Gibt es ein Leben ohne Latte? Ohne „Grande mit Sojamilch to go“? Der Filterkaffee feiert Renaissance. Braucht die Welt das? Damit das Ganze ein wenig schicker klingt, nennt man ihn jetzt „Brewed Coffee“. Wobei die amerikanische Urvariante meist keine guten Reiseerinnerungen wach ruft. Amerikanischer Filterkaffee ist dunkelbraune Flüssigkeit, der man viel verzeiht, weil das Nachschenken kostenlos ist.
„So wie die digitale Welt irgendwann die Schönheit und Kostbarkeit der analogen Welt wiederentdecken wird, so passiert es jetzt dem Filterkaffee“, sagt Gerald Uhlig, Besitzer des Café Einstein Unter den Linden. Die Welt des Filterkaffees im 21. Jahrhundert ist voller Überraschungen, technischer Tricks und Verzauberung. Überraschung Nr.1: Die Japaner können es am besten. Überraschung Nr. 2: Der Melittafilter ist nur eine von vielen Möglichkeiten der Zubereitung. Im Jahr 1908 präsentierte die Dresdner Hausfrau Melitta Bentz den von ihr entwickelten Kaffeefilter. Lange war sie sehr erfolgreich, landete dann aber mit der Erfindung der Coffeeshops mitleidig belächelt in der Versenkung. Richtige Brewed-Coffee-Experten fahren allerdings sowieso ganz andere Geschütze als Melittafilter auf. Die „Golden Lady“ zum Beispiel. In der Kreuzberger Lokalität „Chapter One Coffee“ arbeitet Nora Smahelová, sie ist Tschechin und hat Deutschland erfolgreich bei einigen Branchen-Wettbewerben vertreten. Ihr Geschäftspartner Björn Köpke ist Heilpraktiker, kennengelernt haben sich die beiden bei ihren Tätigkeiten als Baristas in Berliner Coffeeshops. Sie dachten sich: Das können wir aber wirklich besser. Als Erstes haben sie eine „Golden Lady“ gekauft, die heißt in der Fachsprache „Hikari Siphon“ und kommt natürlich aus Japan. Die Italiener haben vermutlich die besseren Espresso-PR-Experten, aber in der Liga Filterkaffee haben die Japaner die Nase vorn.
Nicht alle Berliner wollen beim neuen Trend mitmachen. Im Café Einstein Unter den Linden beispielsweise sieht man die Renaissance skeptisch: „Bei uns wird es niemals Filterkaffee geben!“, sagt Gerald Uhlig. Er meint das gar nicht böse, manchmal trinkt er zu Hause eine Tasse Filterkaffee: „Eine wirklich gute Kaffeesorte, professionell geröstet, die richtige Filtertüte mit kochendem Wasser überschüttet, kann zur Abwechslung auch mal gut schmecken. Dann bleibt auch das Aroma erhalten. Vom Geschmack her ist es wie die Entscheidung zwischen Fisch und Fleisch: der eine mag dies, der andere lieber das. Man kann mit einer Espressomaschine die unterschiedlichsten Kaffeearten kreieren. Und von der ästhetischen Seite her ist es ein viel sinnlicherer Zubereitungsvorgang, als kochendes Wasser in einen Filter zu schütten.“ Auch im Café „CK“ in der Marienburger Straße offeriert man den Gästen Filterkaffee. Ohne Oma-Image, frisch gebrüht in einer „Aeropress“ oder „Hario V60“ und „Bonanza Coffee Roasters“ in der Oderberger Straße zählen seit Jahren zu den besten Adressen Berlins für (Filter-) Kaffeeliebhaber. Im „Chapter One“ in Kreuzberg ist das gefilterte Angebot groß: Es gibt den „Aeropress“, Kaffee aus einem hochgelobten, kalifornischen Kaffeezubereiter. Oder einen aus der „Hario V60“, der japanische Hersteller liefert Kaffeezubereiter der Extraklasse, zum Beispiel den aus Glas geblasenen Syphon „Technica“. In Kombination mit dem ungemein schönen kleinen Wasserkessel „Buono“, der eine präzise Filterkaffee-Aufgusstechnik erlaubt. Vorausgesetzt, man hat den perfekten Filterkaffee-Schwung im Handgelenk. Andere Genießer schwören auf die „Chemex“, die elegante, wunderschöne Karaffe wurde 1941 erfunden und ist heute im Museum of Modern Art in New York zu bestaunen. Die elegante „Golden Lady“ ist mit drei Halogenlampen ausgestattet, sie heizen das Wasser für die Filterkonstruktion aus Glas auf. Oberste Maxime ist natürlich die Qualität des Kaffees, aus schlechten Bohnen kann auch die „Golden Lady“ kein Gold zaubern. Der erste Schluck Filterkaffee schmeckt sauer. Sehr sauer. Der zweite auch noch. Beim dritten schmeckt man vielleicht schon ein zartes Beerenaroma, hier ein wenig Haselnuss, zarte Nuancen. Exzellente Kaffeebohnen ergeben exzellenten Filterkaffee. Im Sommer gern auf Eis. Ohne Milch. Ohne Zucker. Anfangs haben die Gäste im „Chapter One“ fast nur Espresso bestellt. Heute liegt die Filterkaffee-Quote bei 50 Prozent. Vielleicht sehen wir George Clooney bald mit einer Filtertüte.
Von Silvia Meixner