Ein Arbeitsleben lang im selben Unternehmen, werktags von neun bis fünf – diese Arbeitsform wird immer seltener. Für Trendforscher steht fest: Die Zukunft gehört flexiblen und mobilen Arbeitsweisen. Auf diese gesellschaftliche Veränderung reagieren immer mehr Unternehmen, indem sie Büros anbieten, die auf die spezifischen Bedürfnisse dieser neuen Klientel eingehen.
Berlin-Kreuzberg, Prinzessinnenstraße 19–20, Betahaus. Im Café im Erdgeschoss sitzen junge Leute mit Laptop und Hornbrille, einige unterhalten sich, das Smartphone vor sich auf dem Tisch. Im dritten Stock dann die Großraumbüros: Einfache Tische sind im schmucklosen Raum verteilt, an denen weitere Büromenschen vor ihrem Notebook sitzen. Von der Decke baumeln Steckdosen; Raumtrenn- und Schallschutzelemente gibt es nicht – besonders angenehm wirkt die Atmosphäre nicht gerade. Trotzdem hat sich das 2009 gegründete Betahaus zum Prototypen des sogenannten Coworking entwickelt. Gemeint ist damit eine Arbeitsform, wie sie vor allem für Freiberufler und Existenzgründer attraktiv ist: Statt alleine am heimischen Küchentisch vor sich hin zu schreiben, zu layouten oder zu entwerfen, mietet man sich für einzelne Tage oder für längere Zeit einen Schreibtisch in einem Großraumbüro, wo man im besten Fall Kontakte zu Mitstreitern knüpfen und vielleicht sogar neue Aufträge akquirieren kann. Oder, wie es die Betahaus-Erfinder ausdrücken: „Das Betahaus richtet sich an Menschen, die einen flexiblen Arbeitsplatz in einer kollaborativen Arbeitsatmosphäre benötigen.“ Das Konzept scheint aufzugehen – jedenfalls hat das Betahaus mittlerweile Ableger in Hamburg, Köln, Sofia und Barcelona eröffnet. In Berlin wiederum, der Hauptstadt der selbst ernannten digitalen Boheme, gibt es diverse Anbieter, die nach demselben Prinzip arbeiten. Einer davon ist Mobilesuite in Prenzlauer Berg, der seit Sommer 2011 nach eigenen Angaben „flexibel nutzbare Arbeitsplätze in einem inspirierenden, kommunikativen Umfeld“ vermietet. Hervorgegangen ist Mobilesuite aus einem Telefonservice. Diese Dienstleistung ist vor allem für Kleinunternehmer attraktiv, die keine eigene Büroinfrastruktur aufrechterhalten, aber trotzdem einen professionellen Eindruck hinterlassen wollen. „Virtual Offices sind virtuelle Büros inklusive professionellem Sekretariatsservice und dem eigenen Firmenschild am Gebäude“, erläutert André Helf, Geschäftsführer von Excellent Business Center, einem der großen Anbieter solcher Dienstleistungen. Welche Bedeutung diese flexiblen Büromodelle erlangt haben, verdeutlicht Immobilienscout24. Deutschlands größtes Online-Immobilienportal gab unlängst den Zusammenschluss mit dem Unternehmen deskwanted bekannt. Damit kann man jetzt auch über Immobilienscout Coworking-Plätze mieten. „Mit der Individualisierung der Arbeitswelt wächst auch der Bedarf an flexiblen Arbeitsplatzmodellen“, begründet dies Marc Stilke, Geschäftsführer von Immobilienscout24. Nur: Ist dieses Arbeitsmodell wirklich so neu? Seit Jahr und Tag schließen sich Freiberufler und Kreative gern in Bürogemeinschaften zusammen, in Berlin bevorzugt in Fabriketagen in Kreuzberg. Zwar sind die Mietverhältnisse dort nicht so kurzfristig wie bei Betahaus & Co. – doch günstiger ist dieser klassische Weg allemal: Ein Arbeitsplatz in einer Bürogemeinschaft mit allem Drum und Dran lässt sich in Berlin noch immer schon für etwa 150 Euro im Monat finden. Bei Betahaus kostet hingegen bereits der Flex-Desk (dabei sucht man sich einen freien Tisch, den man bei Arbeitschluss leer zurücklassen muss) 149 Euro im Monat. Hinzu kommen Zusatzkosten beispielsweise für ein Schließfach und für das Benutzen des Druckers. Wer außerhalb der Kernzeiten arbeiten will, zahlt noch einmal extra. Diese Kernzeiten dauern montags bis freitags jeweils von 8 bis 20 Uhr – was denn doch eher an die langweilige Old Economy als an kreative Freiheit erinnert. Etablierte Unternehmen wie Regus, Dussmann, Satellite Office und Excellent Business bieten in sogenannten Business Centern ebenfalls die Möglichkeit, ein Büro oder einen Besprechungsraum kurzfristig zu mieten, sich ein Virtual Office zu sichern oder für einige Monate ein Projektteam auszulagern. Diese Anbieter sprechen insbesondere Kunden an, die viel unterwegs sind und in verschiedenen Städten eine professionelle Arbeitsumgebung brauchen. „Der Trend zum mobilen Arbeiten ermöglicht es vielen Unternehmen, effizienter zu arbeiten und bislang ungenutzte Potenziale auszuschöpfen“, sagt Michael Barth, Deutschland-Geschäftsführer des Unternehmens Regus, das sich selbst als weltweit führenden Anbieter von innovativen Arbeitsplatzlösungen bezeichnet. Besonders gut kommt diese Flexibilität offenbar in Berlin an, wo es rund 20 solcher sich meist in bester Geschäftslage befindlichen Business Center gibt. Dabei meldet beispielsweise das Berliner Unternehmen Satellite Office gute Geschäfte. „Die Nachfrage nach hochwertigen Dienstleistungen entwickelt sich sensationell gut“, sagt Geschäftsführerin Anita Gödiker. „Insbesondere Produkte, die den Unternehmen eine hohe Flexibilität garantieren, wie die Kombination aus Virtual Office mit Coworking-Arbeitsplätzen, liegen hoch im Kurs.“ Ein Büro ist bei Satellite Office je nach Lage ab etwa 650 Euro pro Monat zu mieten. In direkter Konkurrenz zu Betahaus & Co. sieht sich Gädiker nicht: „Was Qualität, Lage und Interieur betrifft, werden völlig unterschiedliche Zielgruppen angesprochen.“ Allerdings biete Satellite Office mittlerweile ebenfalls flexible Angebote wie zum Beispiel „offene Lounge-Bereiche, die über W-Lan verfügen, volle Flexibilität bedeuten und jede Möglichkeit zum Treffen und Netzwerken bieten“. Das ist dann doch fast wie im Betahaus – nur dass bei den gehobenen Anbietern die Steckdosen nicht von der Decke baumeln.
Emil Schweizer