Berlin-Macher

Dass Berlin dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein, wusste schon im Jahr 1910 der Publizist und Kunstkritiker Karl Scheffler. Ein oft zitierter Satz, der noch heute gilt. Umso mehr sind Menschen gefragt, die vor oder hinter den Kulissen etwas bewegen und die Stadt ein Stück voranbringen. Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Ekkehard Streletzki

Der Mann schätzt nach eigener Aussage Altkanzler Helmut Schmidt sehr. „Das muss man ja fast“, sagt er in seiner zurückhaltenden und bescheidenen Art. Und doch ist es gut, dass er nicht auf den angesehenen Politiker gehört hat. Der nämlich hatte im Bundestagswahlkampf 1980 eines seiner knackigsten Zitate abgeliefert, indem er – mutmaßlich auf Willy Brandt zielend – zum Besten gab: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Angesichts der Vielzahl von visionären Ideen wäre er da sicherlich zum chronisch kranken Patienten geworden. Aber er ist ja Gott sei Dank nicht zum Arzt gegangen, sondern hat seine Visionen ausgelebt, Realität werden lassen. Die Rede ist von Ekkehard Streletzki, der mit Deutschlands größtem Hotel, dem „Estrel“ in Berlin, sein Meisterstück abgeliefert hat.

Doch erst einmal zurück zu den Anfängen: Das Licht der Welt erblickt Streletzki 1940 in Hamm an der Sieg im Westerwald, in dem er aufwächst. Die Schule ist nicht gerade seine ganz große Leidenschaft. Es sind eher die Brieftauben, die er züchtet und mit denen er in dieser Zeit bereits etliche Preise sammelt. Da kann es insofern auch nicht verwundern, dass sich schon damals mit dem Traum „Taubenzüchter“ erste Symptome der Schmidtschen „Visonärs-Krankheit“ einstellen.

Dass man gleichwohl mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben kann, beweist Streletzki mit der Wahl seines Studiums, das ihn in Koblenz Bauingenieur werden lässt und mehr oder weniger zu seiner ersten Karriere führt. 1967 eröffnet er in München ein Statikbüro, dem ein weiteres in Teheran folgen soll.

Nach knapp zehn Jahren drängt es den Bauingenieur zu neuen Ufern. 1976 gründet er das Unternehmen Diabos, das über neun Niederlassungen mit Diamantbohrern gutes Geld verdient und den finanziellen Grundstein für den weiteren Weg und die Unabhängigkeit Streletzkis legt.

Berlin ist in dieser Zeit noch weit weg und doch schon im Visier des heute 72-Jährigen. Seit 1960 kommt Streletzki an die Spree. Damals noch als Student, später macht er dort auch seine Geschäfte und übernachtet in den Hotels im Westteil der Stadt. Das ist auch noch so, als er in den 80er Jahren zwei Bürokomplexe in Neukölln plant und hochzieht. Und dann kommen plötzlich Wende und Wiedervereinigung. Die Stadt ist außer Rand und Band. Euphorie und Goldgräberstimmung lassen jedes Maß vermissen. Das bekommt auch Streletzki zu spüren, der plötzlich für ein Hotelzimmer das Vier- bis Sechsfache zahlen soll wie in den Jahren zuvor.

„Da habe ich mir gedacht, das geht auch billiger“, erinnert sich der Unternehmer, der bis dato mit Hotels – außer als Gast – überhaupt nichts zu tun hat. So gut wie alle, die von seiner Idee hören, an der Sonnenallee in Neukölln ein 133 Millionen teures Vier-Sterne-Plus-Hotel mit 1125 Zimmern zwischen Schrottplatz, Nudelfabrik und Kabelwerk zu bauen und mit Zimmerpreisen von 100 Mark zu werben, fassen sich an den Kopf und wetten auf das Scheitern Streletzkis.

Doch der ist von seinem Projekt derart überzeugt, dass er sogar seinen eigenen Namen für das Hotel hergibt. Das „E“ ist der erste Buchstabe seines Vornamens, der Rest sind die ersten Buchstaben seines Nachnamens. Heute ist das „Estrel“, das 1994 eröffnet, das größte und erfolgreichste Hotel in Deutschland. Dass dem so ist, ist sicher der Überzeugung Streletzkis geschuldet, für den nicht die drei L – Lage, Lage, Lage – die entscheidenden Erfolgskriterien für Immobilien sind, sondern die drei T und das in doppelter Hinsicht: Timing, Timing, Timing und Tilgen, Tilgen, Tilgen.

Wie richtig der „Selfmade-Hotelier“, wie ihn eine Berliner Zeitung nennt, damit liegt, zeigt sich nicht zuletzt in den Preisen und Auszeichnungen für ihn und sein Hotel, wie zum Beispiel: 1996 bestes Businesshotel Deutschlands, 2000 Hotelier des Jahres, 2005 Bundesverdienstkreuz, 2008 Berliner Unternehmer des Jahres. Dabei hat Streletzki die Ehrungen nicht nur für sein unternehmerisches Tun erhalten, sondern auch für sein soziales Engagement. So sind er und sein „Estrel“ seit mittlerweile 1997 Gastgeber von Frank Zander und rund 2500 Obdachlosen, die von dem Berliner Urgestein alljährlich in der Vorweihnachtszeit zu Gänsebraten, Kaffee und Kuchen eingeladen und von Prominenten aus Kunst und Kultur sowie Politik und Wirtschaft bedient und umsorgt werden.

Solche Größenordnungen können Streletzki überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. Das neben einer ganzen Reihe von Restaurants auch zum „Estrel“ gehörende Convention Center, in dem Berlins erfolgreichste Liveshow „Stars in Concert“ läuft, kann gut 6000 Menschen aufnehmen. Und es sollen noch mehr werden. Die von Politik und Banken bislang verhinderte Erweiterung hat der „sanfte Macher“, ebenfalls eine treffende Zeitungsbeschreibung, längst nicht aus den Augen verloren. Ganz im Gegenteil. Und Streletzki wäre nicht Streletzki, wenn nicht eines Tages aus seiner Vision wieder einmal Realität geworden ist.

Doch bis dahin hat der Vater von vier erwachsenen Kindern, der in zweiter Ehe verheiratet ist, noch anderweitig genug zu tun. Nur der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass Streletzki am Filmpark Babelsberg beteiligt ist. Besser zum neugewonnenen Hotelier-Image passt auch, dass er seit 2007 in der Nürnberger Straße das Hotel „Ellington“ betreibt – erfolgreich, wie sich versteht.
„Man muss immer ein wenig kreativer sein als andere und immer wieder etwas Innovatives wagen“, lautet das viel zitierte Credo Streletzkis, das er immer wieder bestätigt. Jüngstes Beispiel sind Restaurant und Hotel im Schloss Britz, die er pachtet und betreibt. Selbstständig und eigenverantwortlich geführt werden beide Einrichtungen – erst- und einmalig in Deutschland – im sechsmonatigen Wechsel jeweils von einem Team von „Estrel“-Auszubildenden. Die Rede ist dabei von fünf Gästezimmern, 30 Plätzen im Restaurant sowie Veranstaltungsräumen für bis zu 80 Personen – was für ein Gegensatz, wenn man ans „Estrel“ denkt.

Bei so vielen Aktivitäten und Engagements in seinem Leben drängt sich eine Frage auf: „Was würden Sie nicht mehr tun, Herr Streletzki?“ Für den Fragesteller zunächst überraschend fällt es dem Gefragten sichtlich schwer zu antworten. Doch bei näherer Betrachtung wird ziemlich schnell klar, dass die Fragestellung überhaupt nicht in das Weltbild und Denkschema dieses Menschen passt. Dies trifft eher für das Epigramm Erich Kästners zu, das da lautet: Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.

Detlef Untermann

 

53 - Winter 2012/13