbüttel. Am 24. März 1756 dann der Erlass, der als Kartoffelbefehl in die Geschichte einging: Die preußischen Beamten wurden angewiesen, den Untertanen den „Nutzen von Anpflanzungen dieses Erdgewächses begreiflich zu machen... Wo nur ein leerer Platz zu finden ist, soll die Kartoffel angebaut werden“, hieß es. Aber so ein Stück Garten reichte nicht, um ordentlichen Ertrag zu sichern. Auf brachliegenden Feldern musste die Knolle in die Erde. Tagelöhner, Handwerker und Kleinbauern konnten so für ihre Ernährung besser sorgen. Es ist auch kolportiert, dass der König zu einer List griff und Kartoffelfelder von Soldaten, die sich unaufmerksam oder schlafend stellen sollten, bewachen ließ. Er rechnete mit seinen neugierigen oder besser diebischen Untertanen. Was von Soldaten geschützt wird, muss wertvoll sein – also flugs wurde die eine oder andere Knolle ausgebuddelt. Aber diese Geschichte wird auch aus Frankreich erzählt, vom dortigen Kartoffelvater Augustin Parmentier. Und zur Legendenbildung „Friedrich und die Kartoffel“ gehört freilich auch das Gemälde von Robert Warthmüller „Der König überall“, das Friedrich II. bei einer Kartoffelinspektionsreise zeigt. Gemalt wurde es übrigens 1886, da war der König schon 100 Jahre tot. Und dass die Kartoffel praktisch in jeder Gegend ihren eigenen Namen hat, liegt wohl auch daran, dass sie so regional und zeitlich unterschiedlich Fuß fassen konnte. Sie wurde mit Trüffel (Tartuffo), Äpfeln (Erdäpfeln) und Birnen (Erdbirne) verglichen. Erdtoffel, Catuffel, Artoffel wurde sie genannt. Tüften heißen die Knollen heute noch in Vorpommern. Eines war bei der Namensfindung klar, die indianische Bezeichnung „Papas“ war fürs Preußische nicht geeignet. Fakt bleibt bei aller Legendenbildung: Friedrich II. hat, wie seine Kollegen in Europa, mit der Einführung der Kartoffel Hungersnöte eindämmen können und der chronischen Unterernährung entgegengewirkt. Bis zum 18. Jahrhundert war das Korn die entscheidende Lebensmittelgrundlage. Brot und Bier – für Jung und Alt standen sie auf dem Speisezettel. Die Einführung von Tee, Kaffee und Kakao lös-te den permanenten Alkoholgenuss ab. Und mit der Kartoffel war ein bekömmliches Nahrungsmittel gefunden, das schmeckte und satt machte. Allerdings fanden die Bauern auch schnell heraus, dass man ja aus Kartoffeln Schnaps machen konnte. Um 1800 hatte die Kartoffel den europäischen Durchbruch geschafft. Sogar der Adel baute die Knolle an – und sie erschien auch auf dessen Speisezettel. Sie war sozusagen ein sozialer Aufsteiger. Wer weiß, vielleicht hätte auch Friedrich II. noch von ihr probiert, wenn er nicht 1786 gestorben wäre.

Martina Krüger


Information

König & Kartoffel
Friedrich der Große und die preußischen „Tartuffoli“
Eine Ausstellung des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zum Jubiläumsjahr „Friedrich 300“ im Rahmen des Themenjahres von Kulturland Brandenburg 2012 „KOMMT ZUR VERNUNFT! Friedrich der Zweite von Preuszen.“

Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte
Kutschstall, Am Neuen Markt 9
14467 Potsdam
 

52 - Herbst 2012