Alle Jahre wieder laufen im Frühling die Drähte heiß. In der Wildvogelstation des NABU im Berliner Wuhletal klingelt unablässig das Telefon. Die Geschichten, die Projektleiter André Hallau hört, ähneln sich. Ein Vogel ist aus dem Nest gefallen. Ein kleiner Vogel sitzt auf einem Ast und kann nicht fliegen. Ab Ende März beginnt vor allem aber auch die Zeit des Entenrettungsdienstes.
Auf einem Gründach sind neun kleine Enten geschlüpft. Im Blumenkübel brütet eine Ente. Eine hilflose Entenfamilie ist auf dem Bürgersteig unterwegs. In solchen Fällen eilt die Zeit, denn innerhalb von 48 Stunden müssen die Enten ans Wasser gebracht werden. „Wasser ist nun mal die Lebensgrundlage der Stockenten. Sie ernähren sich von Insekten und Wasserpflanzen“, sagt André Hallau. „Vor Ort sind die Bürger meist sehr aufgeregt, oft auch ein wenig hilflos.“ Die Entenfamilie muss eingefangen und zu einem nahe gelegenen Gewässer gebracht werden. Würden sie allein den Weg über Ampelkreuzungen und Schnellstraßen suchen, würde ein Großteil der Tiere nicht überleben. Beim Einsetzen ins Wasser achten die Naturschützer nach Möglichkeit darauf, dass es sich um einen relativ ruhigen Platz handelt, die Spreekanäle zum Beispiel mit ihrem regen Schiffsverkehr und den Betonmauern sind weniger gut geeignet.
Von Natur aus brüten Stockenten am Boden, doch in Berlin finden sie kaum noch ungestörte Brutplätze. In Parks und Grünanlagen werden sie von frei laufenden Hunden allzu oft aufgescheucht. So bieten Balkone und Flachdächer immer häufiger eine ruhige Kinderstube. Fünf Wochen insgesamt nimmt so eine Ente dann Quartier. Jeden Tag legt sie ein Ei, insgesamt neun bis zwölf Eier. Das Brüten dauert dann noch einmal etwa dreieinhalb Wochen. Haben die Enten einen sicheren Brutplatz gefunden, kommen sie gern wieder.
„Manche Bürger nehmen mehrere Jahre hintereinander auf ihrem Balkon eine Entenmutter auf“, erzählt André Hallau. „Wir sehen, dass es dieselbe Ente ist, weil wir sie zuvor beringt haben.“ In diesen Fällen ist die Tierbeobachtung für manche Balkonbesitzer schon zum beliebten Hobby geworden. „Diese Leute wissen genau, was sie zu tun haben, wenn die Kleinen geschlüpft sind.“ Sie haben den kurzen Draht zur Wildvogelstation. Die Entengeschichten sprudeln nur so aus André Hallau heraus. Da gebe es auch schon mal den Fall, dass eine Entenmutter verunglückt sei und die Küken auf dem Balkon allein zurückblieben. Auch diesen kann aber geholfen werden, denn Entenfamilien neigen zur Adoption. Die Küken werden dann an einen See zu einer anderen Entenfamilie gebracht, wo sie sich anschließen können. „Andere Enten finden mit ihren menschlichen Pflegeeltern gemeinsam den Weg zum Wasser, es gab schon Enten, die sind im Hochhaus Fahrstuhl gefahren.“ Nicht immer müssen André Hallau und sein Team also vor Ort sein. Es ist ganz im Sinne der NABU-Leute, wenn es die Bürger selbst schaffen, die Enten auf den Weg zu bringen. Deshalb müsse immer wieder auch intensive Aufklärungsarbeit geleistet werden.
Während die Entenrettung auf Hochtouren läuft, an einem Tag werden bis zu zehn Entenfamilien ans Wasser gebracht, dürfen auch die anderen Pfleglinge in der Wildvogelstation nicht vernachlässigt werden. Da müssen kleine Amseln und Meisen, Elstern und Turmfalken in den Volieren der Station gesund gepflegt werden, bis sie wieder flugfähig sind. „Die gelungene Auswilderung gehört dann immer zu den schönsten Momenten meines Berufs“, so André Hallau.
Karen Schröder
Information
www.berlin.nabu.de/projekte/wildtierpflege