Unterwegs zwischen Berlin, Boston und Gando

Architekt der Nachhaltigkeit – Francis Kéré

Vor sich eine Rolle Transparentpapier und einen grünen Filzstift, malt und schreibt Francis Kéré während des Gesprächs in seinem Kreuzberger Büro immer wieder etwas auf. So, als müsse er das Gesagte vor Augen haben, als traute er den Worten nicht. Intellektuelle Gedankenakrobatik, bei modernen Architekten westlicher Prägung nicht selten, ist ihm fremd. Dieser Architekt glaubt nur den Sinnen, das wird schnell klar und ist wohl auch ein Geheimnis seines Erfolgs. Ergänzt durch soziale Kompetenz. Deshalb, und weil er aus Einfachem architektonisch zuweilen Großes macht, hat die Harvard University den 47-Jährigen kürzlich zum Professor für Städte- und Wohnungsbau berufen. Gerade ist Francis Kéré für zwei Tage in Berlin.

Fast zärtlich holt der jungenhaft wirkende Mann einen großen luftgetrockneten Ziegelstein aus dem Regal. Es ist ein besonderer Stein, einer von Tausenden Steinen, die auf seine Initiative hin in seinem westafrikanischen Heimatdorf Gando für Schulgebäude verbaut wurden. Aus Lehm und ein wenig Zement wurde der Ziegel von den Menschen des Dorfes hergestellt. Gando ist ein etwa 4000 Einwohner zählendes Dorf in Westafrika, in Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Erde. Hier ist Diébédo Francis Kéré, wie er mit vollem Namen heißt, aufgewachsen, und hier ist sein biografischer Anker geblieben. Als Erster im Dorf hatte er seinerzeit Lesen und Schreiben gelernt, hat eine weiterführende Schule besucht, studiert. Dabei hat er die Bodenhaftung im wahrsten Sinne nie verloren. Der Bezug zur Erde ist wichtig für den Architekten. „Von da kommen wir und dahin gehen wir“, sagt er aus einer tiefen, unsentimentalen Überzeugung heraus. Bis in die Fingerspitzen fühlt er sich seinem Heimatdorf verpflichtet. „Meine Leute“, sagt er, wenn er von den Dorfbewohnern redet. Sein Vater war dort bis zu seinem Tod vor einem Jahr eine Art Häuptling, der Dorfvorsteher, den man um Rat fragte, wenn es Probleme gab. Der Sohn tritt sein Erbe auf die ihm eigene Weise an. Architektur ist für Kéré nur von den Menschen her verstehbar. Er will sie soweit es geht einbeziehen. Sie sollen mit dem, was der Ort hergibt, selbst etwas schaffen. Kéré weiß, wer etwas eigenständig aufgebaut hat, ist stolz darauf und wird es später auch sorgsam behandeln und pflegen. Von daher hat Francis Kérés Architektur immer auch eine soziale Dimension. Die Grundschule von Gando hat er mithilfe vieler deutscher Spenden schon während seines Studiums an der TU Berlin gebaut. Das Schulprojekt wurde denn auch Thema seiner Diplomarbeit. Dafür hat er zusammen mit seinen Mitstreitern 1998 den Verein „Schulbausteine für Gando e.V.“. gegründet. „Bei dem Schulneubau ging es darum, wie unter den dortigen klimatischen Bedingungen gutes Lernen möglich ist“, erklärt er. „Um die Belüftung zu verbessern, schwebt das Dach deshalb wie eine Art Segel über den Mauern.“ Wenn es nach Kéré ginge, würde diese Schule als Prototyp an verschiedenen Orten Afrikas gebaut werden. Die internationale Fachwelt wurde schnell auf den jungen Architekten mit afrikanischen Wurzeln aufmerksam und Kéré mit Preisen dekoriert. Nach dem Bau der Grundschule soll nun Geld gesammelt werden für eine weiterführende Schule. Für die Pläne dieser Schule hat er in diesem Jahr den mit 200 000 Euro dotierten Global Holcim Award in Gold bekommen. Geld, das wie auch andere Preisgelder zurückfließt in sein Dorf nach Burkina Faso. Für Kéré eine Selbstverständlichkeit. Regelmäßig besucht er die alte Heimat, um seine Projekte zu begleiten. Einem größeren Publikum in Deutschland bekannt gemacht hat ihn jedoch der Lebenstraum eines anderen. Christoph Schlingensiefs Idee eines Operndorfs in Burkina Faso ist zusammen mit Francis Kéré entstanden. Der Dokumentarfilm von Sibylle Dahrendorf „Knistern der Zeit“ legt davon eindrücklich Zeugnis ab. Gemeinsam haben sie das Projekt entwickelt und vorangetrieben. „In einer Schneckenform sollen die Gebäude rund um das Opernhaus angeordnet sein, so wollte es Schlingensief, und so haben wir es gemacht“, sagt der Architekt, während er in seinem Kreuzberger Büro das Modell erklärt. Dann zeigt er auf die Häuser, die schon fertiggestellt sind, unter anderen die Schule. Daran, dass eines Tages alles getreu dem Vermächtnis des Initiators seiner Bestimmung übergeben wird, lässt er keinen Zweifel. „Mein Traum ist, dass es anfängt zu leben“, sagt Christoph Schlingensief in einer Szene des Films. Damals stand noch kein einziges Haus. Dass Francis Kéré nicht nur für Afrika bauen kann, beweist er gerade im schweizerischen Genf. Dort ist er am Umbau des Museums des Internationalen Roten Kreuzes beteiligt und bringt auch hier die Erfahrungen ein, die er in Afrika gesammelt hat. Es geht darum, die Besucher emotional anzusprechen. Wieder wird Lehm verbaut, nur in einer etwas anderen Form, angereichert mit Hanf. „Die Menschen sind mit ihrem Schicksal gleichsam in die Erde eingebettet“, erklärt Francis Kéré sein Anliegen. Im März 2013 ist Eröffnung. Spätestens dann ist der Architekt Kéré endgültig in Europa angekommen. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat er schon. Für ihn, wie er sagt, eine Form der Anerkennung.

Karen Schröder

 

53 - Winter 2012/13