Universum Schinkel

Die Staatlichen Museen zu Berlin präsentieren in einer Ausstellung des Kupferstichkabinetts Preußens bedeutendsten Architekten nicht nur als wichtigsten Baumeister des deutschen Klassizismus, sondern gleichsam als genialischen Universalkünstler, Wirtschaftsförderer und Geschichtsvermittler.

Es sollte nach Absicht der Ausstellungsmacher zwar keine Schau werden, die „Schinkel von A bis Z“ zeigt. Dennoch war der Anspruch kühn, denn die Ausstellung „Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie“ des Kupferstichkabinetts, konzipiert für die Sonderausstellungshallen im Kulturforum, bedient sich einer neuen Form. So sind es nicht nur die architekturgeschichtlichen und bauästhetischen Aspekte seines Schaffens, die beleuchtet werden, sondern die Ausstellung will eine Art Erzählung sein, die sein universelles Schaffen mit den Geschichtsbildern seiner Zeit in Verbindung setzt und so vielleicht einen neuen Blick auf den Universalkünstler eröffnet. Sogar der Zeitpunkt der Ausstellungseröffnung erinnert an ein geschichtsträchtiges Ereignis: Vor zweihundert Jahren, während des napoleonischen Krieges, stand Moskau im September 1812 in Flammen. Die russische Militärführung hatte angeblich aus strategischen Gründen die Stadt in Brand gesetzt. Schinkel nahm damals dieses Ereignis, welches den Beginn der Zerschlagung der Grande Armee bedeutete, zum Anlass, den „Brand von Moskau“ bildnerisch als sogenanntes Diorama zu inszenieren. Das Berliner Publikum war nicht nur wegen des spektakulären Themas begeistert, sondern mehr noch von Schinkels eigentümlicher Gestaltung angetan. In der Ausstellung ist eine Rekonstruktion dieses berühmten Schaubildes mit beweglichen Kulissen, Licht- und Geräuscheffekten zu sehen.

Ähnlich inszenatorisch geht es durch die gesamte Schau, die etwa dreihundert Exponate umfasst. Gegliedert in sogenannte Tableaux, die nahezu Schinkels Gesamtwerk berühren, die nach dem Willen der Ausstellungsmacher aber vor allem das Kunst- und Geschichtsverständnis der Schinkel-Zeit reflektieren sollen. So zielt auch der Titel der Ausstellung auf jene Kunstauffassung, die für Schinkel essenziell war: „Geschichte“ und „Poesie“ gehen über die reine Funktion und Konstruktion eines Werks hinaus und machen es erst zu einem Kunstwerk.
Die einzelnen Tableaux belegen dies eindrucksvoll anhand von Exponaten und Bildarrangements, die teilweise noch nie in Berlin gezeigt wurden und belegen einmal mehr Schinkel als genialen Architekten und Baumeister, herausragenden Zeichner und Maler, Bühnenbildner, Raumausstatter, Produktdesigner und Kunstphilosophen. Gemeinsam mit seinem Freund Christian Peter Wilhelm Beuth, der ab 1821 die erste Gewerbeschule leitete, veröffentlichte er zudem die „Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker“. Eine Sammlung von Musterblättern, die Handwerker in die Lage versetzen sollten, ihre Produkte nicht nur in handwerklicher, sondern auch in geschmacklicher Hinsicht herzustellen. Damit setzte er bereits Maßstäbe für die Fertigung von Industrieprodukten, die zu jener Zeit noch in den Kinderschuhen steckte. Schinkel war nicht nur ein genialer Universalkünstler, im Auftrag des preußischen Königs stellte er sich auch nahezu jeder Bauaufgabe, ob es sich um einen Leuchtturm, eine Kirche, ein Museum oder ein Schauspielhaus handelte. Das führte ihn ab 1815 unter anderem auch ins Rheinland, nach Nord-, Süd- und Mitteldeutschland, Polen und Russland. In kaum mehr als zwanzig Jahren entstand ein gewaltiges Lebenswerk, das Architekten und Künstler bis heute fasziniert. In damaliger Zeit derart beschäftigt und rastlos unterwegs zu sein, hatte seinen Preis. Im ersten Tableau der Ausstellung gibt der ärztliche Krankenbericht Auskunft über Schinkels Ende. Ein Schlaganfall zwang ihn zu einer einjährigen Leidenszeit, nach der er am 9. Oktober 1841 sechzigjährig viel zu früh starb. Zu den sehr persönlichen Dokumenten zählen zweifellos auch die bezaubernden Bildnisse seiner Kinder aus dem Saint Louis Art Museum, die in Deutschland noch nie zu sehen waren.

Reinhard Wahren


Ausstellung
Karl Friedrich Schinkel.
Geschichte und Poesie,
7. September 2012 bis 6. Januar 2013

Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

Sonderausstellungshallen Kulturforum
Matthäikirchplatz
10785 Berlin
www.schinkel-in-berlin.de

52 - Herbst 2012
Kultur