Star mit Blick für andere

In einem frühen TV-Porträt über Gesine Cukrowski wurde gesagt: „Keiner kennt ihren Namen. Jeder ihr Gesicht.“ Da ist was dran.

Das markante Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den großen hellblauen Augen prägt sich auf Anhieb ein. Aber ihr Name! Wie kompliziert! Hätte sie sich nicht besser einen Künstlernamen zugelegt?

„In der Tat ist mein Name ein kleines Hindernis“, gibt sie zu. „Meine Familie väterlicherseits ist vor rund 100 Jahren aus Polen zugewandert. Cukrowski heißt auf Deutsch einfach Zuckermann. Aber die Leute haben Angst davor, den Namen eventuell falsch auszusprechen. Als ich 1987 mit 19 Jahren nach dem Abitur erstmals vor der Kamera stand, sah ich keinen Anlass, mir einen anderen Namen zuzulegen, denn es war überhaupt nicht mein Ziel, Schauspielerin zu werden. Ich fand es nur lustig, da mal mitzumachen. Doch dann habe ich sechs Jahre lang in der Serie ‚Praxis Bülowbogen‘ die Laborantin Irene gespielt. Danach hätte ich es albern gefunden, meinen Namen noch zu ändern.“ Von 1989 bis 1991 studierte sie Theaterwissenschaften und Germanistik an der FU Berlin. Nebenher spielte sie Studententheater. Mit wachsender Lust am Rollenspiel. „Das Theatralische steckte definitiv in mir“, resümiert sie. „Ich habe den gymnasialen Zweig der katholischen St. Marien-Schule in Neukölln besucht und schon als Kind zum Leidwesen meiner Eltern bei Familienfeiern gerne eine Vorstellung als Priester beim Gottesdienst gegeben.“ Nun brach ihr Talent sich Bahn. Sie gab ihr FU-Studium auf und absolvierte an der Schauspielschule Maria Körber in Berlin-West ihre künstlerische Ausbildung. „Ich bin eine eingefleischte Westberlinerin“, bekennt sie. Die deutsche Teilung hat sie hautnah verspürt. Die Berliner Mauer trennte auch ihre eigene Familie, die ursprünglich in Berlin-Ost zu Hause war. Vaters Familie zog in den 50er Jahren noch mit Möbelwagen in den Westen um. Die mütterliche Familie hingegen musste 1961 (ganz kurz vor dem Mauerbau) unter Zurücklassung ihrer gesamten Habe flüchten. Onkel und Tanten, Vettern und Cousinen blieben fortan für lange Zeit unerreichbar. „Das war schon schmerzlich für meine Familie“, erinnert sich Gesine Cukrowski, „denn alle hatten eine enge Verbindung miteinander. Meine Generation ist mit dem Gefühl aufgewachsen, die Mauer gab’s schon immer und wird es immer geben. Ich gehörte zu denen, die am 9. November 1989 abends auf der Mauer tanzten, bis die Wasserwerfer kamen, aber selbst da konnte ich kaum glauben, dass die Grenze ab sofort offen war.“

Ein Scherz des Schicksals könnte sein, dass ihre TV-Karriere ausgerechnet durch die preisgekrönte Serie „Der letzte Zeuge“, in der sie zehn Jahre lang die Gerichtsmedizinerin Dr. Judith Sommer verkörperte, den entscheidenden Auftrieb erhielt. Gesine Cukrowski war dabei der einzige „Wessi“ unter lauter „Ossis“.

„Ich musste mir den nötigen Respekt bei den hochkarätigen Kollegen aus dem Osten erst verschaffen. Aber da ich eine Kämpfernatur bin und immer selbstbewusst war, konnte ich mich mit der Zeit durchsetzen. Uli war allerdings anders. Von Anfang an trat er mir aufgeschlossen gegenüber. Er hatte eben schon länger im Westen gelebt und war mit Susanne Lothar, einer West-Frau, verheiratet.“ Gemeint ist Ulrich Mühe. Mit ihm verband sie eine so tiefe Freundschaft, dass sie nach seinem Tod 2007 ihre Erfolgsrolle niederlegte. „Es hat natürlich viele Gespräche darüber gegeben, ob und wie man die Serie ohne ihn weiterführen könnte“, sagt sie. „Aber für mich stand das nicht zur Debatte.“ Mühes Hinterbliebenen blieb sie bis heute verbunden. Zu ihrem engsten Freundeskreis zählt die Schauspielerin Ingrid Andree, Susanne Lothars Mutter. Nachdem in diesem Sommer auch Susanne Lothar verstorben ist, haben Gesine Cukrowski und ihr Lebensgefährte, der Drehbuchautor Michael Helfrich, die Vormundschaft für die 17-jährige Tochter des Paars Mühe/Lothar übernommen. Gesine Cukrowski engagiert sich zudem sozial als Vorstandsvorsitzende der Stiftung SterniPark, Projekt Findelbaby – Mütter in Not, die vor zwölf Jahren die Babyklappe ins Leben gerufen hat. „Mein Aufgabengebiet liegt in Berlin und Brandenburg. Ich nutze jede Talkshow und jede TV-Sendung, zu der ich eingeladen werde, um über unsere Arbeit zu sprechen. Ich betreue in Not geratene Mütter, die aufgrund ihrer schwierigen Lebenssituation glauben, ihr Kind anonym auf die Welt bringen zu müssen, auch persönlich.“ Sie selbst ist Mutter einer elfjährige Tochter.

Dass der einstige Teenager-Traumberuf Schauspieler in Deutschland längst kein Honiglecken mehr ist, sondern eher ein ständiger Überlebenskampf, steht außer Frage. Auch für Film- und Fernsehstars gibt es nur noch ein recht übersichtliches Rollenangebot. Momentan steht sie vor allem auf der Bühne. Sie spielt wieder mehr Theater, z. B. derzeit das Stück „Venedig im Schnee“ am Berliner Schloßpark-Theater. „Die Reaktionen des Publikums direkt zu erleben, macht mir großen Spaß.“

Gudrun Gloth

 

53 - Winter 2012/13