Bei den Handball-Füchsen aus der Hauptstadt spielen internationale Stars neben dem eigenen Nachwuchs.
Die Partie ist noch nicht entschieden. Trotzdem schickt Trainer Dagur Sigurds-son in der 55. Minute des Spiels in der Champions League Jonas Thümmler aufs Parkett der Max-Schmeling-Halle. Und die gestandenen Handball-Profis der Füchse Berlin tun alles, dass der Kreisläufer aus dem eigenen Nachwuchs zu seinem Erfolgserlebnis durch ein Tor gegen den starken Schweizer Landesmeister Kadetten Schaffhausen kommt.
Das sind die Momente, in denen Bob Hanning das Herz aufgeht. Der Geschäftsführer des Berliner Handball-Bundesligisten leidet auf der Bank mit seiner Mannschaft bei Misserfolgen, er jubelt nach gewonnenen Spielen, er grübelt zusammen mit dem isländischen Trainer über die beste Taktik und Aufstellung – der 44-Jährige ist in seinen Entscheidungen ein Kopfmensch. Doch wenn ein Eigengewächs aus dem Füchse-Nachwuchs zu einer Partie in der Champions League aufs Parkett läuft, dann lacht Hannings Herz. So, wie vor drei Jahren in der Bundesliga, als dem von ihm entdeckten Linkshänder Johannes Sellin gegen den übermächtigen THW Kiel das entscheidende Tor zum sensationellen Berliner Sieg gelang.
„Für die gute Nachwuchsarbeit würde ich auch auf die Teilnahme an der Champions League verzichten“, sagt der aus dem Ruhrpott stammende Macher des Berliner Handball-Wunders kategorisch. Dass sich viele seiner Kollegen aus der Bundesliga, die sich seit Jahren als mächtigste der Welt versteht, dabei mit dem Zeigefinger an die Stirn tippen, ärgert Hanning. Nicht, weil er seine Ansichten mit Macht durchsetzen will. Sondern deshalb, weil den Managern der Vereine zwischen Hamburg und Mannheim der Blick auf die Zukunft vernebelt ist und sie nur den Erfolg in allernächster Nähe vor Augen haben.
„Was nützt mir ein teuer erkaufter Sieg in der Bundesliga oder im Europapokal, wenn der Verein daran kaputtgeht und von der finanziellen Last erdrückt wird?“, fragt er. Einstige Vorzeige-Clubs aus Leutershausen, Niederwürzbach und Hameln haben sich an Titeln überhoben oder sind – wie der TuSEM Essen – durch ein tiefes Wellental gegangen.
Das soll den Füchsen Berlin, die Hanning innerhalb von fünf Jahren vom Schmuddelkind der 2. Liga zum Spitzenverein in Deutschland geführt hat, nicht passieren. Deshalb setzt der Manager wie kein anderer in der Bundesliga auf das arbeitsintensive aber ebenso sichere wie zukunftsträchtige Standbein der eigenen Jugend. Mindes-tens dreimal in der Woche steht er vor seiner Büroarbeit in der Geschäftsstelle und auf dem weiten Feld der Sponsorenbetreuung in der Trainingshalle und trimmt seine A-Jugendlichen, mit denen er zuletzt zweimal Deutscher Meister wurde, für den nächsten Schritt in Richtung Männer-Handball.
„Ich weiß genauso gut wie die Jugendlichen selber, dass nicht jeder von ihnen Profi werden und auf höchstem Niveau spielen kann. Aber auch dann, wenn einer dieses Ziel nicht erreicht, soll er bei den Füchsen viel fürs Leben gelernt haben“, schildert der Geschäftsführer und Jugendtrainer in Personal-union. Deswegen scheucht Hanning die Schüler nicht nur sportlich, sondern hat ein umfassendes Betreuungsnetz gespannt. Da sind auch Benimm-Kurse nach Knigge eingebaut oder ein Tag Arbeit beim Sponsor Berliner Stadtreinigung. „Wenn die Jungs acht Stunden in der Müllabfuhr gearbeitet haben, dann kommt ihnen nicht nur das Training bei mir wie Zuckerlecken vor. Dann wissen sie auch, wie hart sich viele Leute ihr täglich Brot verdienen müssen“, begründet er die in anderen Vereinen unüblichen Neben-Kurse. Doch auch schulische Betreuung, Hilfe bei der Suche nach Ausbildungs- und Studienplätzen sowie oft ganz banale Unterstützung im Alltag werden von Hanning und seiner ganz auf „Füchse-Familie“ getrimmten Geschäftsstelle am Gendarmenmarkt erledigt.
Die Wechselwirkung zwischen Stars im Vollprofitum der Handball-Bundesliga und dem eigenen Nachwuchs ist für Bob Hanning kein Spagat, sondern eine Notwendigkeit. „Ich nenne es gern Berlinisierung. Die Spieler sollen sich mit Haut und Haar dem Verein verbunden fühlen. Das wiederum merken die Fans, die in den Spielern umso mehr ihre Vorbilder sehen.“ Langfristige Verträge von bis zu sechs Jahren, die ansonsten in der Bundesliga unüblich sind, lobt der Geschäftsführer deswegen für seine Vorzeige-Profis aus. An ihnen kann sich der Nachwuchs orientieren. Diesem Ziel dient auch das jährliche Trainingslager vor Saisonbeginn, an dem alle Altersklassen der Füchse gleichzeitig teilnehmen.
Die Profis selbst gehen diesen Weg begeistert mit. Sie murren auch nicht, wenn Hanning Ausländern schon beim Vertragsbeginn erklärt, sie hätten umgehend die deutsche Sprache zu erlernen. Spaßhaft droht er ihnen dann, nach einem Vierteljahr zu kontrollieren und bei Nichtbestehen das Gehalt in deren Landeswährung auszuzahlen. Angeblich hängen sich Polen, Norweger und vor allem Isländer dann noch mehr in ihre schulischen Verpflichtungen.
„Wir müssen die Liga, wenn sie die stärkste der Welt bleiben will, auf gesunde wirtschaftliche Füße stellen. Dann kann ich nicht, wie es andere Vereine in der Vergangenheit leider getan haben und noch tun, auf Gedeih und Verderb Weltstars kaufen, die ich in absehbarer Zeit nicht mehr bezahlen kann. Das ist nicht nur menschlich zu verurteilen, sondern auch wirtschaftlich sehr zweifelhaft“, sagt Hanning. Mit seinem Weg der Berlinisierung steuert er diesem Trend entgegen und begeistert gleichzeitig das Publikum in der Max-Schmeling-Halle.
Beim ersten Auftritt von Jonas Thümmler, dessen Bruder beim Brandenburger Oberligisten MTV Altlandsberg vor den Toren Berlins spielt, hat es mit einem Torerfolg in der Champions League noch nicht geklappt. Das hielt die Fans nicht von einem Sonderbeifall für den 19-Jährigen ab. Der wird noch stärker ausfallen, wenn der Kreisläufer in der nächsten internationalen Partie dann seinen ersten Treffer erzielt.
Hans-Christian Moritz